Mittwoch, 10. Oktober 2007
"Diese Sportler dürften nicht starten"
Aaaah, preiset den Herrn! Im Sportteil meiner Lokalpostille schaffte es gestern eine Laufveranstaltung auf die erste Seite. Dort, wo sonst die erschröcklichen Nachrichten aus den beiden Leipziger Rasenkomikervereinigungen und allenfalls noch einige Zeilen über Formel 1 zu lesen sind, durfte der geneigte Zeitungskonsument auch etwas über einen Marathon erfahren. Sensationell.
Leider. Denn dass der Chicago-Marathon es auf den Sporttitel (genauer gesagt: in den Keller der ersten Seite, oben stand ein Bericht über Zoff bei einem Spiel der fußballernden A-Jugend) geschafft hatte, lag daran, dass in Chicago ein Läufer seinen letzten Schnaufer getan hatte.
Folglich titelte meine Lokalpostille „Läufer-Folter im Hitze-Chaos von Chicago“, untertitelt wurde „Ein Toter beim Traditionsmarathon, 350 Sportler im Krankenhaus / Ivuti und Adere siegen“. Der insgesamt recht mäßige Artikel ist eine kaum eine bearbeitete Meldung des Sport-Informations-Dienstes sid, den viele deutsche Zeitungen wortgetreu übernommen haben. Immerhin nicht alle, die Berliner Morgenpost leistete sich einen eigenen, deutlich besseren Text.
Aber: Auch die sid-Nutzer unterschieden sich mit ihren Texten. Das eine Blatt holte noch Stimmen aus der regionalen Laufszene ein, die Redakteure des anderen ließen fragwürdige Passagen aus der Agenturmeldung weg. Mein geliebtes Lokalblatt scheint mir nach Durchsicht eine Reihe deutscher Tageszeitungen den Vogel abgeschossen zu haben. Ein selten dämlicher Passus aus der sid-Meldung steht in voller Schönheit nur in der Leipziger Volkszeitung.
Zitat: „Bei deutschen Marathons ist eine Situation wie in Chicago, wo mehrere Tausend langsame Läufer kehrt machen mussten, die nach dreieinhalb Stunden noch nicht die Hälfte der 42,195 km geschafft haben, nicht möglich. Diese Sportler dürften gar nicht erst starten, denn die Zielzeit hierzulande liegt im Bereich von sechs Stunden, in den USA sind es acht Stunden und mehr.“
Was hat die Zielschlusszeit (diese war wohl gemeint, denn die Zielzeit ist etwas anderes) damit zu tun, dass ein langsamer Läufer in good old Germany gar nicht erst starten dürfte? Auch in Deutschland wird man bei der Anmeldung für einen Marathon nur höchst selten nach aktuellen Bestzeiten oder der erwarteten Zielzeit gefragt, Belege für bereits erbrachte Leistungen werden wohl nur in Hamburg eingefordert – um die Sortierung in die Startblöcke vornehmen zu können.
Wer sich in Deutschland für einen Marathon anmeldet, wird in aller Regel auch starten dürfen – ganz gleich, in welcher Zeit er die 42,195 km absolvieren kann. Ob man ihn durchlaufen lässt, ist eine andere Frage: Schließlich gibt es den Besenwagen.

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Montag, 8. Oktober 2007
Dekadenz und Dummheit
Der Duden hält für das Stichwort „Dekadenz“ die Kurzerklärung „Verfall, Niedergang“ bereit. Kann man von Dekadenz reden, wenn laut Leipziger Volkszeitung vom 8. Oktober 2007 „eine Gruppe junger Leute“ demnächst die Filiale einer Fast-Food-Kette leerfressen will? Angepeilt werden laut Lokalpostille 4.000 Burger in Leipzig, zeitgleich sollen Rekordversuche in Berlin und Augsburg stattfinden.
Initiator dieser Aktion ist Udo Grigas, ein 20jähriger Koch, der seine Brötchen im Halleschen Dorinth-Hotel mit der Herstellung etwas besserer Kost verdient. Nach einigen kleineren Testaktionen in Berlin und Zwickau will er nun den ganz großen Coup landen und wirbt dafür im Internet. „Natürlich aus Spaß“, betont Grigas. Und ohne Verbandelung mit der auf diese Weise mit PR bedachten Burgerbraterei.
