Donnerstag, 6. Dezember 2007
Super und Benzin: lebenslanges Lernen auch für eine dumme Nuss
Das freie Spiel der Kräfte im Kapitalismus ist toll. Es bewirkt Dinge, die – wollte man sie per Verordnung durchsetzen – viel Geld kosten würden und dennoch nicht wirklich funktionierten. Der Leser dieses kleinen Tagebuches stelle sich vor, dass irgendein Mitglied der Bundesregierung, das mal wieder Profilierungsbedarf verspürt, nach einer Idee sucht. Und so würde also Terrakotta-Wolfgang aus seinem Verkehrsministerium fordern, im Interesse der Umwelt, der Nachhaltigkeit und der Bewohner der neuen Ostgebiete „die technologisch nicht gerechtfertigte Trennung des Kraftstoffangebotes in Super- und Normalbenzin aufzugeben und statt dessen nur noch das ökologisch sinnvollere Super zu verkaufen.“

Die Folgen wären vorhersehbar gewesen: Einschlägige Lobbyverbände von ADAC bis hin zum Verband der Mineralölwirtschaft würden ein Geheul ertönen lassen, das die ersten Vollgasfahrorgien einer blonden Fahranfängerin, die vergessen hat, einen Gang einzulegen, wie leises Blätterrauschen klingen lassen würde.
Apropos Blätterrauschen: Natürlich würde auch die einschlägige Journaille einstimmen und mit Überschriften vom „Chaos-Wolfgang“ bis hin zu „So nicht, Herr Minister!“ den Volkszorn schüren. Einen Tag später würden Gewerkschaften und Arbeitnehmerverbände vor dem mit der Neuerung verbundenen Abbau von „mindestens 300 Millionen“ Arbeitsplätzen allein an deutschen Tankstellen sowie „mehr als 12 Milliarden Jobs“ im Umfeld der Zapfpunkte warnen. Die ersten zwölf Millionen Leserbriefe erscheinen, wenig später meldet sich das völlig neutrale „BP-Aral-Shell-BFT-Jet-Esso-Forschungsinstitut für Kraftstoffe“ zu Wort und warnt vor Schäden am hinteren linken Blinker, die die Verwendung von Super statt Normal bei VW Golf, die vor 1872 gebaut wurden, nach sich ziehen könnte. In einem Nebensatz dieses Gutachtens wird außerdem auf die Mehrkosten verwiesen, die der Wegfall der derzeit noch betriebenen getrennten Tank- und Zapfanlagen verursachen würde. Diese werden auf siebeneinhalb Quintilliarden Komma 26 Euro beziffert – pro Tankstelle. Jetzt wachen auch die deutschen Autohersteller auf. Sie sehen die Existenz des Standortes Deutschland gefährdet, warnen ihrerseits vor dem Verlust von 18 Milliarden Arbeitsplätzen allein im ersten Jahr, Zulieferer nicht eingerechnet.
Nun wäre wieder der Mineralölbundesverband an der Reihe. Dessen Pressesprecher verkündet, dass man im Interesse der Umwelt bereits sei, den schwierigen Schritt zu gehen. An den damit verbundenen Lasten müssten allerdings Bund, Länder, Verbraucher und der liebe Gott einen Anteil tragen. Aber für den Schutz der Umwelt sei dieser Schritt unumgänglich.
Und alles ist gut: An den Tankstellen von Aral & Co. wird ab sofort nur noch Super verkauft, der Sprit wird „der Umwelt zuliebe“ um einen Euro teurer, der Bund erhöht die Mineralölsteuer um 28 Cent, die für die Länder bestimmte Kfz.-Steuer wird für alle Autos – auch für die Diesel, denn wir sind eine Solidargemeinschaft – verdoppelt und die Normalbürger erhalten auf ihren „Soli“ noch sechs Prozent drauf – der Umwelt zuliebe. Im Gegenzug erhalten Aral & Co. für jeden verkauften Liter Einheitssuperbenzin vom Bund einen Euro Mehraufwandspauschale. Solange der Wind weht und die Hirsche röhren. Das eigens dafür verabschiedete „Vergaserkraftstoffvereinheitlichungsgesetz“ (VekraverG) passierte Bundestag und Bundesrat in Rekordzeit und ohne Gegenstimmen. Und Terrakotta-Wolfgang würde sich nach langer Zeit wieder mal aus seinem Ministeriumszimmerchen ins Freie wagen, würde lächeln wie der liebe Sonnenschein und verkünden, dass er sehr stolz ist, zu diesem historischen Kompromiss maßgeblich beigetragen zu haben.

Aber so kommt es nicht, denn wir haben ja Marktwirtschaft. Also haben findige Leute bei Aral nicht auf den Wolfgang und seinen Geistesblitz gewartet, sondern selbst losgedonnert. Und herausgefunden, dass es kaufmänischer Unsinn ist, zwei Sorten Sprit zu unterschiedlichen Preisen vorzuhalten, wenn es doch eigentlich auch eine tut. Noch dazu, wo beide Sorten eigentlich auf die gleiche Art und Weise und in den selben Anlagen hergestellt werden. Der Unterschied besteht im Wesentlichen nur daran, ob der große Aliphat-Zauberer gegen Ende der Prozedur beim Abfüllen in den Tankwagen diesen oder jenen Spruch murmelt ... Dafür all die Kosten für zusätzliche Pumpen, zusätzliche Tanks, zusätzliche Preisbeschilderung, zusätzliche Eichsiegel, zusätzliche Zapfpistolen ... nööö, also weg damit. Sollte nun einer glauben, dass die so erzielten Einsparungen den Sprit womöglich billiger machen, dann lachen wir den mal alle gemeinsam aus. Was für eine dumme Nuss, der wird die Marktwirtschaft wohl nie begreifen. Und wenn jetzt einer kommt und sagt, dass der Sprit dann aber wenigstens nicht teurer werden wird, ist auch der eine dumme Nuss. In spätestens einem Jahr wird sich das immer noch völlig neutrale „BP-Aral-Shell-BFT-Jet-Esso-Forschungsinstitut für Kraftstoffe“ zu Wort melden und verkünden, dass durch die den Unternehmen aufgezwungene Kraftstoffvereinheitlichung die befürchteten Mehrkosten eingetreten sind und auf den Kraftstoffpreis umgelegt werden müssen, sofern der Bund dafür nicht aufkomme. Der wird sich hüten, denn steigende Benzinpreise lassen auch die Mehrwertsteuereinnahmen wachsen.
Und wenn jetzt einer kommt und sagt, dass das doch alles erstunken und erlogen und ein Riesenbetrug ist? Herzlichen Glückwunsch, bist ja doch keine so dumme Nuss und hast endlich kapiert, wie das so läuft mit der Marktwirtschaft unter dem Einfluss eines Oligopols.
So, nun haben wir genug gelernt für heute, jetzt wird gearbeitet.

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