Freitag, 16. November 2007
Ein SPD-Blatt zwingt den bärtigen Wolfgang T. zum Kniefall
Das Leben ist ungerecht. Zumindest im Umgang mit den am 22. Oktober 1943 geborenen Erdenbürgern. Die Stammleser dieses nicht immer politisch korrekten Tagebüchleins wissen, was nun kommt: Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, die eingangs aufgestellte Behauptung zu belegen. Also dann:
Am 22. Oktober 1943, einem Tag, da weite Teile der Welt in Flammen standen und die Stadt Kassel dank eines britischen Bombenangriffs ganz besonders hell brannte, traten diverse Menschen in ihr irdisches Dasein. So zum Beispiel Hans Hartz (das ist der Mann mit der rauchigen Stimme, der das Sail Away der Becks-Reklame, aber auch „Die weißen Tauben sind müde“ gesungen hat), die Schauspielerin Catherine Deneuve und Fusselbartträger Wolfgang Thierse. Wie ungerecht das Leben sein kann, sieht man daran, dass die im wahrsten Sinne des Wortes rauchige Stimme von Hans Hartz seit 2002 nur noch als Konserve zu hören ist, während Wolfgang Thierse seine Weisheiten bis auf den heutigen Tag verkünden darf. Doch es steht einem unwichtigen Tagebuchschreiber nicht zu, über das unerfindliche Walten höherer Mächte zu richten. Wird sich schon irgendwer etwas dabei gedacht haben, statt des einen den anderen Krächzer abzuberufen.
Zugegeben. Das klingt sarkastisch und lässt einen Hauch von Abneigung erahnen. Soll es auch. Das liegt nicht daran, dass ich kein Freund der SPD bin. Und auch nicht daran, dass ungepflegt wirkende Fusselbartträger mir nicht gerade als erste Wahl für hohe Staatsämter erscheinen. Nur gut, dass ich nicht so schnell in die Verlegenheit kommen werde, als VIP-Gast mit dem Bundestagsvize zu dinieren. Es würde mir nicht schmecken, denn es ist nicht mein Ding, meinen Teller vor anderer Leute mutmaßlich abfallender Körperbehaarung zu schützen. Aber auch das ist kein wirklicher Grund, Wolfgang T. nicht zu mögen.
Der ist älter. Der Grund. Anfang der 90er hatte ich meine erste berufliche Begegnung mit dem seinerzeit noch nicht ex-Bundestags-jetzt-Vizepräsidenten. Ich war für die 1994 leider aus wirtschaftlichen Gründen dank der ängstlichen FAZ unsanft entschlafene Zeitung „Neue Zeit“ tätig und hatte in dieser Funktion über das segensreiche Wirken irgendeiner Enquete-Kommission zu berichten, die in Leipzig tagte. Im Neuen Rathaus zu Leipzig hatte ich zehn Minuten für ein Gespräch mit Wolfgang Thierse und empfand ihn seinerzeit als arroganten, selbstgefälligen und unsympathischen Arsch. Jawohl: Arsch. Ich darf das sogar in Wiederholung aufschreiben, denn der Adressat dieser Beschimpfung war damals gottlob noch nicht in höchste Ämter vorgedrungen, sondern hatte seinen Aufstieg erst begonnen. Solche Leute darf man – ebenso wie Fallende – ehrlich betiteln. Nur wenn ich behauptete, dass Bundestagsvizepräsident Thierse ein Arsch ist, wäre das justiziabel. Aber das tue ich nicht.
Dafür tun das seit vorgestern andere. Viele andere. Warum? Schuld ist Roter-Schal-Münte, der aus durchaus nachvollziehbaren persönlichen Gründen von seinen bundespolitischen Ämtern zurückgetreten ist. Er will, und das ist durchaus ehrenwert, mehr Zeit mit seiner krebskranken Frau verbringen.
