Dienstag, 30. Oktober 2007
Nerviges Uhrengeschraube
Na bitte, die Winterzeit hat uns wieder. Wobei – eine Winterzeit gibt es ja gar nicht, wir sind in der Nacht vom 27. zum 28. Oktober zur Mitteleuropäischen Zeit zurückgekehrt, also zur „normalen“. Wobei – was ist schon „normal“?
Auf alle Fälle wurden die Uhren am vergangenen Wochenende eine Stunde zurückgedreht, auf alle Fälle waren die einschlägigen Medien voll von Tipps, wie das geht und ergingen sich in Hinweisen, dass das Wochenende beim Zurückdrehen um eine Stunde länger ausfalle. Und dennoch: In den obligatorischen Umfragen fanden sich wieder herrlich blonde Zeitgenossinnen und Zeitgenossen jeglichen Alters, die nicht zu sagen vermochten, ob sie ihr ohnehin lebenslang nur im Leerlauf arbeitendes Hirn eine Stunde mehr oder weniger ausruhen durften als „normal“. Wobei – was ist schon „normal“?
Über Herkunft der Sommerzeit und technische Umsetzung durch die Braunschweiger Zeitenhüter wurde in den vergangen Tagen ebensoviel medialer Wind gemacht wie um die Frage, ob man den nun oder nicht ... den ganzen Dummfug beibehalten soll.
Immerhin, in diesem Jahr war in dieser Debatte eine neue Nuance zu hören: Ein pfiffiger Mitmensch schlug – wie viele andere auch – die Abschaffung der leidigen Umstellerei vor, regte in diesem Zusammenhang aber an, die „normale“ Zeit abzuschaffen und statt dessen die Sommerzeit zur Norm zu erklären. Wobei – was ist schon „normal“?
Normal wäre es aus meiner Sicht, die nun seit Jahren schon als kontraproduktiv erkannte und auch in energetischer Hinsicht als solche festgestellte Umstellerei schlichtweg zu beenden. Hier könnten sich profilierungssüchtige Politiker verdient machen. Ein solcher Vorstoß hätte den großen Vorteil, bei seiner Realisierung keine Kosten zu verursachen, niemandem wirklich wehzutun und ungeheuer populär zu sein. Aber was tut die abgehobene Politikerkaste? Brabbelt tumbes Zeug über Auslandseinsätze, Alimentierungsleistungen, Tempolimits und anderen Kram.
Am meisten verblüfft mich, dass unser aller Sonnenkönig Wolfgang vom Tiefen See sich des Themas noch nicht angenommen hat. Gerade dieser eloquente Politiker hat doch die bemerkenswerte Fähigkeit, sich mit seinem Ministerium für Volksbeglückung, Wohnungsverschönerung und Ostgebietsbefriedung um alle wirklich ernsthaften Konflikte zu drücken. Sobald aber eines der durch die Welt trudelnden Themen ins Wolfgangs Beuteschema passt („Atomkrieg, Hunger oder Flut, mit Wolfgang wird schon alles gut“), wird’s geschnappt und nicht wieder vom Haken gelassen. Und mal ehrlich: Die Abschaffung der Sommerzeit wäre doch was für unseren Neu-Berliner Ostbeauftragten. Da könnte er seinen Lächelmodus anknipsen strahlend verkünden, dass wir der inneren Einheit Deutschlands nun ein stückweit näher gekommen sind. „Die SPD hat es als große, friedliebende Volkspartei geschafft, die Fesseln der Vergangenheit zu überwinden und die aus Kriegs- und Notzeiten geborene Zeitumstellung zu beenden.“
Auch aus ganz persönlichen Gründen bin ich übrigens dafür, die Uhrenverdreherei abzuschaffen. Dabei geht es mir nicht vordergründig um die nervige Frage „Haben wir schon oder haben wir noch nicht ...“ Als ich am „Morgen danach“ meine Computer startete, vermeldeten sie mir mit sklavischer Unterwürfigkeit die vollzogene Umstellung, baten jedoch um Überprüfung der vollbrachten Leistung. Solche Leute mag ich, die Angst vor der eigenen Courage haben und keine Verantwortung übernehmen.
Viel schlimmer war jedoch, dass eines meiner Grafikprogramme die Zeitumstellung zum Anlass nimmt, die mit einem Layout verknüpften externen Dateien plötzlich als „bearbeitet“ einzustufen und diese prompt einer Aktualisierung unterzieht. Bei einem größeren Layout mit einigen hundert Abbildungen nervt solcherart Betriebsamkeit ungemein. Wobei – ohne dieses Erlebnis hätte mir der Leidensdruck zum Schreiben dieses Tagebucheintrages gefehlt.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Mittwoch, 24. Oktober 2007
Diktatoren, Diktaturen und Wikipedia-Autoren
Namen haben eine Bedeutung. Sollten sie zumindest. Die Namen von Menschen ebenso wie die Namen von Städten. Die verordnete Umbenennung von Menschen hat etwas Anrüchiges. Zwei Gründe gab es dafür während der Zeit, als in Deutschland die Nazis herrschten. Der Zwang zur Umbenennung galt zum einen für Juden, die durch „passende“ Beinamen auch verbal erkennbar gemacht werden sollten. Zum anderen traf die Umbenennung aber auch „arische Volksgenossen“, deren Familienname unarische Herkunft vermuten ließ. Im Unterschied zu den deutschen Angehörigen des auserwählten Volkes wurden diesen auserwählten Angehörigen des deutschen Volkes mehrere Namen vorgelegt, aus denen sie ihren künftigen, rassehygienisch unverfänglichen, zu wählen hatten.
