Donnerstag, 10. Januar 2008
Tutti paletti? Müll, Kohle und der weltweite Billigtourismus
zeitungsdieb, 11:56h
Einiges Europa? Was für ein Witz! Sicher, wir haben da neuerdings eine gemeinsame Währung, eine gemeinsame europäische Bürokratie, einen Schwarm von Europaparlamentarien und Lobbyisten sowie offene Grenzen (akzeptieren müssen). Wie weit Europa aber von einer „Einheit“ entfernt ist, wird in diesen Tagen wieder besonders deutlich. Während in Deutschland über Feinstaub aus Wohnzimmerkaminen diskutiert und der Müll fast schon nach rechts- und linksdrehenden Molekülen sortiert wird, geht’s andernorts lustig zur Sache. Beim Spartathlon hatte ich 246 Kilometer lang Gelegenheit, mich von den Feinheiten griechischer Entsorgungskonzepte („Am Straßenrand ist Platz, zur Not gibt es Abhänge“) zu überzeugen. Und in Neapel und Umgebung kollabiert derzeit ein Entsorgungssystem, das eigentlich keines ist.
Positiver Nebeneffekt der italienischen Misere: Die perverse Praxis des Mülltourismus’ kommt wieder einmal ins öffentliche Bewusstsein – so die Öffentlichkeit solche Themen denn wahrnehmen will. Viel lauter wird ja derzeit über mafiöse Strukturen in der italienischen Entsorgungslandschaft getönt, wobei nur zu gern vergessen wird, dass auch viele deutsche Entsorger dabei erwischt worden sind, mit nicht wirklich sauberen Mitteln um Aufträge und Genehmigungen zu kämpfen. Was in Italien Mafia genannt wird, heißt in Deutschland nur zu gern xyz-Wertstofflogistik AG oder weiß-der-Deibel-wie-GmbH und hat statt eines Paten einen Aufsichtsratsvorsitzenden.
Aber zurück zum Mülltourismus. Der boomt kräftig. Schon zu „normalen Zeiten“ lassen clevere Entsorger ein Drittel des Mülls der Region Neapel nach Deutschland karren, um ihre Sortier- und Verbrennungsanlagen auszulasten. Professor Michael Braungart von der Universität Lüneburg geht davon aus, dass Deutschland in Zukunft zum „Müllstaubsauger der ganzen Welt“ werden wird. Der 1958 geborene Braungart steht im Ruf eines Ökovisionärs, er ist Verfahrenstechniker, Chemiker (nähere Infos unter www.braungart.com) und befasst sich mit dem Stoffstrom-Management. In einem wdr-Interview (www.wdr.de/tv/monitor/beitrag.phtml?bid=878&sid=163) verwies Braungart auf eine spektakuläre deutsche Besonderheit: Wer hierzulande eine Müllverbrennungsanlage errichten will, müsse beim Genehmigungsverfahren keinen Nachweis für einen tatsächlich vorhandenen Bedarf führen. Die Anlage wird gebaut, der Müll herangeholt. Laut www.sueddeutsche.de/wissen/artikel/992/133742/print.html planen Investoren in Deutschland den Bau von 83 neuen Müllverbrennungsanlagen. In den derzeit 67 vorhandenen Anlagen wurden 2007 rund 18 Mio Tonnen Müll verbrannt. Durch die angestrebten Neubauten wächst die Verbrennungskapazität um weitere 13 Mio Tonnen. Da der deutsche Müll angesichts dieser Überkapazitäten längst zum begehrten Schatz geworden ist, wird auf Teufel komm raus importiert.
Schon jetzt schleppen deutsche Entsorger jährlich über 12 Mio Tonnen Abfall sowie zusätzlich (!) 5,6 Mio Tonnen giftigen Sondermüll zur Verbrennung ins achso grenzwertbesorgte Deutschland. Mit einer drastischen Steigerung dieser Zahlen wird gerechnet, denn „Müll geht immer den billigsten Weg. Wenn die deutschen Verbrennungspreise wegen der vielen neuen Anlagen sinken, wird der Müllimport drastisch zunehmen“, zeigt sich Günter Dehoust, Umweltschutzingenieur beim Öko-Institut in Darmstadt, überzeugt.