Meine Lieblingslokalpostille widmete diesem Rücktritt beinahe eine ganze Seite 3. Im Keller (so nennen Zeitungsleute das, was im Blatt „unten“ ist) stellte der Dieter Wonka, der Berlin-Korrespondent meiner Lokalpostille, SPD-Mann Thierse drei Fragen. Wolfgang Thierse wurde in diesem Mini-Interview am 13. (sic!) November mit folgender Aussage zitiert: „Es ist eine unpolitische Entscheidung, dass Franz Müntefering seine Frau in der letzten Phase ihres Lebens direkt begleiten will. Seine Frau im Dunkeln in Ludwigshafen sitzen zu lassen, wie es Helmut Kohl gemacht hat, ist kein Ideal.“
Doppelversenkung. Zum einen sprach „Münte“ bisher lediglich davon, sich seiner Frau widmen zu wollen. Stoppelwolle erklärt sie praktisch für tot. Aber das sorgte nicht für Aufsehen. Das hingegen erregte die öffentliche Verlesung des Satzes über die bis zu ihrem sehr bedauerlichen Selbstmord im Dunkeln sitzende Hannelore Kohl im Bundestag.
Geschrei, Aufruhr, Rücktrittsforderungen, Kanzlerinnenschelte – Wolfgang der Behaarte handelte sich mit diesem Spruch die volle Packung ein.
Und reagierte so, wie man es von einem Politiker erwartet: Er gab die Schuld dem Boten, sprich: Er gab an, in einem nicht autorisierten Interview verkürzt und falsch zitiert worden zu sein. Ich gebe ja zu, im Rahmen meiner Veröffentlichungen in diesem Tagebuch gelegentlich ein wenig wider meine Lokalpostille zu stänkern. Aber: Mein werter Berufskollege Wonka, seines Zeichens Hauptstadtkorrespondent meines Leipziger Blättchens, mag allerlei tun, wenn der Tag lang(weilig) ist. Aber einen so bösartig vergifteten Pfeil, wie ihn der Spruch vom Kanzler der Einheit, der seine Ehegattin in Ludwigshafen der krankheitsbedingten Verdunklung anheim fallen lässt, darstellt, erfindet kein ernsthafter Journalist. Für solch einen Kracher braucht’s einen Politiker, dem nicht nur draußen am Kopf die Haare außer Kontrolle geraten sind.
Meine Lokalpostille reagierte übrigens prompt. Nach intensiver Befragung des der Schlamperei bezichtigten Schreiberlings (Die strenge Tortour soll ihm erspart geblieben sein, er hat also noch ungebrochene Finger und kann/darf weiterhin schreiben) und Konsultation des Hausjuristen stellte mein Blättchen unter www.lvz.de eine Erwiderung ins Blatt. Ich zitiere wörtlich aus der Internetausgabe der LVZ: „Thierse sprach von einer „arg verkürzten und nicht autorisierten Fassung“ des Gesprächs. Das ist aber nicht der Fall. Das Zitat ist keinesfalls falsch und ungekürzt wiedergegeben worden.“
Das war eine volle Packung aufs haarige Maul, die von anderen Medien süffisant aufgegriffen und wiedergegeben wurde. Druck und Hiebe gab’s nicht nur von der CDU, sondern sogar aus den ansonsten recht geschlossen agierenden roten Reihen. Inzwischen – am heutigen Abend, der nun seit einigen Minuten der gestrige ist, war angesichts der Meldungen diverser Agenturen eine sehr spannende Nachrichtenlage zu beobachten – musste Wolfgang T. sein Fusselköpfchen neigen und einen klaren Kniefall vor Altkanzler Helmut Kohl machen. Zwar grummelte es aus der verbarteten Gusche immer noch ein wenig gegen den bösartigen Interviewer, doch die sauber formulierte Bitte um Entschuldigung war klar zu hören. Für Helmut Kohl, auf dessen Ansehen der Filzige im Zuge der Behandlung der Parteispendenaffäre nur zu gern herumgetrampelt ist, sicher ein innerer Vorbeimarsch.
Und auch ich muss zugeben, mich über den Ärger, den Wolfgang Thierse am kaum sichtbaren Hals hat, diebisch gefreut zu haben. Zum einen, weil ich ihn (nicht den Hals, sondern den Wolfgang) in ziemlich unangenehmer Erinnerung habe (s.o.). Zum anderen jedoch, weil ich um die Gesellschafterverhältnisse beim Verlag meiner Lokalpostille weiß: Die LVZ gehört auf dem Umweg über die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbH und die Verlagsgesellschaft Madsack mbH zur Hälfte, na – wem wohl? – der SPD. Und das hat schon was.

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