Freitag, 30. November 2007
Winterdienst: Südamerikanisches Flair auf deutschen Straßen
Der November ist die Zeit, in der allerlei Medien vom Lokalblättchen bis hin zum TV-Sender über die Wintervorbereitungen in Kommunen berichten. Meist sind die Neuigkeiten in derlei Berichten in etwa so rar wie ehrliche Politiker (So, das kostet zwei Euro Strafe in die Populismus-Kasse! Simmer denn hier bei der Linkspartei? Nö, aber den Hinke-Vergleich wollte ich doch zu gern loswerden.). Zurück zur Winterbereitschaft: Ein pflichtbewusster Journalist sucht die für den Winterdienst zuständige Stelle auf. Das ist zum Beispiel das Stadtreinigungsamt, die Straßenmeisterei, der Bauhof oder irgendeine Firma, die den Winterdienst machen darf. Dort kommt die obligatorische Fragen-Breitseite: Mit wie vielen schneeschaufelschwingenden Mitarbeitern, wie vielen PS und wie vielen Tonnen Salz wollen Sie verhindern, dass in diesem Jahr das gleich Chaos ausbricht wie an den drei Tagen, als im vergangenen Jahr Winter war. Sofern der auf diese Weise attackierte Verantwortliche im Vorjahr bereits in Amt und Würden wahr, wird er sich nun zunächst mit den üblichen Worthülsen verteidigen („Extreme Situation“, „absolute Sicherheit gibt es nie“, „unverantwortliche Sommerreifenfahrer haben die Straßen blockiert, sodass unser Schneepflug im Stau stand“) und dann erzählen, das in diesem Jahr alles viel, viel besser werden wird. Wer beim Lesen der alljährlichen Berichte bis zu diesem Punkt noch nicht eingeschlafen ist, sollte seinen Arzt aufsuchen oder die Beipackzettel auf seinen Medizinschachteln etwas genauer lesen.
Beim Überfliegen der heute veröffentlichten Winterdienstbotschaft aus der Stadt Wurzen – von hier kommen Erdnussflips, Ringelnatz, Keks und leider mancherlei rechtes Gesocks – erlebte ich eine Überraschung. Natürlich ging es auch hier um 16 Schneebekämpfer, die von 4 Uhr bis open End auf 112 Kilometern Straße mit Unimog. Multicars und Kleintraktoren sowie Schneeschiebern und Besen kämpfen werden, als gelte es die abendländische Kultur zu retten.
Spannend wurde es jedoch, als von der eingesetzten „Munition“ die Rede war. Genauer: von deren Herkunft. Der Wurzener Bauhof hat zurzeit 120 Tonnen Salz gebunkert, bei Bedarf soll schnelle Nachlieferung möglich sein (aber nur dann, wenn nicht in ganz Deutschland Winter ist ...). Das Salz stammt übrigens – und hier stutzte ich – nicht etwa aus Zielitz oder einer anderen deutschen Grube, sondern ist per Schiff aus Südamerika nach Deutschland gebracht worden. Beim sommerlichen Einkauf berappte Wurzen dafür 58 Euro netto je Tonne, deutsches Streugut wäre ungleich teurer.
Spätestens an dieser Stelle wähnte ich mich im sprichwörtlichen falschen Film. Wie sehr muss man als Politiker vom Kohlendioxid umnebelt sein, um auf der einen Seite verrückteste Gesetzesmodelle zur Rettung der Welt zu erdenken oder erdenken zu lassen, auf der anderen Seite jedoch zuzulassen, dass Salz buchstäblich um die halbe Welt gekarrt wird, um es im Winter auf deutsche Straßen zu schmeißen und im Gegenzug arbeitslose deutsche Bergleute zu alimentieren. Ich bin wahrlich keiner der Hysteriker, die ihrer Angst vor einer vermeintlichen Klimakatastrophe heulend Ausdruck verleihen, doch an dieser Stelle wäre ein lenkender Eingriff des roten Umwelterzengels Gabriel wohl angebrachter als bei der Verteufelung von privaten (Holz-)Öfen, etwas größerer Autos und demnächst vielleicht auch der Holzkohlegrills. Die großen Frachtschiffte rauschen nun einmal nicht solarbetrieben oder mit Segelhilfe über die Weltmeere, sondern verbrennen auf hoher See umweltschädliches Schweröl – das sie übrigens steuerfrei bunkern.
PS.: Wer übrigens glaubt, dass die Wurzener Salzgepflogenheiten ein Einzelfall sind, der sollte einmal in seiner Kommune nachfragen, womit denn dort die winterlichen Straßen gewürzt werden. Bei der Gelegenheit kann er sich im Bauamt gleich noch nach der Herkunft der granitenen Gewegplatten auf dem neugestalteten Marktplatz und der Bordsteine im neuen Gewerbegebiet erkundigen. Sollte die Kommune des geneigten Lesers nicht gerade im Ländle liegen oder aus anderen gründen wohlhabend sein, stammen diese Baustoffe mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Indien.

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