Donnerstag, 13. März 2008
Inzest von Patrick und Susan, der Paragraph 173 und das Bundesverfassungsgericht. Oder: Eugenik und vielleicht bald auch Euthanasie
So, das Bundesverfassungsgericht hat seine Entscheidung gefällt: Inzest bleibt verboten, der Paragraph 173 des Strafgesetzbuches, der „Beischlaf unter Verwandten“ unter Strafe stellt, ist in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz. Aufhänger für dieses Urteil ist der von den Medien hinreichend breitgetretene Fall von Patrick und Susan. Dieses Geschwisterpaar wuchs getrennt auf, die beiden lernten sich erst 2000 kennen – und lieben. Inzwischen sind aus der Verbindung vier Kinder – zwei davon behindert – entstanden. Patrick wird nach dem BVG-Urteil wohl bald eine gegen ihn verhängte Haftstrafe von zweieinhalb Jahren antreten müssen.
Spätestens an dieser Stelle werden sich die regelmäßigen Leser meines kleinen Tagebuches die obligatorische Frage stellen, weshalb ich über dieses unerfreuliche Thema nachdenke. Ganz einfach – die Urteilsbegründung birgt reichlich Sprengstoff, der sicher noch den einen oder anderen Knall provozieren wird.
Die Karlsruher Richter haben die von Patrick angestrengte Klagen gegen den Inzestparagraphen mit 7:1 Stimmen angelehnt, lediglich Vizepräsident Winfried Hassemer stimmte gegen die Entscheidung seiner Kollegen. Begründet wurde das Urteil mit dem „Schutz der familiären Ordnung vor der schädigenden Wirkung des Inzests“. Das geht in Ordnung. Nachdenklich stimmt mich allerdings der zweite Teil der Urteilsbegründung. Dort ist davon die Rede, dass „Kinder von Geschwisterpaaren ein erhöhtes Risiko haben, schwerwiegende genetische Schäden zu erleiden“.
Das ist richtig und lässt sich statistisch belegen. Schon die erlaubte (!) und z.B. unter in Deutschland lebenden Türken weit verbreiteten Ehe zwischen Cousin und Cousine ersten Grades hat die Zahl genetisch bedingter Krankheiten stark ansteigen lassen. In England wird derzeit darüber diskutiert, wie man damit umgehen soll, dass Einwanderer aus Pakistan wegen der dort üblichen Ehen zwischen Cousin und Cousine ein 13-fach höheres Risiko haben, behinderte Kinder zu bekommen als der Rest der Bevölkerung. Und auch die „2-aus-4“-Quote von Patrick und Susan gibt Grund zum Nachdenken …

Zu denken gibt mir jedoch die Begründung des „Beziehungsverbotes“ mit dem erhöhten Risiko, Kinder mit schwerwiegenden genetischen Schäden zu zeugen. Kurz mal nachgedacht: Es gibt eine Menge schwerwiegender Krankheiten, die direkt oder in Form einer Anlage vererbt werden. Zu den bekanntesten zählen die Hämophilie (Bluter), die Sichelzellenanämie, der Albiniusmus und die Mukoviszidose – eine sehr beeindruckende Liste findet sich hier http://de.wikipedia.org/wiki/Erbkrankheit Erblich bedingt ist aber auch die Rot-Grün-Blindheit – ist die schwerwiegend?
Und dann gibt es noch eine Reihe von Krankheiten, die eine genetisch bedingte Disposition aufweisen. Im Klartext: Wenn Großvater und Vater mit 45 einem Schlaganfall erlegen sind, sollte das dem Sohn zu denken geben. Haben seine männlichen Vorfahren hingegen ein hohes Alter erreicht, obwohl sie als fleischgewordene Risikofaktoren durch die Gegend stampften, dann kann es auch der Filius wie Otto von Bismarck halten und seinen Tag mit zwei Kannen Bier und einer riesigen Pfanne Spiegelei beginnen – das nennt man genetisch bedingte Disposition. Die gibt es für Diabetes, diverse Herzkrankheiten, Krebserkrankungen, Rheuma, Schizophrenie und den vergleichsweise harmlosen Haarausfall.

Und jetzt erinnern wir uns noch mal an den Karlsruher Richterspruch: Der wurde zur Hälfte damit begründet, dass „Kinder von Geschwisterpaaren ein erhöhtes Risiko haben, schwerwiegende genetische Schäden zu erleiden“. Dieses erhöhte Risiko liegt aber auch für alle Kinder von Menschen vor, die ihrerseits eine genetische Krankheit aufweisen. Und was ist mit der Veranlagung für Krebs? Für Diabetes? Für Schlaganfall? Für ... Haarausfall? Schuppenflechte?
Mal weiterdenken: Sollte man da nicht auch ein Gesetz verhängen, so in der Art, dass nur körperlich und geistig gesunde Volksge... ähm: Bürgerinnen und Bürger natürlich, zur Verpaarung zugelassen werden. Oder, wenn’s an hinreichend idealem Menschenmaterial mangelt, dass zumindest eine Überprüfung des entstandenen Embryos vorgenommen und dieser im unerwünschten Fall ausgesondert wird? Zwar ist die pränatale Selektion – ähhhh: Diagnostik – in Deutschland verboten, aber unter Bezug auf den Richterspruch könnte man doch was drehen.
Stopp – das gab’s leider (fast) alles schon mal. Es hieß Euthanasie http://de.wikipedia.org/wiki/Euthanasie bzw. – soweit es sich nicht auf die Vernichtung, sondern auf die Verhinderung von Leben bezog – Eugenik http://de.wikipedia.org/wiki/Eugenik und wurde unter den Nazis als Rassenhygiene http://de.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialistische_Rassenhygiene praktiziert. Brrrr.

Können oder müssen Verfassungsrichter solche Gedanken auch wälzen, oder dürfen sie – unabhängig – einfach so entscheiden? Mut macht mir da nur Gerichtsvizepräsident Winfried Hassemer, der seine Ablehnung des Urteils damit begründete, dasss die Berücksichtigung „eugenischer Gesichtspunkte“ – also des Risikos von Genschäden – von vornherein verfassungsrechtlich ausgeschlossen sei. Auch der Schutz der Familie werde mit der Norm nicht erreicht. „Es spricht viel dafür, dass die Vorschrift in der bestehenden Fassung lediglich Moralvorstellungen, nicht aber ein konkretes Rechtsgut im Auge hat.“

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