Doch solcherart Menschenumbenennung ist es nicht, über die ich in diesem Tagebucheintrag philosophieren möchte. Umbenannt werden auch Städte, weil deren Bezeichnung nicht mehr in die Zeit passt. Wohl populärstes Beispiel ist die Stadt Chemnitz, die am 10. Mai 1953 per Beschluss der DDR-Regierung den Namen Karl-Marx-Stadt erhielt. Dennoch verschwand der Name Chemnitz nicht gänzlich, denn der namensgebende Fluss ringelte sich weiter durch die Stadt. Nachdem am 23. April 1990 76 Prozent der Karl-Marx-Städter für die Rückbenennung gestimmt hatten, erhielt die Stadt am 1. Juni 1990 ihren alten Namen wieder. Der „Nischel“ (ein riesiger Karl-Marx-Kopf) blieb der Stadt hingegen und ist heute eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten.
Dass die Chemnitzer zu Karl-Marx-Städtern wurden, ist einem Zufall zu verdanken. Der Name des bärtigen Philosophen und auch heute noch anerkannten Wirtschaftswissenschaftlers Marx war eigentlich einer anderen Stadt zugedacht: Karl-Marx-Stadt sollte die ab 1950 errichtete Werkssiedlung des späteren Eisenhüttenkombinates Ost heißen, der Name des „größten Sohnes des deutschen Volkes“ sollte der Stadt an dessen 70. Todestag, am 14. Mai 1953, verliehen werden.
Diktator Stalin machte den Mächtigen der DDR einen Strich durch die Rechnung, in dem er am 5. März 1953 starb. Ihm zu ewigen Ehren erhielt die jüngste Stadt der DDR am 7. Mai 1953 den Namen Stalinstadt, den nun vakanten Namen Karl Marx lenkte man flugs nach Chemnitz um.
Im Zuge der Entstalinisierung wurde aus DDR-Stalinstadt unter Hinzuziehung anderer Kommunen das heutige Eisenhüttenstadt. Auch all die anderen Stalinstädte – laut Wikipedia gab es davon weitere 13 – gibt es nicht mehr, sie heißen heute Wolgograd, Varna, Duschanbe, Donezk, Donauneustadt …
Bis zu dieser Stelle ist das alles noch ganz einfach. Das Schema ist klar: Eine Stadt wird unter konkreten politischen Rahmenbedingungen nach einer zu dieser Zeit wichtigen Person benannt, die Zeiten und Bedingungen ändern sich, der nun verfängliche Name wird getilgt.

Aber keine Regel ohne Ausnahme:
Die Stadt Wolfsburg trägt ihren Namen nicht etwa nach den Wölfen, die rund um die Wiege des Volkswagens durch die Wälder ziehen. Sie wurde nach dem Hitler-Pseudonym „Wolf“ benannt. Hitler legte am 28. Mai 1938 persönlich den Grundstein für das Volkswagenwerk, fünf Wochen danach begann der Bau einer Stadt für die Belegschaft, die damals wohl Gefolgschaft hieß. „Nach Ihnen, mein Führer, soll die Stadt 'Wolfsburg' heißen”, verkündete Robert Ley, der Führer der Deutschen Arbeitsfront, seinerzeit. Doch der Gröfaz wies die Ehrung zurück, bis Kriegsende hieß der Ort provisorisch „Stadt des KdF-Wagens”. Seinen heutigen Namen erhielt Wolfsburg erst Wochen nach Hitlers Tod, am 25. Mai 1945 auf Beschluss des Magistrates der Stadt und mit Billigung der britischen Besatzungsbehörden.
Historiker halten es inzwischen für sehr wahrscheinlich, dass letztere nicht wirklich wussten, welchem Wolf die Stadt ihren Namen verdankt. Wikipedia müht sich zumindest redlich, die Namensgebung auf die mittelalterliche Wolfsburg des Geschlechtes derer von Allersleben zurückzuführen und lässt den euphorischen Spruch des DAF-Führers Ley gänzlich unter den Tisch fallen. Wer sich die Mühe macht und unter http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfsburg mal die Artikelhistorie und die Versionsdiskussionen nachliest, der findet eine amüsante Lektüre und kann zu gelinden Zweifeln an der Glaubwürdigkeit von Wikipedia gelangen. Wenn das Aussehen eines Eintrages letzten Endes davon abhängt, welcher Autor seine Sicht der Dinge mit welchem Grad an Fanatismus verteidigt, ist Skepsis angebracht.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Geile Verarsche
Gleich mehrere Agenturen meldeten gestern das bevorstehende Ende der nervigen Werbekampagne „Geiz ist geil“. Fünf Jahre lang – wie schnell die Zeit doch vergeht, trotz der psychischen Pein hätte ich nie geglaubt, dass diese werbliche Geilheit ein halbes Jahrzehnt angedauert hat – versuchte die Media-Saturn-Holding ihren Kunden einzubläuen, dass Geiz geil sei und dass der sich daraus ergebende Triebstau am besten in einem der mehr als 160 europaweit betriebenen Saturnmärkte abzureagieren sei. Genauso gut oder schlecht wären die werbegläubigen Kunden übrigens auch bei dem Ich-bin-doch-nicht-blöd-saubillig-und-noch-viel-mehr-Mediamarkt aufgehoben, denn schließlich gehören beide Ketten unter das Dach der Media-Saturn-Holding, die wiederum Teil der Metro-Gruppe (u.a. Makro, Galeria-Kaufhof, real,-, Adler Modemärkte, Pelikan) ist.