Ob es wirklich noch etwas mit Spaß zu tun hat, wenn – wie geplant – mindestens 500 Menschen je acht oder mehr Burger ins sich hineinstopfen, sei dahingestellt. Ein Zeichen von Dekadenz ist es aus meiner Sicht auf jeden Fall. Und das nicht nur beim Macher und seinen Mitmachern, sondern auch bei der Redakteurin, die derartigem Geistesmüll noch Platz in einer Zeitung einräumt, die nach eigenem Selbstverständnis den Anspruch hegt, Qualitätsjournalismus zu bieten.
Wie weit der Niedergang schon fortgeschritten ist, macht ein Blick auf die Homepage der Burgeraktion deutlich. Dort wird der für den 13. Oktober geplante Flashmob angekündigt. Nun gut, der virtuose Umgang mit der deutschen Sprache und der ihr zudachten Rechtschreibung ist wohl mittlerweile keine der Fähigkeiten mehr, die man zwingend besitzen muss.
Vom Webmaster der Aktion darf man in Zukunft trotz seiner Jugend noch einige anspruchsvolle Auftritte erwarten. Schließlich hat sich der clevere Schüler bereits Domains wie drittes-bein.de schützen lassen und bietet diese zum Kauf an. Nur aus Spaß.
Dass mein mangelndes Verständnis für die Aktion wohl nicht nur an meinem mittlerweile etwas vorgerückteren (amtlichen) Alter liegt, wurde mir beim Blick in diverse Flashmob-nahe Bloggereien klar. Dort sorgen die Aufrufe zum Leerfressen einzelner Burgerbratereien seit Monaten für Kritik. Während den einen das sinnlose Schlingen mit Bezug auf andernorts alltäglichen Hunger und die Details der industriellen Fleischproduktion unangenehm aufstößt, vermissen andere Blogger vor allem das kreative Element, das einen Flashmob üblicherweise auszeichnet. Zitat: „Klar mit Ansage. Damit die Klopsebrater Zeit haben, Dienstplan und Warenlager auf den Ansturm vorzubereiten. Mit Flashmob hat das nichts zu tun.“
Daran ändert auch nichts, dass die „Nur-aus-Spaß“-Initiatoren der Leipziger Aktion für ihren „Anschlag“ zwei mögliche Ziele benannt haben. Diese liegen nur wenige hundert Meter auseinander, zur Not ließe sich der Nachschub per Handwagen von A nach B rollen. Aber da Gefrierfleisch geduldig ist, sollte es kein Problem sein, beide Filialen rechtzeitig aufzurüsten. Bei der PR-Aktion gehen die Kosten für „mal eben aus Spaß 5.000 Burgerscheiben ins Zwischenlager“ im Grundrauschen unter. Im Flash-Mobbers.net wird im Zusammenhang mit der Leipziger Aktion bzw. ihre per Web bereits mehrfach angekündigten Vorläufer an die Rulez dieses Metiers erinnert, die direkte oder indirekte Werbeaktionen ausdrücklich ausschließen.
Warum ich das schreibe? Weil mir allmählich die Nackenmuskeln wehtun – vor lauter Kopfschütteln. Wie berufsvergessen muss man als Redakteuse einer dem Qualitätsjournalismus verpflichteten Abo-Zeitung eigentlich sein, Informationen über eine bekloppte Bulettenfressorgie ins Blatt zu heben, ohne sich die Mühe zu machen, mal ein wenig zu recherchieren, was es damit eigentlich auf sich hat? Ein wenig Google, ein wenig Denic, ein wenig hier und da recherchiert, ein wenig journalistisches Handwerk – und der nur-aus-Spaß-Rekordversuch wäre da gelandet, wo er hingehört: im Trash-Ordner bzw. im Papierkorb. Oder doch zumindest in der Rubrik „Glossiert“.

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Donnerstag, 4. Oktober 2007
Oder doch lieber drei Brötchen?
Ein Euro. Nicht eben üppig, dieser Betrag. Was bekommt man für einen Euro? Drei nicht zu ausgefallene Brötchen bei meinem Dorfbäcker. Noch. Eine Flasche Bier, oder auch zwei, je nach Marke. Einen knappen Liter Diesel. Noch. Und meine allmorgendliche Zeitung. Ja, ein Exemplar meiner Lokalpostille, die das Wörtchen „Volk“ im Titel führt, schlägt im Freiverkauf ebenfalls mit einem Euro zu Buche. Am Wochenende wird’s teurer, weil das Blatt dann vorgibt, gehaltvoller zu sein.
