Mittwoch, 12. Dezember 2007
Déjà-vu, Kotau und eins auf die Fresse für die DUV
Die Bezeichnung Déjà-vu stammt aus dem Französischen, heißt wörtlich übersetzt „schon gesehen“ und beschreibt ein interessantes psychologisches Phänomen: Wer dieser Erinnerungstäuschung erliegt, hat den Eindruck, eine bestimmte, allerdings völlig neue Situation schon einmal gesehen bzw. erlebt zu haben. Hat man beim Fernsehen ein Déjà-vu, ist das meist keine Täuschung, sondern heißt schlicht und einfach Wiederholung.
Apropos Fernsehen: Köstlich finde ich die Szene, als Bill Murray in „Täglich grüßt das Murmeltier“ seine Vermieterin beim Frühstück fragt, ob diese mitunter ein Déjà-vu habe. Die wackere Amerikanerin antwortet: „Da frage ich mal in der Küche nach.“

Allerdings ist nicht jedes Déjà-vu so erheiternd wie der überaus sehenswerte Murmeltierfilm, manche sind einfach erbärmlich. Letztere Variante erlebte ich in diesen Tagen bei der Lektüre einer Erklärung, die auf der Homepage der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung zu lesen ist.

Für alle nicht-DUV-Mitglieder und nicht-Ultraläufer eine kurze Erläuterung: Vor zwei Jahren rumorte es in der DUV kräftig, große Teile der Basis revoltierten gegen den Präsidenten der DUV. Der hieß Volkmar Mühl und ist Lehrer und Polizist. Beinahe hätte ich gesagt, dass das schon genug über diesen Mann sagt, aber das habe ich nicht gesagt und so kann keiner sagen, dass ich etwas Abwertendes über ihn gesagt hätte – weil ich erstens nichts gesagt habe und weil ich außerdem Lehrer und/oder Polizisten für die wichtigsten Menschen in unserem Land halte. Und gegen welches Gebot habe ich jetzt verstoßen?

Aber zurück zu dem Mann namens Volkmar Mühl. Der räumte Ende 2005 im Ergebnis einer Mitgliederversammlung, die wahrhaft spannend verlief, seinen Posten. Zuvor hatte er mit nervöser Zwinkerei über seine Kritiker aus allerlei Akten zitiert, was diese irgendwann in irgendwelchen Internetforen von sich gegeben hatten. Es war ein wenig wie Big Brother und Wolfgang Schäuble und Roland F... Nein, den Namen sage ich nicht,das würde man gegen mich verwenden.
Als der Präsident „abgeschossen“ war, verließ er samt Gefolge den Saal und machte sich wenig später an die Gründung eines eigenen Vereins. Seitdem kursiert in der Ultraszene das böse Wort vom Spalter.
Die Kritiker bildeten ein neues Präsidium, dem anzugehören ich einige Zeit die Ehre hatte – und das war jetzt nicht ironisch gemeint – bis ich wegen anderweitiger Verpflichtungen die notwendige Zeit nicht mehr aufbringen konnte und meinen Platz räumte.
Aber zurück zu besagtem Volkmar Mühl. Der ist inzwischen nur noch Präsident seines eigenen Minivereins, aber er hat nach wie vor das Amt des Ultramarathonberaters beim Deutschen Leichtathletikverband dlv inne. Als solcher hat er zwar de jure nicht viel zu sagen, weil er nur berät, aber de facto entscheidet er darüber, welche Athleten mit dem Bundesadler auf dem Shirt zu internationalen Wettkämpfen fahren bzw. fliegen. Häufig werden Klagen laut, dass diese Entscheidungen nicht eben von größter Sachkunde bestimmt, sondern von persönlichen Befindlichkeiten („Nase“) beeinflusst werden.

Alle Versuche des neuen DUV-Präsidiums, daran etwas zu ändern, scheiterten bisher. Daraufhin entstand in der DUV das Konzept eines eigenen Nationalkaders, mit dem Ziel, dem Mühlschen Hofstaat bei der einen oder anderen Veranstaltung eine eigene, schlagkräftigere Truppe entgegenzusetzen und durch deren Erfolg die Kompetenz des Beraters in Frage zu stellen. Ende Oktober wurde der Nationalkader der DUV nominiert.
Am 22. November 2007 fand ein Treffen von Vertretern des DLV und der DUV statt. In dessen Ergebnis wurde eine gemeinsame Erklärung erstellt, die man hier nachlesen kann:
http://www.ultra-marathon.org/index.php?Inhalt_Nav_ID=4&ModDat=detail.php&News_ID=557&pageNum_News=0

Und genau als ich das tat, hatte ich ein Déjà-vu. Die regelmäßigen Leser dieses kleinen Tagebuches werden sich nun schon denken können, dass ich sie nicht lange mutmaßen lasse, weshalb. Richtig!
Besagtes Déjà-vu stellte sich ein, weil ich derartige Erklärungen früher häufiger lesen durfte. Zumeist standen sie im „Neuen Deutschland“ und informierten die geneigten DDR-Bürger darüber, was es z.B. über einen Staatsbesuch zu wissen gab.