Aber kommen wir zum Geiz zurück, der ja irgendwie geil sein soll. Beim Stichwort „geil“ muss ich mit schöner Regelmäßigkeit an eine mehr als 30 Jahre zurückliegende Deutschstunde denken. Auf die Frage nach der Beziehung zwischen Gretchen und Dr. Faust beglückte der „lange Hänsel“ die zunächst erstarrte, dann fröhlich gröhlende Abiturklasse mit seinem zur Legende gewordenen Spruch „Die war doch spitz wie ä Waggon Sensen“.
Die regelmäßigen Leser meines Tagebuches wissen, dass ich in aller Regel etwas um die Ecke denke. „Spitz“, das sagte man als braver Schüler damals, weil doch das Wort „triebhaft“ gar zu sperrig und das Attribut „geil“ allzu verrucht geklungen hätten.
Geil, das steht heute laut Duden „jugendsprachlich für toll“. Hmmm. Folglich war Geiz in Deutschland und Umgebung fünf Jahre lang toll, nun soll er es nicht mehr sein. Statt dessen setzen die Bewohner des Planeten der Kistenschieber nun ihre an Anteil am 500-Millionen-Euro-Werbeetat der Media-Saturn-Gruppe dafür ein, dass auch der letzte Depp seine geizige Geilheit vergisst und nun in ein Wechselbad der Gefühle stürzt: „Wir lieben Technik! Wir hassen teuer!“
Begründet wird der Sinneswandel mit dem Wandel des Zeitgeistes. „Als die Kampagne vor fünf Jahren gestartet wurde, war die deutsche Wirtschaft in einer völlig anderen Verfassung. In schwierigen Zeiten hat der Kunde zuerst auf den Preis geschaut“, diktierte Roland Weise, der Geschäftsführer der Media-Saturn-Holding, kürzlich aufmerksamen Journalisten in die Blöcke. Zudem hat die Gesellschaft für Konsumforschung festgestellt, dass der preisorientierte Einkauf seinen Zenit überschritten hat, Um 2005, so die Marktorakel, sei der Höhepunkt erreicht gewesen. Nun ist es mit Höhepunkten, von denen man erst Jahre später weiß, dass es welche waren, immer so eine Sache. Aber die Erinnerung verklärt ja manches.
Aber zurück zu Mutter Metros Elektroläden. Es hat sich ja mittlerweile bei vielen Kunden herumgesprochen, dass die alles andere als die Billigheimer der Branche sind. Wer keines der Lockvogelangebote, sondern ein ganz bestimmtes Gerät kaufen wollte, fand das im Fachhandel zumeist preisgünstiger. Außerdem konnte er sich dort von Verkäufern (jaja, auch –innen) beraten lassen, die ihren Job verstehen und nicht nur Werbespruchvorleser sind. Na gut, die bei den Metrokindern aggressiv beworbene, obersuperdupergeiiiile Digitalknipse mit ihren gefühlten Einskomma-und-noch-viel-mehr Megazwickseln erhielt der geneigte Kunde im Fachhandel nicht. „So’n Schrott kommt mir nicht ins Regal“, erfuhr der Kunde vom empörten Fachmann. „Der Mist war doch schon vor fünf Jahren veraltet.“ Schluck.
Vorsicht ist also angebracht, wenn geizgeilen Werbeschwafler vorgeben, sich zum Stichtag in technikliebende Teuerhasser zu verwandeln. Wer einmal festgestellt hat, dass es sich mit der Dummheit und Gutgläubigkeit vermeintlich mündiger Kunden gut leben lässt, der wird sich doch nicht um 180 Grad drehen, sondern weiterhin das tun, was gute Gewinne bringt: die Kunden verarschen. Geil.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Montag, 22. Oktober 2007
Rührendes Erinnermich - leider "nur" made in USA
Gelegentlich bezeichnet meine Frau mich als Holzklotz. Sie hat damit nicht ganz unrecht, denn ich bin nicht eben dicht am Wasser gebaut. Die üblichen Herz-Schmerz-Geschichten (Dirty Dancing, E-Mail für Dich und wie sie alle heißen) finde ich bestenfalls amüsant. Gerührt sein oder gar feuchte Augen bekommen? Fehlanzeige. Das mag daran liegen, dass ich a) männlichen Geschlechts und b) ein wenig unter dem heute außer Mode geradenen Motto "Ein (deutscher) Junge weint doch nicht!" aufgewachsen bin.
Da muss schon echtes Gefühlskino her, wenn ich dieses seltsame Ziehen bekommen oder gar ein verschämtes Tränchen fließen lassen soll. Echtes Gefühlskino, das sind die Befreiungsszenen bei Chuck Norris "Missing in Action", das sind die ungeschnittenen Rambo-Filme oder auch die Schluss-Szene in "Intruders"
Heute durfte ich mal wieder gerührt sein. Welcher Film das geschafft hat? Ein Werbefilm. Einer, der dafür wirbt, Freunde, Bekannte, Verwandte etc. auf Auslandseinsatz nicht zu vergessen. Der dafür wirbt, an sie zu denken, ihnen zu schreiben, ihnen, wenn sie nach Hause kommen, einen Empfang mit lächelnden Gesichtern zu bereiten. Schließlich machen sie in der Ferne ihren Job, riskieren Leben und Gesundheit und sind dort, um unser Leben hier irgendwie ein wenig sicherer zu machen. Wer Nachrichten hört und/oder Zeitung liest, weiß, wie viele Deutsche in aller Welt im Einsatz sind. Auf Beschluss des Bundestages.
