Dienstag, 12. Oktober 2010
Sächsische Arroganz der Macht. Oder: „Stuttgart 21“ ist überall
Im Herzen bin ich tiefschwarz. Das wissen die LeserInnen meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches, denn ich halte mit dieser Einstellung nicht hinter dem Berg. Dennoch leiste ich mir den Luxus häufigen Eigendenkens fern programmatischer Vorgaben. Das tue ich z.B. in puncto Stuttgart 21 und bin zu dem Schluss gelangt, dass die momentane Schwabenrevolte eine gute Sache ist. Gelegentlich brauchen die langjährigen Machtärsche einen Tritt in letzteren, um sich wieder daran zu erinnern, wer ihnen eigentlich die ach so schöne Macht verliehen hat. Das ist übrigens ein parteiübergreifendes Phänomen, das in allen politischen Farbtöpfen mehr oder weniger ausgeprägt auftritt.
Zurück zu Stuttgart 21: Dort wird derzeit kräftig in besagte Körperregion getreten, denn hinten sind die Politker breit, vorn frech und arrogant geworden. Gut so (die Sache mit dem Treten)! Denn schließlich wird im Ländle nicht erst seit der Bahnhofsgeschichte von diversen Cleverles am tumben Wahlvieh vorbei entschieden. Auch das berühmte Leichtathletikstadion ist „mal eben so“ verschwunden, um Platz für ein TV-taugliches Bundesligagrün zu machen – erst hat’s keiner gewusst, dann war’s keiner gewesen und dann hätten’s doch alle gewollt.
Diese Art Politikverständnis erinnert mich an die Regierungsweise der DDR-Betonköpfe; deren Altmännertun wurde dem regierten Volk regelmäßig mit dem Satz „Die Genossen in Berlin werden schon das Richtige tun!“ schöngeredet. Nur: Das war eine Diktatur. Heißt es.

Um so erschrockener bin ich über die Schützenhilfe, die die getretenen Schwabenärsche per Focus-Schrieb vom sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich erhalten. Der MP begründete die Proteste gegen Stuttgart 21 damit, dass die Westdeutschen zu bequem für Veränderung seien. Das grenzt an Verleumdung: Demonstrierende Bürger sind zu faul zum Umdenken, darum gehen sie gleich als 60.000er Marschblock zur Demo.
Nachzulesen hier: http://www.focus.de/politik/deutschland/stanislaw-tillich-westen-zu-bequem-fuer-veraenderungen_aid_560703.html

Die Sachsen hingegen, so philosophiert Tillich weiter, seien motiviert und hätten den Willen, zu den Spitzenregionen Europas aufzuschließen. Deshalb gebe es im Freistaat kein Großprojekt, das erfolgreich durch Klagen gestoppt wurde. Tillich benennt in diesem Zusammenhang Kohlekraftwerke, Straßen, Autobahnen, Braunkohle-Tagebaue. Seinem MP-Kollegen Stefan Mappus empfahl er, einfach durchzuhalten. Die Wahl könne er dennoch gewinnen, schließlich sei das auch der Sachsen-CDU gelungen – trotz Waldschlösschenbrücke und Unesco-Welterbe-Verlust. Fazit Tillich: „Die Politik sollte ... auf dem einmal eingeschlagenen Weg nicht umkehren.“

Spätestens hier meldete sich mein Eigendenken. Zum einen kenne ich solche Arroganz der Macht vom längst entschlummerten Erich Honecker. Zur Erinnerung: „Den Sozialismus in seinem Lauf ...“ bzw. „Die Mauer wird noch in 100 Jahren ...“. War vergleichbar weltfremdelnd arrogant formuliert und ging in die Hose.
Zum anderen sind die Sachsen ein ähnlich braver und duldsamer Stamm wie die Schwaben. Bis es ihnen reicht. Und die zur Begründung von Tillich benannten Autobahnen, Kraftwerke und Tagebaue sind ja alles andere als mit freistaatweitem Jubel durchgegangen, gegen diverse Vorhaben (Stichwort B87, Stichwort Nachtflüge am Flughafen Leipzig, ...) wird noch immer gefochten. Und sogar die Waldschlösschenbrücke dürfte sich unter den Dresdner Residenzsachsen trotz aller Königsgläubigkeit auch im nächsten Wahlergebnis niederschlagen – obwohl ein Volksentscheid dem Projekt den Weg zumindest de jure geebnet hatte. Nur: Damals waren die Befürworter zur Wahl gegangen, die kulturvollen Gegner blieben in ihren Dresdner Türmen und Villen ...