Als besonders kritisch betrachten Vertreter des Umweltbundesamtes den Trend von der klassischen Müllverbrennungsanlage (MVA) hin zu so genannten Ersatzbrennstoff-Kraftwerken. Diese Kraftwerke nutzen die thermische Energie des Mülls für die Stromerzeugung aus und arbeiten so weitaus kostengünstiger. Schlägt eine Tonne Müll bei der „hochwertigen“ Verbrennung in einer MVA mit etwa 500 Euro zu Buche, so kostet die Verbrennung der selben Müllmenge in einem Ersatzbrennstoff-Kraftwerk lediglich 50 Euro.
Tücke der Gesetzgebung: Während MVA strengsten Grenzwerten unterworfen sind, gelten für die Müllkraftwerke deutlich weichere Regeln. Das führt dazu, dass die Belastung der Kraftwerksabgase mit Umweltgiften bis hin zum Dioxin um ein Mehrfaches über den Werten der MVA liegen darf – und das bei den schon vorhandenen in aller Regel auch tut.
Aber auch ohne Müllverbrennung lässt sich trefflich Geld verdienen. Die südlich von Leipzig gelegene Deponie Cröbern – benannt nach einem durch den Braunkohleabbau weggebaggerten Dorf – hat eine Kapazität von 12 Mio Kubikmetern. „Schon bei Planung und Bau war sie allerdings heftig umstritten, vor allem deshalb, weil sie völlig überdimensioniert ist“, betonte Liane Deicke, umweltpolitische Sprecherin der SPD, am 15.9.2006 im Sächsischen Landtag. Sie bezeichnet es als Glücksumstand, dass die von RWE ursprünglich beantragte Kapazität von 16,5 Mio Kubikmetern nicht genehmigt wurde.
Die Deponie habe sich für die Stadt Leipzig und die umliegenden Landkreise nach dem Rückzug von RWE als Millionengrab erwiesen und sei nur durch Müllimporte vor dem wirtschaftlichen Aus zu bewahren gewesen.
Zur Verbesserung der Deponieauslastung wurde vor wenigen Jahren eine Mechanisch-Biologische Abfallbehandlungsanlage in Betrieb genommen. Deren Jahreskapazität von 300.000 Tonnen ist ebenfalls weit überdimensioniert – zumindest dann, wenn man vom Müllaufkommen in der Region ausgeht. Und so wurden im vergangenen Jahr nach Aussage des Deponietreibers, der Westsächsischen Entsorgungs- und Verwertungsgesellschaft WEV, „nicht mehr als rund 50.000 Tonnen“ Hausmüll aus Neapel und Umgebung verarbeitet.
Wie WEV-Geschäftsführer Günter Lohmann einem Reporter meiner Lokalpostille versicherte, gibt es „keine Hinweise auf kriminelle Verstrickungen“. Sein GF-Kollege Holger Bauerfeind bezeichnete es zudem als „Völlig ausgeschlossen, dass Sondermüll darunter ist.“ Davon habe sich auch „das italienische Fernsehen“ überzeugt. Damit dürfte die schöne SPD-Landrätin Petra Köpping beruhigt sein, die angesichts der Misere rund um den neapolitanischen Müll um Klärung gebeten hatte.
Tutti Paletti? Wer’s unbedingt glauben will, kann daran sicher nicht gehindert werden.
Aber mal nachgedacht: Zu DDR-Zeiten entsorgte ein auch heute noch recht bekanntes und renommiertes Leipziger Institut radioaktive Flüssigkeiten in einem südlich der Stadt gelegenen Kraftwerk. Dort wurde die Brühe über die per Förderband aus dem Tagebau anrollende Braunkohle gekippt. Die Verbrennung änderte zwar nichts an der strahlenden Laune der Isotope, aber die Verdünnung durch jede Menge Kohle machte pro forma alles wieder gut.