Nun mag sich der eine oder andere Leser meines kleinen Tagebuches allmählich fragen, warum er diesen Werbefilm (etwas linkere Zeitgenossen mögen ihn als Propaganda bezeichnen) nicht kennt?
Ganz einfach: Dieser Film ist kein deutscher Film, es ist ein Streifen aus den USA, der unter dem Titel "Remember me" zum Erinnern an die amerikanischen Soldatinnen und Soldaten aufruft, die weltweit im Einsatz sind, ums Leben kamen, verletzt wurden, unversehrt wieder heimkommen ...
Ich halte die amerikanische Außenpolitik in vielen Punkten für gut und richtig, in anderen wiederum nicht. Dass es einen solchen Film aber nicht für deutsche Männer und Frauen gibt - und auch nicht geben wird -, die fern der Heimat im Einsatz sind, wirft aus meiner Sicht ein beschämendes Licht auf deutsche Verhältnisse und Denkweise.
So, und nun der Film - bitte den Ton nicht vergessen.


https://www.youtube.com/watch?v=ervaMPt4Ha0

PS.: Und sollte ein Leser meines kleinen Tagebuches doch einen solchen Film "Made in and for Germany" entdecken, wäre ich für einen Hinweis dankbar und korrigiere mich gern.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 19. Oktober 2007
Bahnstreik, Boxer und Pressearbeit (letzteres leider nicht mit B)
Die regelmäßigen Leser dieses kleinen Tagebuches wissen, dass ich meine Brötchen samt Belag als Journalist verdiene. Um genau zu sein, als freier. Was nun wieder mit dem „Freier“ nichts zu tun hat, sondern dem freien Status, den man auch als vogelfrei übersetzen kann. Um – jetzt werde ich mal neudeutsch – in diesem Geschäft „gut aufgestellt zu sein“, muss ich mich einerseits „auf meine Kernkompetenzen besinnen“ und andererseits „horizontal diversifizieren“. Da ich weder Volkswagen noch die Bahn bin, jetzt noch mal auf Deutsch: Schuster, bleib bei Deinem Leisten und sieh zu, dass Du auf vielen Hochzeiten tanzen kannst.
Eine der Hochzeiten, auf denen ich gelegentlich tanze, beinhaltet das Auftreten vor fremden, aber wissbegierigen Menschen. Die sind so nett, dass sie mir den einen oder anderen Kaffee samt Schnittchen spendieren und mir sogar einige Euro zukommen lassen. Dafür erzähle ich diesen Leuten etwas über Pressearbeit, über Kommunikation und Krisen-PR. Für derartige Veranstaltungen benötige ich natürlich Praxisbeispiele, um meiner Fangemeinde darlegen zu können, wo eine gewiefte PR-Truppe ihren Auftraggeber vor bösem Ungemach bewahrt hat und wo eine Sache aus lauter Dusseligkeit so richtig in die Hose gegangen ist.
Den aktuellen Lokführerstreik verfolge ich deshalb mit größtem Interesse. Hier die große Bahn, der mächtige Logistikkonzern. Gewinn im Jahr 2006 stolze 1,68 Mrd. Euro, im Mai 2007 229.000 Mitarbeiter. Dort die kleine Gewerkschaft, die GDL. Zu deren Mitgliedern zählen immerhin 15.500 Triebfahrzeugführer (Wo ist nur der Lokführer geblieben?) per Mai 2007, was einen Marktanteil von immerhin 79 Prozent ausmacht. Insgesamt 62 Prozent des Zugpersonals gehören der GDL an. Ganz nebenbei ist sie ein Traditionsunternehmen: Als sie 1867 gegründet wurde (Damals als Verein Deutscher Lokführer), waren Bsirske und Co. Noch nicht einmal der sprichwörtliche Quark im Schaufenster.
Im Streit zwischen Bahn und GDL waren die Sympathien anfangs relativ eindeutig verteilt. Selbst Ottonormalverbraucher brachte Verständnis für die Gewerkschaft auf, denn schließlich machen das ja alle und warum soll es den Lokführern schlechter gehen als den anderen. Und auch beim ersten Warnstreik blieben die Gewerkschafter die Guten.
Dann handelte die Bahn so, wie die Bahn immer handelt. Sie machte Dampf auf, ruckelte langsam an und kam allmählich in Fahrt. Schließlich ist ein mit 3000 Tonnen beladener Güterzug beim Porsche beim Ampelstart. Aber wenn sie rollt, dann rollt sie. Das gilt auch für die PR-Maschinerie des Staatskonzerns.
Schnell war von den „unverschämten Forderungen“ der GDL die Rede. Mal ehrlich, 40 Prozent sind aber auch üppig. Das begreifen sogar Pisa-Kids, die das für „irgendwie gefühlt ist das’n Haufen Kohle, eine Verdoppelung, ey!“ halten. Davon, dass die Lokführer vorher länger als jede andere Berufsgruppe keine Gehaltserhöhung hatten, redet keiner. Auch nicht davon, dass die 40 Prozent der Spitzenwert sind und dass hier nicht nur von Lokführern die Rede ist, sondern dass die GDL einen Fahrpersonaltarifvertrag anstrebt. Und auch die GDL hat’s nicht wirklich kommuniziert. 1:0 für den Güterzug.

Beim ersten Kurzstreik machte die Bahn etwas, was wohl nur die Bahn machen kann. Sie drückte auf den roten Knopf und nannte das Notfallplan. Die Lokführer waren längst wieder im Dienst, doch die Züge standen weiter, bis der Tag vorüber war. Woanders heißt das Aussperrung, aber die Bahn bestreikte sich selbst. Die Sympathien wackelten, die GDL verpasste es, diesen Punkt zu thematisieren. 2:0 für den Güterzug.