Eigentlich schade. Da hat Stanislaw Tillich nun schon das Privileg, den schwäbischen PR-Gau aus sicherer Entfernung zu beobachten und Lehren daraus zu ziehen, und was macht er? Heizt die dämliche Ossie-Wessie-Debatte neu an, bringt sich ins Schussfeld und bastelt sein eigenes Desaster. Nur der Name fehlt noch, aber man könnte als Arbeitstitel ja schon mal „Sachsen 21“ nehmen ...

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Montag, 11. Oktober 2010
Leipziger Lichtfestgedanken. Oder: 40.000 Fliegen können doch irren.
9. Oktober 2010 in Leipzig. "Lichtfest" zum Gedenken an die friedliche Revolution 1989. Meine Lokalpostille, die wirtschaftlich durchaus in die Veranstaltung eingebundene "Leipziger Volkszeitung", vermeldet 40.000 Besucher und widmet dem "Feschtle" (Hallo Stuttgart 21) den Seite-1-Aufmacher und eine Doppelseite im Lokalteil - da mussten in der Berichterstattung andere eigene Geschäftsfelder wie z.B. ein Reise- und Seniorenmarkt sogar ein wenig zurückstehen. Hier: http://nachrichten.lvz-online.de/specials/specials_themen/lichtfest-2010/40000-besucher-gedenken-bei-leipziger-lichtfest-der-friedlichen-revolution-1989/r-lichtfest-2010-a-53993.html
Für mich ist der Bohei um das Lichtfest ('n schönen Gruß ins Opernhaus) vor allem eines: der Beweis, dass 40.000 Fliegen doch irren können. Auf der einen Seite präsentieren sich die garantiert Unbeteiligten (Hallo Burkhard J., hallo Norbert L.!) in Heldenpos(s)e vor großem Publikum, auf der anderen Seite wird mal eben so richtig Geld verblasen, das anderenorts wohl besser aufgehoben wäre (Hallo Naturkundemuseum!).
Ob die quasiamtliche Zahl von 40.000 Besuchern auch der Realität entspricht, sei mal dahingestellt; es werden schon genug auf das Getrommel reingefallen sein. Ein Kunde, der es wissen muss, sagte mir vor einigen Jahren: "Du musst nur genug werben, dann kannst auch einen Sack Holz hinstellen; die Leut' sind so blöd und reiben sich ihre Ärsche dran ..." (Hallo Josef S.!).
Falls es übrigens den einen oder anderen Leser meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches interessiert: Für mich ist der 9. Oktober 1989 vor allem in zweierlei Hinsicht interessant. Zum einen dürfte es das letzte Mal gewesen sein, dass in Deutschland von der Straße aus eine Regierung gekippt wurde. Zum anderen weiß ich noch ganz genau, was ich an jenem geschichtsträchtigen Herbstabend gemacht habe: 120 Zentner Briketts in große Eimer geschaufelt und in meinen Keller geschleppt. Die sechs Tonnen Heizmaterial lagen nämlich auf dem Bürgersteig, weil der Kohlenhändler sich weigerte, meinen "nach hinten" gehenden Keller zu beliefern - und mussten schnell eingebunkert werden. Da blieb keine Gelegenheit, mich unters demonstrierende Volk zu mischen. Was mir mein damaliger Chef an der Uni aber nicht abnahm, worauf er mich "am Morgen danach" anherrschte: "Solche wie Dich werden wir uns merken!" (Hallo Ehrenfried B.!)