Jede Menge Kohle ... zu DDR-Zeiten kam sie in Gestalt brauner Brocken aus der Erde. Heute sind’s bunte Scheine, und mit dem Müll wird alles wieder gut.
Dass ich in eben diesem Moment an Klas Lage denken muss, ist kein Zufall. Wie singt er in "Monoply" so treffend: "Und die Kohle fällt nach oben".
Schönen Tag noch.
Positiver Nebeneffekt der italienischen Misere: Die perverse Praxis des Mülltourismus’ kommt wieder einmal ins öffentliche Bewusstsein – so die Öffentlichkeit solche Themen denn wahrnehmen will. Viel lauter wird ja derzeit über mafiöse Strukturen in der italienischen Entsorgungslandschaft getönt, wobei nur zu gern vergessen wird, dass auch viele deutsche Entsorger dabei erwischt worden sind, mit nicht wirklich sauberen Mitteln um Aufträge und Genehmigungen zu kämpfen. Was in Italien Mafia genannt wird, heißt in Deutschland nur zu gern xyz-Wertstofflogistik AG oder weiß-der-Deibel-wie-GmbH und hat statt eines Paten einen Aufsichtsratsvorsitzenden.
Aber zurück zum Mülltourismus. Der boomt kräftig. Schon zu „normalen Zeiten“ lassen clevere Entsorger ein Drittel des Mülls der Region Neapel nach Deutschland karren, um ihre Sortier- und Verbrennungsanlagen auszulasten. Professor Michael Braungart von der Universität Lüneburg geht davon aus, dass Deutschland in Zukunft zum „Müllstaubsauger der ganzen Welt“ werden wird. Der 1958 geborene Braungart steht im Ruf eines Ökovisionärs, er ist Verfahrenstechniker, Chemiker (nähere Infos unter www.braungart.com) und befasst sich mit dem Stoffstrom-Management. In einem wdr-Interview (www.wdr.de/tv/monitor/beitrag.phtml?bid=878&sid=163) verwies Braungart auf eine spektakuläre deutsche Besonderheit: Wer hierzulande eine Müllverbrennungsanlage errichten will, müsse beim Genehmigungsverfahren keinen Nachweis für einen tatsächlich vorhandenen Bedarf führen. Die Anlage wird gebaut, der Müll herangeholt. Laut www.sueddeutsche.de/wissen/artikel/992/133742/print.html planen Investoren in Deutschland den Bau von 83 neuen Müllverbrennungsanlagen. In den derzeit 67 vorhandenen Anlagen wurden 2007 rund 18 Mio Tonnen Müll verbrannt. Durch die angestrebten Neubauten wächst die Verbrennungskapazität um weitere 13 Mio Tonnen. Da der deutsche Müll angesichts dieser Überkapazitäten längst zum begehrten Schatz geworden ist, wird auf Teufel komm raus importiert.
Schon jetzt schleppen deutsche Entsorger jährlich über 12 Mio Tonnen Abfall sowie zusätzlich (!) 5,6 Mio Tonnen giftigen Sondermüll zur Verbrennung ins achso grenzwertbesorgte Deutschland. Mit einer drastischen Steigerung dieser Zahlen wird gerechnet, denn „Müll geht immer den billigsten Weg. Wenn die deutschen Verbrennungspreise wegen der vielen neuen Anlagen sinken, wird der Müllimport drastisch zunehmen“, zeigt sich Günter Dehoust, Umweltschutzingenieur beim Öko-Institut in Darmstadt, überzeugt.