Dann kam die Bahn und bot der GDL satte zehn Prozent. „Nun wird alles gut“, dachte der genervte Bahnnutzer und freute sich. Doch die GDL lehnte ab und rutschte in die böse Ecke. Nur wer sehr, sehr genau hinhörte und sich im Kleingedruckten informierte, entdeckte die Propagandalüge hinter den satten zehn Prozent. Die waren in Wirklichkeit nur viereinhalb, denn Rest soll’s für acht Stunden monatlicher Mehrarbeit geben. Doch selbst bei wohlwollender Addition kommen nur neuneinhalb Prozent raus. Aber mal ehrlich: Die zehn Prozent haben doch (fast) alle deutschen Medienbürger geschluckt. 3:0 für den Güterzug.
Nun kommt die Bahn erst richtig in Fahrt. Als die Lokführer, schon ein wenig desillusioniert, am 18. Oktober Seit’ an Seit’ zum nächsten Streik schreiten, lässt die Bahn eine Personalie platzen. GDL-Chef Manfred Schell hat eine dreiwöchige Kur angetreten, wird bekannt. Sicher, man hat Verständnis dafür, dass der in Ehren ergraute Gewerkschaftsmann seine bereits mehrfach verschobene Kur nun endlich antritt, Gesundheit geht schließlich vor. Aaaaaber in dieser Situation … Ganz nebenbei wird noch bekannt gegeben, dass die GDL ein schwieriger Partner für die Presse ist. Der Kommunikationsabteilung der Bahn, die für sich genommen schon ein größeres Unternehmen ist, hat sie zwei Pressesprecher entgegenzusetzen. Arme GDL. Die wechseln sich zur Zeit ab, denn der lang geplante Jahresurlaub muss weg. Dumm gelaufen. 4:0 für den Güterzug.

Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Sie wird, zum Ärger vieler Bahnkunden und hoffentlich nicht zum großen Schaden der GDL weitergehen. Fest steht schon jetzt, dass sie ein Lehrbeispiel für gute und schlechte Kommunikation darstellt. Fest steht auch, dass PR-Leute etwas von Boxern haben müssen. Wildes Herumgewedele mit den Fäusten und markige Sprüche bringen auf Dauer nichts. Der lucky punch ist selten. Dann schon eher das Agieren eines überlegt-überlegenen Henry Maske. Lauern, abwarten und punkten. Und hat man eine schwache Stelle gefunden, immer wieder drauf. Immer wieder, bis die Augenbraue platzt. Oder, bis der Manfred wegen gesundheitlicher Gründe nicht aus der Kur zurückkommt und seinen Stuhl für den Claus aus Dresden freimacht.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 18. Oktober 2007
Rolly, eine reisende Träne, eine Nappsülze und andere Betrachtungen
Das menschliche Gehirn ist wunderbar. Darüber habe ich in diesem kleinen Tagebuch an anderer Stelle schon das eine oder andere Mal philosophiert. Heute bot sich mir wieder Gelegenheit, über die seltsamen Dinge, die in meinem Kopf passieren (ich verzichte bewusst darauf, verallgemeinernd von aller Menschen Gehirn zu reden), nachzudenken.
Im Gespräch mit einem Lauffreund kam die Sprache auf den Weltumrunder Robby Clemens, über den ich ja in diesem Blog nichts mehr schreibe. An diesem Gelübde halte ich fest, der pfundige Tommy von der Suppenillu muss mir also nicht gleich wieder mit Klage und Schlimmerem drohen, sondern kann seine Zeit dafür ver(sch)wenden, Möchtegernfachmagazine vollzutexten.
Nein, ich schreibe an dieser Stelle nicht über den worldrun, sondern über Assoziationen. Kaum hatte ich den Namen Robby Clemens im Ohr, ging mir eine Melodie durch den Kopf. Welche? Es war weder „Money“ von Pink Floyd noch „Sweet Little Lies“ von Fleetwood Mac. Und auch nicht „Guten Morgen, liebe Sorgen“ von Jürgen von der Lippe, obwohl die ja auch alle irgendwie zu Rolly Schlehmens passen.
Fast ist es mir peinlich, es preiszugeben, aber ich dachte in diesem Moment an Slavatore Adamo, ganz konkret an den größten deutschen Erfolg des Belgiers, „Es geht eine Träne auf Reisen“.
Es bereitete mir große Schwierigkeiten herauszufinden, über welche Synapsen dieses Lied, das immerhin 15 Wochen in den deutschen Top-10 dudelte, mit Rolling Rolly verbunden ist. Schuld ist meine sächsische Muttersprache. Kenner meiner feinen Aussprache wissen, dass ich ja eigentlich in reinstem Hochdeutsch parliere und nur ausnahmsweise ins breede Sächssch vorfalle. Schdimmd’s, Bauwerschnegge?
Aber in der wunderbar melodischen sächsischen Sprache gibt es das Wort Träne (sprich: Dräääähne) mit zwiefacher Bedeutung. Zum einen beschreibt diese Vokabel das Wasser, das mitunter aus den Augen dröbbeld, zum anderen aber auch eine bestimmte Art Mensch.
Eine Dräääähne, das ist so ziemlich das Gegenteil von einem erfolgreichen Jungdynamiker, eher so etwas wie eine Plinse (Sächsisch für Eierkuchen). Dräääähne, das kommt irgendwie von Tran. Eine Dräääähne ist nicht der Hellste, nicht der Schnellste, immer mal gut für ein Jammerchen, ist ein Weichei, das sein Umfeld nervt.