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Mittwoch, 15. September 2010
Mehrverkehr. Oder wie Udo Vetter mir den Feierabend versüßte
Der heutige Tag hatte es in sich: Viel zu tun, außerdem noch reichlich 40 Trainingskilometer, dann wieder viel zu tun - doch ehe ich mich in den verdienten Feierabend verabschiedete, rettet mir Rechtsanwalt Udo Vetter mit seinem Lawblog (www.lawblog.de) den Tag. Er brachte das Wort "Mehrverkehr" ins Spiel. Worum es bei dieser juristisch-sexuellen Weiterbildungsvokabel geht, kann man hier nachlesen: http://www.lawblog.de/index.php/archives/2010/09/15/magisches-wort/
Udo for President!

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Dienstag, 14. September 2010
Wissenswertes über Hornissen. Oder: Reisen bildet
Reisen bildet. Am Sonnabend war ich in Weißenstadt zum dortigen 6-Stunden-Lauf; wie immer eine herrliche, liebevoll organisierte Veranstaltung. In diesem Jahr lief ich dort besonders entspannt, da ich mir so kurz vor dem Spartathlon (www.spartathlon.gr) keine Heldentaten mehr leisten wollte.
Aber zurück zum Thema "Reisen bildet": Dank meines Aufenthalts in Weißenstadt habe ich viel Wissenswertes über Hornissen gelernt. Ich weiß nun, dass nur die Weibchen einen Stachel haben, weil letzterer entwicklungsgeschichtlich eigentlich ein Werkzeug zur Eiablage ist (vulgo: Legestachel), dass ein Hornissenstich nicht wirklich gefährlich, dafür aber besonders schmerzhaft ist, weil das Gift den Neurotransmitter Acetylcholin enthält, und das in der höchsten Konzentration, die bei einem Lebewesen vorkommt.
Nun mag sich der eine oder andere Leser meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches fragen, woher dieses Interesse an der größten mitteleuropäischen Faltenwespe rührt. Ganz einfach: Beim Frühstück vor dem 6-Stunden-Lauf hat mich so ein Mistviech ins Handgelenk gestochen ...

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Montag, 13. September 2010
Sarrazin und drei Nullen. Oder: So schießt man in Deutschland Leute ab.
Wie schafft man es, einen "im Volke" (was auch immer das sein mag) beliebten Menschen abzusägen, zu stigmatisieren und in Misskredit zu bringen? Zumindest in Deutschland reicht es aus, sein Einkommen offenzulegen. So geschehen aktuell im Falle eines gewissen Thilo Sarrazin, dessen Pension von rund 10.000 Euro pro Monat nun medial breitgetreten wird (z.B. hier http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=2559764 und hier http://www.tagesspiegel.de/meinung/vielleicht-haette-man-hitler-1000-euro-bieten-sollen/1932088.html;jsessionid=DCA10094C520298352FF606A4F0F2B20 ). Wetten, dass es nicht lange dauert, bis Sarrazin bei der Mehrheit derer, die ihn derzeit noch als Messias und Widerständler vergöttern, bald schon zur Unperson werden wird?

PS.: Meiner namensgoogelnden Stammleserin wünsche ich eine angenehme Woche ... Aber mal ehrlich - was soll denn das mit dem Safari-Browser ...

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Donnerstag, 9. September 2010
Kinderklassengesellschaft. Oder: Haderthauerin im Paralleluniverum
Die Bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer hat sich im Interview mit der "Welt" (http://www.welt.de/politik/deutschland/article9484652/Chipkarte-schafft-Kinder-erster-und-zweiter-Klasse.html) gegen das Vorhaben der Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ausgespürochen, Kindern von Hartz-IV-Empfängern mittels Chip-Karte die Teilnahme an sportlichen, kulturellen usw. Veranstaltungen zu ermöglichen.
Nun wissen die geneigten Leserinnen und Leser meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches, dass ich mit Zensursula nichts, aber auch gar nichts am Hut habe. Blindwütige Demagogen sind nicht mein Ding. Aber im konkreten Fall muss ich die Stopschildblondine in Schutz nehmen.
Christine Haderthauer begründet ihre Ablehnung Leyenschen Chip-Karten-Pläne u.a. damit, dass eine solche Karte "Kinder erster und zweiter Klasse" schaffen" würde.
In was für einer Parallelgesellschaft lebt die zugezogene "Saupreißin" eigentlich, wenn sie glaubt, dass es erst der Schaffung eines solchen Missstandes bedürfte? Kinder erster, zweiter (und auch noch niederer Klassen gibt es längst ... armes Deutschland.