Ich gönne mir den Luxus einer täglichen Zeitung. Auch berufsbedingt, als Journalist muss man trotz aller Knausrigkeit hier und da nach Informationen grasen. Obwohl: Oon Jahr zu Jahr fällt es mir schwerer, bei der Wahl zwischen „drei Brötchen“ oder „meiner Zeitung“ nicht letztere in den Skat zu drücken. Und das liegt nicht daran, dass mir der eine Euro wirklich Pein bereitet.
Heute war wieder so ein Tag, der mich zweifeln ließ an Sinn und Zweck morgendlicher Zeitungslektüre. Gut, der Lokalteil war etwas weniger schwachbrünstig als sonst. Den Rechten und den Linken sei’s gedankt. Kürzlich hat in Leipzigs Innenstadt ein Modegeschäft eröffnet, in dem wohl Klamotten einer Marke angeboten werden, die gern „von rechts“ getragen wird. Nach einem Umweg über Magdeburg hat die linkstouristische Szene bei Googlemaps nun auch Leipzig entdeckt und lässt in der City Scheiben von Geschäften splittern. Wie sich die Ausdrucksformen von Rechts und Links doch mitunter ähneln.
Sei’s drum: Während die Montagsausgabe meiner Lieblingslokalzeitung normalerweise eher dürftig daherkommt, hatte der Lokalteil heute sogar ein aktuelles Thema. Außerdem hat unser Landesfürst seinen Kanzleichef abgesägt. Letzterer verlegt sein Tun nun aus der Dresdner Residenz ins notorisch rote Leipzig, was ich gleich zweifach befürworte: Zum einen tut etwas mehr schwarzer Politik meiner Heimatstadt nur gut, zum anderen war’s gleich der zweite lesenswerte Lokalbericht. Und das an einem Montag!
Im Sport sieht das schon anders aus. Dort wird wieder einmal die sportliche und finanzielle Pleite eines der beiden „wichtigen“ Leipziger Fußballvereine breitgeschrieben. Für Außenstehende: Wer sich eine Vorstellung von den Summen machen will, die beide Vereine seit 1990 ohne erkennbaren Erfolg geschluckt und vernichtet haben, sollte einen Blick auf die deutsche Staatsverschuldung werfen. Allerdings: Deutschland wird wohl eher aus dem finanziellen Keller kommen als die stolpernden Grünflächenbügler.
Ansonsten: Fleißiger Nachrichtenagenturen sei Dank, enthielt mein Lokalpapier sogar wieder einen Politikteil. Heute sogar mit montagsuntypischer Zugabe. Beim Durchsehen entdeckte ich nämlich ein separates Buch (so heißen im Zeitungsjargon die Heften, aus denen der ganze Papierpacken besteht) namens „Zeitgeschehen“. Hoffnung keimte auf: Sind die Gesellschafter schon so satt, dass sie den Lesern nun etwas mehr gönnen? Zu früh gefreut: Unter dem Titel Zeitgeschehen waren vier Agenturmeldungen aufs Papier geklatscht worden. DPA berichtet über die USA-Giftspritze und die Koreanische Präsidentenwanderung (letzteres eine Dublette, denn das Thema stand schon an anderer Stelle im Blatt), afp tickerte über Radio Maryja und Kaczynski, DDP machte die Seite mit dem Prozess um den Foltermord in der JVA Siegburg voll. Aber nicht ganz: Auf einem drittel der Seite prangte eine Textil-Anzeige, die einen glatzköpfigen Mitbürger alternativer Pigmentierung im 99-Euro-Anzug zeigt und mich wissen ließ, dass „Drucktechnisch bedingte Farbunterschiede nicht ganz auszuschließen sind“. Wieder was gelernt.
Der Rest des Zeitgeschehen-Buches hatte diesen hohen Anspruch nicht. Der bestand aus zwei nordischen Seiten (sorry an die linken Touristen: Das Format meiner Lokalpostille heißt nun mal „nordisch“, also lasst die Steine im Pflaster) Werbung für die netten Läden des einen Albrechtbruders sowie einer weiteren Seite, auf der ein blondes Rippchen mit nur einem Fuß und einer viel zu großen Kunstledertasche mich zur heutigen Eröffnung eines neuen Bahnhofsladen nach Leipzig bittet. Auch ja, und die in schlichtem blau-orange-Wechsel gehaltene Beilage eines geilen Elektroladens passte auch noch hinter die Seite mit der Ankündigung vom Zeitgeschehen.
Sicher, der Volksmund weiß, dass Papier geduldig ist. Aber ob das auch die Leserschaft einer Zeitung ist? Drei Brötchen oder zwei Bier sind auch nicht zu verachten.