Und manchmal geht eine Dräääähne eben auf Reisen.
Ein anderes schönes Wort aus dem herrlichen ursächsischen Sprachschatz ist übrigens „Nabbsülze“. Schade, dass Salvatore Adamo darüber kein Lied gemacht hat. Aber ich kann es ja mal versuchen:

Eine Nabbsülze gullerd um de Weld,
steichd ins Audoh, wenn’s ihr gefälld.
Hadd viel zu jammorn, denn’s dud immor was weh,
mal de Hifde, mal dor Rüggen, mal ä Zeh.
Abor am neundn Novembor, da gehd’s dor Nabbsülze widdor doll,
da fährd se nach Berlin und haud alln de Daschn rischdsch voll.

Für den Fall, dass unter den Lesern meines kleinen Tagebuches ein Schlagerproduzent sein sollte, weise ich vorsorglich auf meine wirklich hörenswerte Gesangsstimme hin. Es bedarf zu ihrem Erklingen zwar eines nicht ganz geringen Bierkonsums, aber die Investition lohnt sich.

... link (1 Kommentar)   ... comment


Montag, 15. Oktober 2007
IP-Adressen, Schlapphüte und Freudsche Versprecher
Der schwarze Wolfgang hat mit seinem unsäglichen Gebabbel von Bundestrojaner und Onlinedurchsuchung den einen oder anderen Internetnutzer dazu gebracht, über die Tücken des Mediums nachzudenken. Und so hat nun so mancher festgestellt, dass die schöne, heile Onlinewelt alles, nur nicht anonym ist. Dabei rede ich gar nicht vom Ausspähen fremder Festplatten, sondern nur von den IP-Adressen. Wer gar nicht weiß, was sich hinter dieser Bezeichnung verbirgt, möge hier nachschauen: http://de.wikipedia.org/wiki/IP-Adresse
IP-Adressen sind notwendig und nützlich. Notwendig, weil sie den ganzen Internetspaß erst chaosfrei zum Laufen bringen. Nützlich, weil man mit ihrer Hilfe einen bestimmten Computer im Netz (über einige Umwege) identifizieren kann.
Das tun nicht nur die Schlapphüte vom BKA, die jüngst dabei ertappt wurden, die IP-Adressen der Nutzer bestimmter BKA-Seiten zu erfassen. Motto: „Wer so was liest, hat Dreck am Stecken.“ IP-Adressen werden auch für Werbezwecke eingesetzt. Auf vielen Seiten wird dem Nutzer lokale Werbung gezeigt: Das reicht von den vermeintlich „geilen Frauen in der Nachbarschaft“ bis zum Kinoprogramm aus der nahen Stadt.
Wer nicht zum gläsernen Internetnutzer werden und den Datensammlern ein wenig die Tour vermasseln will, der sollte über die Verwendung eines Dienstes nachdenken, der die IP-Adresse des Nutzers verändert, anonymisiert o.ä. Man muss dazu kein Kinderschänder, kein DVD-Schwarzhändler und auch kein Blondierungsmittelgroßverbraucher sein, sondern nur ein ganz gesundes Verhältnis zu Begriffen wie „Privatsphäre“ haben. Und man braucht dazu auch kein Informatikstudium, Netzwerke wie TOR (nicht zu verwechseln mit „Thor“!) sind simpel zu nutzen.
Aber: Auch wenn ich nicht zur Schlapphutfraktion gehöre, so ertappe ich mich doch gelegentlich selbst dabei, mir anderer Leute IP-Adressen anzuschauen. Schließlich will man ja wissen, wer so alles auf der einen oder anderen „eigenen“ Seite landet, wer wann die Bloggereien des Zeitungsdiebes liest. Zwar kann ich den einzelnen IP-Adressen keine Namen und Hausnummern zuordnen, dazu brauchte ich schon einen guten Freund bei einer Ermittlungsbehörde. Aber ich kann sehen, woher die Stammleser meines kleinen Tagebuches kommen, mit welchem Browser sie durchs Netz surfen etc. Und auch die plötzlichen Neu- oder Wiederleser meines Tagebuches lassen sich ausmachen.
In diesem Sinne: Vielen Dank an die geneigte Leserschaft, schaut doch immer mal wieder rein. Ich sage die IP-Adressen meiner Besucher auch garantiert nicht weiter. Dennoch: Mit der Zwiebel surft es sich entspannter ...
Des Rätsels Lösung: Das "o" in TOR steht für Onion *g*

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 11. Oktober 2007
Johannes B., die blonde Eva und die alternden Diven
So, nun hat’s mal wieder geraschelt im Blätterwald. Eva Hermann wurde aus der Aufzeichnung von Johannes B. Kerners ZDF-Show gewippt, nachdem sie sich im Hinblick auf ihre Äußerungen zur Familienpolitik (im Klartext: in Sachen Promotion-Kampagne für ihr neues Buch) uneinsichtig gezeigt hatte. Was ich von der kalkulierten Provokation, die Herman meiner Meinung nach zwecks Verkaufsförderung ganz bewusst einsetzt, halte, ist in diesem Tagebuch bereits beschrieben worden.
Showgäste wie Margarethe Schreinemakers und Senta Berger hätten angesichts der Äußerungen Hermans ihrerseits mit Ausstieg aus der Runde gedroht. Zum einen erinnert das sehr an Sandkastengeplänkel. Da sind zwei Weiber sauer, weil der tolle Onkel nur mit einer anderen redet, während sie umsonst so tolle Burgen bauen. Zum anderen: Who the fuck is Schreinemakers? Sicher, vor eineinhalb Jahrzehnten war da mal was, aber das ist doch ein verloschener Zwergstern, den nicht mal das Dschungelcamp haben wollte. Und auch Senta Berger ist ja wohl nicht mehr die Zugnummer ...