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Bibel, Scharia und Grundgesetz. Oder: Was merkelt uns das?
Gestern hat unsere in jüngerer Zeit nicht eben durch große Aktivitäten und Taten aufgefallene Bundeskanzlerin Angela Merkel dem Mohammed-Karikaturisten Kurt Westergaard den M100-Medienpreises verliehen. Muss ich mich jetzt schämen, dass ich den Preis bisher nicht kannte? Ist es schlimm, dass ich mir die Verleihung medial entgehen ließ? Sicher nicht.
Einen interessanten Ausspruch, den das Bundesmerkel bei dieser Gelegenheit getan hat, las ich am heutigen Morgen, u.a. in Bild (sehr lesenswert: http://www.bild.de/BILD/politik/2010/09/08/preis-verleihung-mohammed-karikaturist-kurt-westergaard/hg-rede-im-wortlaut/kanzlerin-angela-merkel.html). So merkelte es gestern, dass Meinungsfreiheit "eins der Wesensmerkmale einer freiheitlichen Demokratie" ist. Der Respekt vor Glaube und Religion sei ... ein hohes Gut, Religionsfreiheit bedeute aber nicht, "dass im Zweifelsfall die Scharia über dem Grundgesetz steht".
Nun frage ich mich, ob diese Aussage auch gilt, wenn man "Scharia" oder "Koran" durch "Bibel" ersetzt ...

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Meine Lokalpostille und die Schulanfänger. Oder: Interessante Nichtunterstützer
Meine Lokalpostille, die Leipziger Volkszeitung, war heute nicht weniger inhaltsarm als üblich, dafür aber besonders dick. Schuld war die knapp 174 Gramm schwere Verlagsbeilage (vulgo: Werbescheiß unter eigener Flagge) "Schulanfänger 2010". In diesem Stück Holzmedium findet sich, nebst einem inhaltsökonomisch gestalteten Grußwort des aus dem dynamisch-diagonal gestalteten Foto lächelnden Chefredakteurs Bernd Hilder vor allem Bildmaterial.
Abgelichtet wurden die vor vier Wochen eingeschulten Grundschüler aus Leipzig und einigen angrenzenden Nestern, brav aufgestellt im Klassenverband, dazu die Namen der wehrlosen Opfer, ein paar Infos zur Schule und natürlich der Hinweis auf die online-Bestellmöglichkeit.
Vor allem enthält die von einem externen Dienstleister (Hallo, Kay, gut gemacht!) produzierte Beilage jedoch Werbung, viel Werbung. Teils als klassische Anzeige, teils als PR, also die übliche Brühe.
Mein Interesse weckten allerdings vor allem die Plätze, auf denen statt Werbung Fotos von Spielplätzen oder aber lustige Bildchen aus dem wohlfeilen Grafikbaukasten abgedruckt waren. Dort war offensichtlich der eine oder andere Anzeigentraum geplatzt, der gewünschte Umsatz nicht erzielt worden.
Ein wenig Nachdenken brachte mich auf die Spure der fehlenden Anzeigen, der Vergleich mit früheren Ausgaben dieser bzw. ähnlich anspruchsvoller Beilagen bestätigte die Vermutung: Einige langjährige Anzeigenkunden sind dabei, sich von der nach eigener Aussage dem Qualitätsjournallismus verpflichteten LVZ werblich abzunabeln. Im Klartext: Sie haben erkannt (oder sind auf dem besten Weg dahin), dass das Preis-Leistungs-Verhältnis - vorsichtig formuliert - sich verändert.
Nun mag sich die geneigte Leserschaft meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches fragen, weshalb mich das interessiert ... Ganz einfach: Mit einem der Nichtunterstützer der gewichtigen Schulanfangsverlagsbeilage saß ich vor einigen Tagen zusammen. Die Ernsthaftigkeit seiner Anfrage ist mir nun klarer als noch vor Wochenfrist.

