Donnerstag, 31. Juli 2014
Bierbechererlebnisse. Oder: Die Leipziger "City" verkommt.
Gestern durfte ich vor einem recht exklusiven Zirkel einen meiner berüchtigten Vorträge übers Laufen halten. Es war sehr angenehm, für mich gab's Applaus, Speis' und Trank und freundliche Worte und so und das Publikum war überaus beeindruckt und außerdem sehr nachfragefreudig.
Den Weg vom Parkhaus zum Veranstaltungsort in der Leipziger Innenstadt (Ich stehe mit dem Wort "City" auf Kriegsfuß, wer Leipzig kennt, kann das sicher nachvollziehen) legte ich per pedes zurück (für Sachsen: bin'sch geladschd). Und weil ich 20 Minuten vor der Zeit war, drehte ich noch eine kleine Runde; als Landei darf man ja nicht alle Tage in die Stadt.
Dreierlei fiel mir auf. Dass das alteingesessene Fotogeschäft Rechtnitz aus seinem Laden in Toplage weichen musste, war mir zwar bekannt. Dass nun aber ein Filialist dort TK-Teiglinge aufbrezelt, hat mich erschauern lassen. Backen geht anders.
Zweitens staunte ich über die zahlreichen leicht fremdländisch wirkenden Jungmänner, die im Park am Hauptbahnhof herumsaßen, an ihren Smartphones spielten und die Mimik der Ankommenden genau im Blick behielten. Aber da mir der Sinn nicht nach einem Tütchen verbleiten Grases stand, kamen wir nicht ins Gespräch. Aber gut zu wissen, dass die alten Plätze immer noch bedient werden. Ich widerstand der Versuchung, den Schreibtischbewachern der Polizeiwache Zentrum einen Tipp zu geben, was nur eine Zigarettenlänge entfernt läuft. Die woll'n doch auch nur spielen und sind froh, wenn sie keiner beißt.
Und da waren drittens die Kleingruppen junger Menschen, die Vorübergehende, am Boden nistend, um Spenden für ihren Lebensunterhalt angingen. Die erste Betteltruppe machte sich immerhin noch die Mühe, mich anzusprechen. Als ich auf "Meister, haste mal ..." Ablehnung signalisierte, wünschten mir die Bierbecheraufsteller sogar noch einen "Schönen Abend". Soviel Aufwand trieben die anderen fünf Jungbettleransammlungen, die ich auf meinem kurzen Weg durch die Innenstadt passierte, nicht. Eine Decke auf dem Fußweg, ein Becher am Bordstein, vielleicht kommt das Geld ja trotzdem. Erstaunlich, was es so alles gibt; erstaunlich vor allem, dass solcherart Sondernutzung des öffentlichen Raumes so einfach zugelassen wird. Aber das muss ich ja nicht verstehen ...
Abschließend ein Tipp für potenzielle Schnorrer, die sich mir in den Weg werfen wollen. Ja, ich bin in solchen Dingen knausrig. Ja, ich will bitteschön etwas Leistung sehen, ehe ich nach einem Euro oder so fasse. Nein, die Damen müssen sich nicht frei machen, eine glitzernde, bunte Lüge genügt. Aber kommt mir nicht mit kranker Omi, Organspende oder anderen ausgelutschten Dingern. Letztens wäre ich fast schwach geworden, als mich eine schwer entstellte, weil ziemlich gründlich gesichtsgelochte Maid anschnorrte. Sie brauche noch einen Euro fuffzig, um sich ihren vegetarischen Döner kaufen zu können. Allerdings wurde es nichts mit uns. Auf mein Angebot, ein solcher Leckerli zu erwerben und ihr zu kredenzen, wurde ich mit den Worten "Was soll ich denn mit sowas, gib mir lieber cash, Du Sack!" weggebissen. Schade.
Doch das lässt sich ausbauen. Dem nächsten Schnorrer, der mich mit "Meister, haste mal ..." angeht, mache ich ein Angebot: "Keinen Euro, sondern viel besser: einen Job ab morgen früh." Kann irgendjemand meine Skepsis teilen?

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