Also wenden wir uns Johannes B. Kerner zu. Wenn er (oder besser: seine Berater) Eva Herman in die Show einladen, tun sie das doch nicht, um mit ihr über Blondierungsmittel und ihre Zeit als Gebrauchtwagenhändlergattin zu reden. Kerner wollte Herman, um dem Rentnersender eine ordentliche Quote zu bescheren. Er weiß, dass die brabbelnde Eva provoziert und polarisiert und hat geglaubt, dass er sie ebenso wie seine alternden Diven einwickeln und auf Sendeformat bringen kann.
Fehlanzeige. Die Frau mag zwar ein eigenartiges Verhältnis zur deutschen Geschichte und zu aktuellen Werten haben, aber sie ist nicht blöd, sondern weiß, was sie will. Das stand vor der Einladung zu Kerner fest, und eben das hat sie durchgezogen. Nicht mehr, und nicht weniger.
Und damit hat sie ihr Ziel ebenso erreicht wie der nun empört dahergrummelnde Kerner. Die Eva hat ihre Publicity, und Johannes seine Quote. Und sogar Senta und Margarethe waren wieder mal im TV. So läuft der Laden. Und alle sind glücklich bis an ihr Lebensende.

PS.: Aber Kerner hat ja neue Gäste in Aussicht. Wie das worldrun-Management verlauten ließ, soll Robby Clemens (ja, den gibt’s noch, auch wenn’s kaum ein Schwein interessiert) ja zu Kerner kommen. Und der geht nach der Auslade beim Riverboot natürlich hin, der geht ja zu jeder Eröffnung – sogar, wenn’s ein Briefumschlag ist.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 28. September 2007
Wechselbad der Gefühle
„Fürwahr es wechseln Pein und Lust, genieße, wenn Du kannst, und leide, wenn Du musst.“
Johann Wolfgang von Goethe war’s, der diesen sinnigen Spruch zu Papier brachte. Bei richtig langen Ultraläufen lasse ich mir diesen Vers durch den Kopf gehen, er passt zum Laufen und lässt mich auch nach zehn oder mehr Stunden einem dem aktuellen Leidenszustand angemessenen Rhythmus finden.
Heute fiel mir die Sache mit Pein und Lust bei der morgendlichen Zeitungslektüre ein. Meine Lieblingslokalzeitung, die mir immer schön pisatauglich erklärt, wie die Welt zu sein hat, macht ihre 1. Seite am 28. September nicht etwa mit Bildern und/oder einem Bericht aus Birma auf. Nö, der findet sich erst später.
Aufmacher ist ein Riesenfoto aus dem Leipziger Hauptbahnhof, denn die dortigen Promenaden – ein ECE-Shoppingcenter – feiern derzeit ihr zehnjähriges Bestehen. Grübel, grübel. War da nicht gestern eine dicke Verlagsbeilage (zu Zeiten von Marlen Gilzer und dem Sat1-Glücksrad hieß so etwas „Dauerwerbesendung“) über zehn Jahre Promenaden im Blatt? Ein Schelm, wer Arges dabei denkt ...
Mal sehen, ob dahinter System steckt. Was gab es gestern noch in meiner Lokalpostille? Grübel, grübel. Richtig, Leipzig feiert ein Jahr Karstadt-Neueröffnung. Dieses weltbewegende Ereignis wurde gestern ebenfalls mit einer gedruckten Dauerwerbesendung gewürdigt. Prompt findet sich als Lokalaufmacher ein riesiges Bild, auf dem Karstadt-Models zu sehen sind. Im Bildtext wird das Festprogramm noch einmal vermerkt.
Natürlich bringt es einem Schreiberling einen gewissen Lustgewinn, wenn er vorhersagen kann, was am nächsten Tag in der Zeitung steht. Aber diese Prophezeiungen dann auch noch erfüllt zu sehen – das ist mitunter Pein (obwohl es anderen Leuten peinlich sein sollte - Stichwort Pressekodex)!

Nochmehr Pein und Lust gefällig? Vor einigen Tagen ließ ich mich in diesem Tagebuch über die ausgesprochen seltsamen Pläne von BuJuMi Zypries zur Registrierung von Sprengstoffzutatenkäufern aus. Den Text schickte ich als Leserbrief auch an meine Lokalpostille. Heute fand ich ihn doch tatsächlich im Blatt. Oh welche Lust.
Aber schon folgte die Pein: Die Redaktion hatte ihr ausdrücklich vermerktes Recht zur sinnwahrenden Kürzung genutzt und mein Textlein ein wenig reduziert. Das ist wie bei einer Sauce: Wenn der falsche Koch ans Reduzieren geht, schmeckt's nicht mehr. Wer die redukastrierte Fassung im Lokalteil meiner Postille liest, könnte durchaus Verständnisschwierigkeiten haben. Schließlich weiß der terroristisch bzw. chemisch nicht vorgebildete Leser wahrscheinlich nicht, was Nitratdünger und Diesel mit Terrorismus zu tun haben. Ich hatte es erklärt, ohne Rezepte zu nennen. Der Leserbriefredakteur hatte es – wohl aus Angst vor bitterbösen Bombenbastlern – rausgenommen.
