Freitag, 6. August 2010
Fraktursatz ist Glücksache. Oder: Peinliche Fehler heutiger Fachleute bei Berichten über das Gestern
Meine Lokalpostille, die nach eigenem Verständnis dem Qualitätsjournalismus verpflichtete Leipziger Volkszeitung, hat ihren LeserInnen heute ein selbst für LVZ-Verhältnisse seltenes Lehr-(Leer?-)Stück in puncto Qualität beschert. Auf einer Doppelseite im Lokalteil wird das 80-jährige Bestehen der Zentrale der Leipziger Konsumgenossenschaft gewürdigt. Oben drüber steht der kleine Hinweis Sonderveröffentlichung, im Impressum zeichnet für Redaktion und Gestaltung die Leipziger Medienservice GmbH, ein „Unternehmen der Leipziger Volkszeitung“ für das oppulente Werk verantwortlich. Im Klartext: Hier wurde gegen Geld veröffentlicht, das ganze Stück ist eine Art Anzeige, nur schöner.
Wirklich schöner? Nun ja, über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, über Propaganda bzw. Werbung auch. Unstrittig sind dagegen Fehler – und an denen mangelt es der Konsum-Doppelseite nicht.
Um dem Stil des Jahres 1930 zu entsprechen, wagten sich die Macher des Werbeblattes auf gefährliches Terrain: Sie setzten, wie weiland in der LVZ des Jahres 1930 (da war als „1. Beilage zu Nr. 182“ ebenfalls ein Konsum-Sonderprodukt erschienen) Überschriften in Fraktur-Schrift. Ein eingeblocktes Faksimile der alten LVZ zeigt eine halbe Seite der damaligen Werbeschrift. Und macht gleichzeitig einen gravierenden Unterschied deutlich: 1930 verstanden die Macher der LVZ noch ihr Handwerk und waren in der Lage, einen Frakturtext den Regeln entsprechend zu setzen. Die findet man u.a. im Duden, sehr lesenswert aber auch http://www.e-welt.net/bfds_2003/veroeff/Knigge_digital.pdf und (kurzgefasst) hier http://www.e-welt.net/bfds_2003/veroeff/S-Regeln_Druck.pdf
Die gebrochenen Schriften kannten gleich zwei Varianten des Buchstaben „s“ – im Unterschied zu heutigen Gepflogenheiten. Je nach Zusammenhang und Stellung im Wort wurde zwischen rundem und spitzem „s“ unterschieden. Das verbesserte die Lesbarkeit und erleichterte das Erschließen von Zusammenhängen ungemein. Die geneigten LeserInnen meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches seien auf das Wort „Wachstube“ verwiesen. Ob es sich um eine Wach-stube oder eine Wachs-tube handelt, muss sich ein Leser heutiger Druckwerke aus dem Zusammenhang erschließen. Im Fraktursatz zeigten rundes und spitzes „s“ den Unterschied an.
Allerdings nur dann, wenn die Hersteller des Druckwerkes Fachleute sind. In der heutigen LVZ wurde lustig drauflosfrakturiert, als ob es kein spitzes „s“ gäbe. Und so findet sich die falsche Schreibweise prompt in Worten wie „sein“ und „seine“, aber auch in „Deutschland“. Peinlich.
Peinlich übrigens auch für die ach so traditionsbewussten Auftraggeber der Konsum-Sonderveröffentlichung, die das Ding ja vor Veröffentlichung gesehen und freigegeben haben.

Nachsatz: Den LeserInnen der Leipziger Volkszeitung sei empfohlen, sich mit einer Lupe zu bewaffnen und den faksimilierten Text der alten LVZ zu studieren. Sehr amüsant – da wird in feinster propagandistischer Manier über das sozialistische Gesellschaftssystem und dessen Zukunft schwadroniert. Diese Lektüre versöhnte mich ein wenig mit dem Pfusch der heutigen Lokalpostilleros. Aber nur ein wenig.

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