PS.: Herzliche Grüße an K. mit dem Safari-Browser: Ich schreibe jetzt wieder häufiger, der maximale Stress ist vorbei. Dass es demnächst ein paar Tagebuchpausentage geben wird, muss ich Dir ja nicht sagen - Du kennst ja die laufenden gründe.

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Freitag, 6. August 2010
Fraktursatz ist Glücksache. Oder: Peinliche Fehler heutiger Fachleute bei Berichten über das Gestern
Meine Lokalpostille, die nach eigenem Verständnis dem Qualitätsjournalismus verpflichtete Leipziger Volkszeitung, hat ihren LeserInnen heute ein selbst für LVZ-Verhältnisse seltenes Lehr-(Leer?-)Stück in puncto Qualität beschert. Auf einer Doppelseite im Lokalteil wird das 80-jährige Bestehen der Zentrale der Leipziger Konsumgenossenschaft gewürdigt. Oben drüber steht der kleine Hinweis Sonderveröffentlichung, im Impressum zeichnet für Redaktion und Gestaltung die Leipziger Medienservice GmbH, ein „Unternehmen der Leipziger Volkszeitung“ für das oppulente Werk verantwortlich. Im Klartext: Hier wurde gegen Geld veröffentlicht, das ganze Stück ist eine Art Anzeige, nur schöner.
Wirklich schöner? Nun ja, über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, über Propaganda bzw. Werbung auch. Unstrittig sind dagegen Fehler – und an denen mangelt es der Konsum-Doppelseite nicht.
Um dem Stil des Jahres 1930 zu entsprechen, wagten sich die Macher des Werbeblattes auf gefährliches Terrain: Sie setzten, wie weiland in der LVZ des Jahres 1930 (da war als „1. Beilage zu Nr. 182“ ebenfalls ein Konsum-Sonderprodukt erschienen) Überschriften in Fraktur-Schrift. Ein eingeblocktes Faksimile der alten LVZ zeigt eine halbe Seite der damaligen Werbeschrift. Und macht gleichzeitig einen gravierenden Unterschied deutlich: 1930 verstanden die Macher der LVZ noch ihr Handwerk und waren in der Lage, einen Frakturtext den Regeln entsprechend zu setzen. Die findet man u.a. im Duden, sehr lesenswert aber auch http://www.e-welt.net/bfds_2003/veroeff/Knigge_digital.pdf und (kurzgefasst) hier http://www.e-welt.net/bfds_2003/veroeff/S-Regeln_Druck.pdf
Die gebrochenen Schriften kannten gleich zwei Varianten des Buchstaben „s“ – im Unterschied zu heutigen Gepflogenheiten. Je nach Zusammenhang und Stellung im Wort wurde zwischen rundem und spitzem „s“ unterschieden. Das verbesserte die Lesbarkeit und erleichterte das Erschließen von Zusammenhängen ungemein. Die geneigten LeserInnen meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches seien auf das Wort „Wachstube“ verwiesen. Ob es sich um eine Wach-stube oder eine Wachs-tube handelt, muss sich ein Leser heutiger Druckwerke aus dem Zusammenhang erschließen. Im Fraktursatz zeigten rundes und spitzes „s“ den Unterschied an.
Allerdings nur dann, wenn die Hersteller des Druckwerkes Fachleute sind. In der heutigen LVZ wurde lustig drauflosfrakturiert, als ob es kein spitzes „s“ gäbe. Und so findet sich die falsche Schreibweise prompt in Worten wie „sein“ und „seine“, aber auch in „Deutschland“. Peinlich.
Peinlich übrigens auch für die ach so traditionsbewussten Auftraggeber der Konsum-Sonderveröffentlichung, die das Ding ja vor Veröffentlichung gesehen und freigegeben haben.

Nachsatz: Den LeserInnen der Leipziger Volkszeitung sei empfohlen, sich mit einer Lupe zu bewaffnen und den faksimilierten Text der alten LVZ zu studieren. Sehr amüsant – da wird in feinster propagandistischer Manier über das sozialistische Gesellschaftssystem und dessen Zukunft schwadroniert. Diese Lektüre versöhnte mich ein wenig mit dem Pfusch der heutigen Lokalpostilleros. Aber nur ein wenig.

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