Meist las sich das dann so:
„Am gestrigen Donnerstag hielt sich Humba Pumba Humpapa, der höchste Repräsentant des Volkes von Tschinderassa und zugleich Generalsekretär der Revolutionären Volkspartei von Tschinderassa und Kommandierende Oberbefehlshaber der ruhmreichen Volksbefreiungsarmee von Tschinderassa, auf Einladung des Vorsitzenden des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik und des Generalsekretärs des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Erich Honnecker, zu einem Staatsbesuch in Berlin, der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, auf. In einem sechsstündigen, vertrauensvollen Gespräch wurden Themen beiderseitigen Interesses erörtert. Die Beratungen fanden in einer aufgeschlossenen Atmosphäre statt, es wurde ein Kommunique verabschiedet.“

Und was durfte die geneigte Ultragemeinde unter www.d-u-v.org lesen?
„Vertreter der DUV und des DLV trafen sich am 22.11.07 in Köln zu einem dreistündigen konstruktiven Gespräch mit dem Wunsch, die Zusammenarbeit zwischen der DUV und dem DLV zum Wohle der Ultralangstreckenläufer zu verbessern.
...
Beide Seiten zeigten sich nach dem Gespräch zufrieden und sind entschlossen, trotz der weiterhin bestehenden Differenzen die Zusammenarbeit im Bereich des Ultramarathon zum Wohle der Athleten fortsetzen zu wollen.“

Nun soll niemand sagen, dass die gesamte Erklärung, die in aller Harmonie veröffentlicht wurde, ebenso sinnfrei wie das oben fiktiv zitierte DDR-Kommunique ist. Schließlich enthält das Statement von DLV und DUV einige interessante Details. Als ich diese las, schwuppte mir unwillkürlich das Wort Kotau in den Sinn. Diese im Kaiserreich China gebräuchliche Form des ehrerbietigen Grußes verlangte gegenüber dem Kaiser das dreimalige Niederwerfen des Rangniederen. Dazu genügte kein simpler Kniefall, sondern es musste sogar das dreimalige Berühren des Bodens mit der Stirn erfolgen. Wer ganz sicher gehen wollte, blieb nach dieser Zeremonie gleich unten.
Abgeschafft wurde der Kotau in China nach der Revolution 1912. In Deutschland ist der Kotau hingegen noch heute gebräuchlich – zum Beispiel bei „dreistündigen konstruktiven Gesprächen mit dem Wunsch, die Zusammenarbeit zwischen der DUV und dem DLV zum Wohle der Ultralangstreckenläufer zu verbessern“.

Beweis gefällig?
„In diesem sehr offen geführten Gespräch wurde nochmals sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der DLV weiterhin zu seinem Berater im Ultramarathonlauf, Herrn Volkmar Mühl, steht. Nach Ansicht des DLV hat Herr Mühl im vergangenen Jahr erfolgreich im Ultramarathonbereich gearbeitet. Der DLV weist damit die durch die DUV mehrfach geäußerte Kritik am DLV-Berater Volkmar Mühl zurück.“
In Bayern nennt man so was „Watschen“. Wenn gleich drei Präsidiumsmitglieder der DUV solchermaßen abgewatscht werden, kann man schon von einem Massaker sprechen.

Noch ein Beweis gefällig?
Wie war das? Die DUV hatte da ein Förderkonzept erarbeitet und sich erdreistet, einen eigenen Nationalkader zu nominieren? Was steht im Kommunique?
„Darüber hinaus wurde das DUV-Förderkonzept diskutiert, das der DLV der Sache nach ausdrücklich begrüßt. Der DLV weist aber darauf hin, dass die Einrichtung eines Kaders und Kaderbenennungen ausschließlich durch den nationalen Verband erfolgen können. Die DUV wird ihr Förderkonzept umschreiben und mit der Benennung von „DUV-Fördergruppen“ eine kompatible Schnittstelle zu DLV und dessen Kader definieren.“
Im Klartext: Hier gab’s eins auf die Schnauze, dass dem Schläger die Hand wehtut. Oder – um noch mal über chinesische Traditionen zu sprechen – ein Kotau mit Draufrumspringen.

Vielleicht noch ein Beweis gefällig?
„Eine Mitgliedschaft in der Fördergruppe der DUV schließt eine Nominierung für die DLV-Nationalmannschaft und die Teilnahme an internationalen Meisterschaften nicht aus.“
Soll heißen, dass den Frechlingen, die sich für die DUV engagieren, nicht per Definition das Trikot mit dem Bundesadler verwehrt wird. Muss es auch nicht, denn über die Zusammensetzung des Nationalkaders (des einzig richtigen und wahren) berät in bewährter Weise Volkmar Mühl. Dabei wird sicher auch die Einhaltung der Nominierungsrichtlinien geprüft. Zu denen zählt auch angemessenes und loyales Verhalten gegenüber dem DLV sowie die Unterwerfung über die von unendlicher Weisheit zeugenden Trainingsvorgaben des allwissenden Ultramarathonberaters.
Dieser Passus ist ein Gummiparagraph, der mich an einige Auswüchse der DDR-Justiz erinnert.

Und weil der Schmerz so süß schmeckt, gleich noch einen hinterher:
„Die geplante DLV 24-Stunden-Challenge wird ab 2009 vom Deutschen Leichtathletik-Verband ausgeschrieben. Die beste Bewerbung erhält bei Erfüllung der geforderten Qualitätsstandards vom BFA den Zuschlag zur Ausrichtung.“
Im Klartext: Noch eins in die Fresse. Und diesmal hat die Faust fast im Nacken wieder rausgeschaut. Auf Anraten seines Beraters etabliert der DLV eine 24-Stunden-Challenge, die bereits existierende und anerkannte Deutsche Meisterschaft der DUV im 24-Stunden-Lauf verkommt damit zum Auslaufmodell.
Aber das scheint ja in Ordnung zu sein, denn „Beide Seiten zeigten sich nach dem Gespräch zufrieden“.

Wer so plattgebügelt wurde, braucht fürs Wiederaufstehen einen Helfer mit einer großen Spachtel.

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