Mittwoch, 3. Juni 2015
Die Sache mit dem Mindestlohn. Oder: Warum die Werbung neuerdings verpackt im Kasten landet
Seit einigen Monaten muss mein Briefkasten jeweils am Sonnabend ein ziemlich dickes Papierpaket schlucken. Dann bringt der Zusteller nämlich ein Einwickelpapier, das ein rundes Kilo von allerlei Werbung enthält.Das Einwickelpapier hat sogar einen Titel, ansonsten enthält es etwas Klatsch aus der yellow-Ecke, ein Fernsehprogramm und jede Menge Anzeigen.
So sahen das Einwickelpapier und sein gewichtiger Inhalt am 6. Juni 2015 aus:


Nun bin ich zwar einigermaßen gut gebildet und außerdem lernwillig, aber manchmal doch ein Dummerle. Da hatte ich doch wirklich angenommen, das als Zeitung getarnte Einwickelpapier würde nur verwendet, um 1. zusätzliche Werbung unterzubringe und 2. all die Beilagen von netto, norma, aldi & Co. besser handhabbar zu machen.
Doch weit gefehlt. Heute stellte ich fest, dass der Mindestlohn dem Einwickelpapier zum Durchbruch verholfen hat. Im Gespräch mit einem Vertriebsmenschen fiel eine Bemerkung, die mich hellhörig werden ließ. Die Vertriebler seien per Gesetz verpflichtet, Werbung unbedingt in die jeweiligen Zeitungen einzulegen. Gemeint war damit ein Anzeigenblatt mit dem Namen "Leipziger Rundschau", das mittwochs im Kasten landet und jede Menge Rausschüttelzeugs enthält.
Das Gesetz, auf das sich der Vertriebsmensch bezog, ist das deutsche Mindestlohngesetz, genauer gesagt, dessen § 24, in dem es um Übergangsregelungen geht http://www.buzer.de/gesetz/11256/a188687.htm. Dort heißt es:

"(2) 1Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller haben ab dem 1. Januar 2015 einen Anspruch auf 75 Prozent und ab dem 1. Januar 2016 auf 85 Prozent des Mindestlohns nach § 1 Absatz 2 Satz 1. 2Vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezember 2017 beträgt der Mindestlohn für Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller brutto 8,50 Euro je Zeitstunde. 3Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller im Sinne der Sätze 1 und 2 sind Personen, die in einem Arbeitsverhältnis ausschließlich periodische Zeitungen oder Zeitschriften an Endkunden zustellen; dies umfasst auch Zustellerinnen und Zusteller von Anzeigenblättern mit redaktionellem Inhalt."

Alles klar soweit? Sicher nicht; also die Übersetzung:
Auf Wunsch der SPD (genauer: des Gabriel-Ministeriums) wurde das Mindestlohngesetz mit zahlreichen Ausnahmen durchlöchert. Diese gelten u.a. für Zeitungszusteller (Ein Schelm, wer nun an das SPD-eigene Medienimperium unter dem Dach der Holding DDVG https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Druck-_und_Verlagsgesellschaft denkt).
Und nun wird's spitzfindig: Ein Zeitungszusteller ist natürlich nur dann ein Zeitungszusteller, wenn er Zeitungen (darunter fallen lt. Gesetz auch Anzeigenblätter) zustellt. Ein Werbemittelverteiler ist kein Zeitungszusteller und würde folglich vom ungekürzten Mindestlohn profitieren.
Also wird der Zeitungszusteller angewiesen, Werbung nie separat zu verteilen, sondern immer als Beilage zum Trägermedium, d.h. im konkreten Fall als Beilage zur Leipziger Rundschau. Oder als Beilage zum als Zeitung getarnten Einwickelpapier.
Alles klar soweit mit der Umgehung des Mindestlohnes?
Dann habe ich für die geneigten LeserInnen meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches eine Denkaufgabe: Wie ist die Lage, wenn man z.B. Fisch in die Zeitung einwickelt?

PS.: Eine sehr schöne Übersetzung des amtlichen Mindestlohngeschwurbels findet sich auch bei verdi ... ich mag die Truppe zwar nicht, aber der Text ist ok.
https://zeitungszusteller.verdi.de/mindestlohn/++co++7bac8bba-3c06-11e4-b297-525400248a66

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