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Mittwoch, 3. Oktober 2007
Vorurteile schützen vor dem Denken
Menschen sind in der Lage, aus den auf sie einströmenden Informationen zu lernen. Sie sammeln Erfahrungen und können beim wiederholten Auftreten einer Situation adäquat reagieren, ohne den konkreten Fall erst durchdenken zu müssen. Das war „früher“ von Vorteil („Löwe – schnell weg“) und ist es heute noch („Besoffener Glatzkopf – besser Schnauze halten“). Verselbstständigen sich Erfahrungen bzw. versteckt sich ein Mensch, statt die Bereitschaft zum Denken zu zeigen, hinter seinem Erfahrungsschatz, werden aus Erfahrungen Vorurteile.
Wohl jeder Mensch hat einige davon („Die Grünen hätte man rechtzeitig verbieten sollen“), hält sich mit deren exzessiver Verkündigung aber wohlweislich zurück – schließlich hat man ja frühzeitig die Erfahrung gemacht, dass Reden zwar Silber, Schweigen aber mitunter Gold sein kann.
Ausdrücklich verlangt wird Vorurteilsfreiheit – zumindest in beruflichen Fragen – von Journalisten. Die Meinung des Schreiberlings – und dazu zählen auch dessen Vorurteile – hat in einem Bericht nichts verloren. Aber es ist ja so bequem, seinen Vorurteilen Auslauf zu geben. Schließlich muss man dann weniger denken und noch weniger recherchieren.
Ein aktuelles Beispiel für diese Berufsauffassung lieferte am gestrigen Tage der Chefreporter meiner Leipziger Lokalpostille ab. Er erzählte in großer Aufmachung eine herzige Tag-der-deutschen-Einheit-Geschichte. Zwei Knaben spielten 1942 miteinander, Kriegswirren und deutsche Teilung beendeten die Eisenbahn- und Sandkastenfreundschaft. Jetzt trafen beide einander wieder, der eine hat ein Leben in Bayern, der andere eines in Sachsen (fast) hinter sich. Und die Spieleisenbahn gibt’s immer noch.
Es hätte eine schöne Geschichte sein können – hätte mein werter Berufskollege nicht in die Kiste seiner Vorurteile gegriffen. Der „Knabe Ost“ war ein durchschnittlicher DDR-Bürger, aber ein wenig auch dagegen: Mutig löckte er wider den Stachel, war – so der Bericht – der einzige Bewohner des ganzen elfgeschossigen Plattenbaus, der nie die geforderte Fahne aus dem Fenster hängte und sogar den „Haus-Genossen“ widersprach. Dieser „einzige Aufrechte“ erinnert mich ein wenig an die Mär von der einen Stimme, die in irgendeinem deutschen Kaff bei allen Wahlen gegen Adolf Hitler abgegeben worden war. Ich habe selbst 29 Jahre DDR miterlebt; zur totalen Beflaggung fehlte trotz aller Agitation stets mehr als nur ein Stück Stoff …
Aber es kommt noch besser: Der ergraute Chefreporter greift noch einmal tief in die Schatzkiste seiner Berufs- und DDR-Erfahrung. Der „Knabe Ost“ war ein Nichtgenosse. Für alle Spätgeborenen: Er gehörte nicht der staatstragenden SED an – wie die übergroße Mehrheit der DDR-Bürger auch. Schlimmes widerfuhr ihm deshalb: „Auf die Plattenwohnung, 70 Quadratmeter groß, musste der Nicht-Genosse Wagner viele Jahre warten“, schildert der Chefreporter die Schikanen, denen die Aufrechten ausgesetzt waren.
Was sind „viele Jahre“? Zehn? Zwanzig? Vierzig? Rechnen wir mal nach. Laut des Chefreporters Text bezog Nicht-Genosse Wagner seine Platte in Leipzig-Grünau im Jahre 1980. Als Journalist, der sein Handwerk schon zu Zeiten der roten Genossen erlernt und ausgeübt hat, sollte der Herr Chefreporter wissen oder zumindest nachschlagen können, dass der Grundstein für das Neubaugebiet Leipzig-Grünau am 1.6.1976 gelegt wurde. Wie es Nicht-Genosse Wagner, der 1980 einzog, geschafft hat, viele Jahre auf seine Plattenwohnung zu warten, wird wohl auf ewig ein Geheimnis des Chefreporters und seiner Vorurteile bleiben.