Wer meinen BuJuMi-Erguss in voller Schönheit nachlesen möchte, findet ihn in diesem kleinen Tagebuch, der Eintrag stammt vom 9. September 2007.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Montag, 17. September 2007
Konvertiten im Fadenkreuz
Wochenenden haben einen ganz besonderen Reiz. Und der liegt nur zum kleineren Teil darin, dass man Zeit zum Ausschlafen, Bummeln, Laufen etc. hat. Den eigentlichen Reiz stellen aus meiner Sicht all die zwischen Freitagmittag und Montagmorgen abgesonderten Absonderlichkeiten mediengeiler Politiker und ihrer Helfershelfer dar. Dass Wolfgang S. dem Bundestrojaner nun den drohenden Atomschlag finsterer Islamisten folgenden ließ, dürfte ja keinen normalen Menschen ernsthaft überrascht habe. Es ist aber auch schwer, Woche für Woche noch eins draufzusetzen. Erst machte Brigitte Z. ihm Konkurrenz, und nun wirft auch Verteidigungsminister Franz Josef Jung seinen Hut beim Wettbewerb um den dämlichsten Vorschlag in die Runde.
Im Falle einer Flugzeugentführung zum Zwecke eines terroristischen Anschlags soll, so Jungs Forderung, die Maschine zum Abschuss freigegeben werden. Dass das Bundesverfassungsgericht eben diesen Abschuss bzw. das entsprechende Luftsicherheitsgesetz bereits für verfassungswidrig erklärt hat, scheint Notstands-Jung nicht zu stören.
Nun ist Juristerei alles andere als eine exakte Wissenschaft und allein aus diesem Grund nicht meine Sache. Vorstellen kann ich mir den Casus aber allemal: Eine Maschine mit, sagen 86 Menschen an Bord, wird per Entführung zur fliegenden Bombe umgenutzt. Weil die Twin Towers gerade nicht verfügbar sind, fliegt sie in Frankfurt am Main auf ein Bankenhochhaus zu, in dem 1.500 Menschen arbeiten und in der Kürze der verfügbaren Zeit nicht zu evakuieren sind. Was sagt der oberste deutsche Verteidiger? „86 hin, 1.500 im Sinn – schießt den Vogel ab.“
Wie ist die Situation, wenn sich die Entführer mit der Zeit vertan haben und im Wolkenkratzer nur 92 Reinigungskräfte arbeiten, in der Maschine aber 86 Akademiker sitzen? Zählen die mehr oder weniger? Zählen die Entführer, die ja auch Menschen sind, ebenfalls als potenzielle Opfer und gehen sie so in die Rechnung ein?
Gilt ein zufällig Linie fliegender Landtagsabgeordneter mehr oder weniger als ein Bundestagsabgeordneter an seinem terrestrischen Schreibtisch? Ist ein „Ossie“ bei dieser Rechnung mehr wert als ein „Wessie“? Wie viele Hartz-IV-Empfänger am Boden wiegen ein Mitglied des RWE-Aufsichtsrates auf? Und – beim Zählen besonders problematisch – woher weiß der Verteidigungsminister, auf welches Gebäude der Entführer zielt?
Dürfen deutsche Jetpiloten auch eine entführte Maschine voller Israelis abschießen? Oder muss da eine Tornadobesatzung aus Tel Aviv ran? Kann man die Entführer in einem solchen Fall in die Warteschleife bitten und die Maschine zur Not auch in der Luft auftanken, so unter dem Motto „Sorry, aber die politisch korrekten Piloten für ihren konkteten Fall müssen erst geholt werden.“ Dürfen Konvertiten auch ohne Vorliegen einer Entführung vom Himmel geholt werden? Schließlich muss das neue Register ja für etwas gut sein.
Es kommt also einiges auf die Fluggesellschaften zu. Es genügt nun nicht mehr, nur die elementaren Passagierdaten zu erheben. Viel wichtiger ist es zum Zwecke einer fundierten Abwägen im Jungschen Sinne den Wert eines Flugzeuges samt Besatzung, Passagieren und ggf. Entführern vor dem Abflug zu bestimmen. Dazu bedarf es beim Einchecken zusätzlich der genauen Erfassung von Einkommens- und Vermögensverhältnissen, ehemaliger und aktueller Partei-, Vereins-, Parlaments- und Religionszugehörigkeit, Verpflichtungen, beruflichem Status und Karriereaussichten, Schuhgröße, Automarke etc.
Daraus errechnet ein noch zu entwickelndes Computermodell den Abschusswert für den jeweiligen Flug (Nur am Rande sei erwähnt, dass sich dieser Wert während des Fluges ändern kann, wenn z.B. der Aktienwert einer Gesellschaft sinkt, eine Partei in der Wählergunst steigt usw.). Betrachten wir ihn während der Einführungsphase der Jungschen Killerphantasien jedoch der Einfachheit halber als konstant.
Dem Abschusswert steht der Target-Index des Anschlagsziels gegenüber. Auch dieser variiert. Wenn die jungdynamischen Finanzexperten einer namhaften deutschen Privatbank ihren Tower in Richtung after-work-Party verlassen und die osteuropäische Putzkolonne die Etagen erobert, fällt der Index drastisch. Ein Abschuss des anfliegenden Jumbos wäre nur noch gerechtfertigt, wenn der mindestens zu zwei Dritteln mit Konvertiten gefüllt ist ... Oder hätte er dann gar nicht erst starten dürfen? Fragen über Fragen.
Nur eines steht aus meiner Sicht schon jetzt fest: Profilneurotische Politiker sollten viel, viel mehr fliegen.

... link (0 Kommentare)   ... comment