Als besonders kritisch betrachten Vertreter des Umweltbundesamtes den Trend von der klassischen Müllverbrennungsanlage (MVA) hin zu so genannten Ersatzbrennstoff-Kraftwerken. Diese Kraftwerke nutzen die thermische Energie des Mülls für die Stromerzeugung aus und arbeiten so weitaus kostengünstiger. Schlägt eine Tonne Müll bei der „hochwertigen“ Verbrennung in einer MVA mit etwa 500 Euro zu Buche, so kostet die Verbrennung der selben Müllmenge in einem Ersatzbrennstoff-Kraftwerk lediglich 50 Euro.
Tücke der Gesetzgebung: Während MVA strengsten Grenzwerten unterworfen sind, gelten für die Müllkraftwerke deutlich weichere Regeln. Das führt dazu, dass die Belastung der Kraftwerksabgase mit Umweltgiften bis hin zum Dioxin um ein Mehrfaches über den Werten der MVA liegen darf – und das bei den schon vorhandenen in aller Regel auch tut.
Aber auch ohne Müllverbrennung lässt sich trefflich Geld verdienen. Die südlich von Leipzig gelegene Deponie Cröbern – benannt nach einem durch den Braunkohleabbau weggebaggerten Dorf – hat eine Kapazität von 12 Mio Kubikmetern. „Schon bei Planung und Bau war sie allerdings heftig umstritten, vor allem deshalb, weil sie völlig überdimensioniert ist“, betonte Liane Deicke, umweltpolitische Sprecherin der SPD, am 15.9.2006 im Sächsischen Landtag. Sie bezeichnet es als Glücksumstand, dass die von RWE ursprünglich beantragte Kapazität von 16,5 Mio Kubikmetern nicht genehmigt wurde.
Die Deponie habe sich für die Stadt Leipzig und die umliegenden Landkreise nach dem Rückzug von RWE als Millionengrab erwiesen und sei nur durch Müllimporte vor dem wirtschaftlichen Aus zu bewahren gewesen.
Zur Verbesserung der Deponieauslastung wurde vor wenigen Jahren eine Mechanisch-Biologische Abfallbehandlungsanlage in Betrieb genommen. Deren Jahreskapazität von 300.000 Tonnen ist ebenfalls weit überdimensioniert – zumindest dann, wenn man vom Müllaufkommen in der Region ausgeht. Und so wurden im vergangenen Jahr nach Aussage des Deponietreibers, der Westsächsischen Entsorgungs- und Verwertungsgesellschaft WEV, „nicht mehr als rund 50.000 Tonnen“ Hausmüll aus Neapel und Umgebung verarbeitet.
Wie WEV-Geschäftsführer Günter Lohmann einem Reporter meiner Lokalpostille versicherte, gibt es „keine Hinweise auf kriminelle Verstrickungen“. Sein GF-Kollege Holger Bauerfeind bezeichnete es zudem als „Völlig ausgeschlossen, dass Sondermüll darunter ist.“ Davon habe sich auch „das italienische Fernsehen“ überzeugt. Damit dürfte die schöne SPD-Landrätin Petra Köpping beruhigt sein, die angesichts der Misere rund um den neapolitanischen Müll um Klärung gebeten hatte.
Tutti Paletti? Wer’s unbedingt glauben will, kann daran sicher nicht gehindert werden.
Aber mal nachgedacht: Zu DDR-Zeiten entsorgte ein auch heute noch recht bekanntes und renommiertes Leipziger Institut radioaktive Flüssigkeiten in einem südlich der Stadt gelegenen Kraftwerk. Dort wurde die Brühe über die per Förderband aus dem Tagebau anrollende Braunkohle gekippt. Die Verbrennung änderte zwar nichts an der strahlenden Laune der Isotope, aber die Verdünnung durch jede Menge Kohle machte pro forma alles wieder gut.
Jede Menge Kohle ... zu DDR-Zeiten kam sie in Gestalt brauner Brocken aus der Erde. Heute sind’s bunte Scheine, und mit dem Müll wird alles wieder gut.
Dass ich in eben diesem Moment an Klas Lage denken muss, ist kein Zufall. Wie singt er in "Monoply" so treffend: "Und die Kohle fällt nach oben".
Schönen Tag noch.
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