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Dienstag, 2. Oktober 2007
Die Handys kommen - oder: der Niedergang
Jaja, den einen oder anderen gebildeten Mitmenschen höre ich jetzt schon säuseln: Handy, englischer Plural, y wird zum ie, so wie bei Babies. Ohne den Lehrer geben zu wollen: Handy ist ein deutsches Wort, sozusagen ein in vorauseilendem Gehorsam gebildetes Pseudofremdwort, das auch als solches, nämlich deutschdämliches, zu behandeln ist.
Aber zur Sache: Zu meinem Broterwerb gehört die redaktionelle Bearbeitung und graphische Gestaltung von Zeitungen & Zeitschriften, insbesondere von Kundenmagazinen. Längst hat Pisa diese Produkte erreicht. Kaum zu glauben, welchen Niedergang sprachlicher Kultur ich beinahe täglich erlebe. Nur zur Klarstellung: Niemand muss ein Dichterfürst sein oder seinen Bericht über eine Veranstaltung in feinster germanistischer Güte abliefern. Aber elementare Kenntnisse deutscher Rechtschreibung und sprachlicher Logik gehören aus meiner Sicht schon zu den Grundfertigkeiten, die ein Mensch nach erfolgreichem Abschluss (!) einer zehnjährigen Schulzeit beherrschen sollte. Die pfiffigeren unter den Unwissenden scheinen sich ihrer Lücken zumindest ein wenig bewusst zu sein ... und probieren in ihrem Textverarbeitungsprogramm so lange herum, bis die rote Kringellinie verschwindet. Duden? Fehlanzeige.
Aber auch der hilft ja nicht immer. Mir ist eine junge Berufskollegin, stolze Inhaberin eines Abiturs mit Deutschnote 1, besonders beglückend in Erinnerung geblieben. Sie schrieb in einem Artikel vom "Kirchbaum" und dessen roten Früchten. Den kritischen Hinweis zur Verwendung eines handelsüblichen Nachschlagewerkes zur deutschen Rechtschreibung vermochte sie nicht nachzuvollziehen. "Ich habe ja gesucht, aber Kirchbaum steht nicht drin, da gibt's nur Kirche, Kirchenchor, Kirchturm und sowas ..." Diese Episode ist nicht erfunden.
Aber ich wollte ja über Handys schreiben. Diese nützlichen Geräte haben die Arbeit vieler Journalisten revolutioniert. Und da sie sich nicht nur als Quatschmaschinen, sondern auch als obertollesupergeile und vor allem coole Kameras verwenden lassen, landen seit einiger Zeit auch Handyfotos zur Illustration von Berichten etc. in meinem Posteingang.
Sollte es tatsächlich eines Beweises für den Niedergang der Industriestaaten bedurft haben, die Handyfotos liefern ihn. Im blinden Vertrauen auf Marketingtrommelei und Megapixel wird ohne Sinn und Verstand abgelichtet, was vor die hosenknopfgroße, dreckverschmierte Kunststofflinse kommt. Und als wären all die Weisheiten vergangener Fotografengenerationen aus der kollektiven Erinnerung getilgt worden, als hättes es Begriffe wie Diagonale, Tessar, available light, indirekter Blitz oder Vordergrund und Hintergrund nie gegeben, ergießen sich Bildchen in meinen Posteingang, die besser nie aufgenommen worden wären.
Doch die Handyknipsbildchen sind nur die Spitze eines Eisberges, der schon seit Jahren unterwegs ist. In der Dresdner Hütte auf dem Stubaigletscher hängen die Konterfeis früherer und aktueller Vorstände bzw. Präsidenten der Dresdner Sektion des Deutschen Alpenvereins. Was gibt es dort für Portraits zu bestaunen: Sorgsam ausgeleuchtete und gerahmte Schwarzweißaufnahmen zeigen Gerichtspräsidenten im feinen Zwirn, geschniegelt und gebügelt im Wissen um die Bedeutung des Augenblicks, da der Herr Photograph nach langen Vorbereitungsarbeiten den Objektivdeckel von seiner Kamera entfernte.
Welch Niedergang offenbart sich da bei Betrachtung der jüngeren Abbildungen: Farbstichige, unscharfe, verblichene Farbfotos, lässig dahingefläzte Vereinsvorsitzende im faltigen Shirt bilden einen schwerzhaften Kontrast zu den ehrwürdigen Herren vergangener Jahrzehnte. Und schon bald wird wohl der erste Präsident mit weitwinkelverzeichneter Knollennase und gut erkennbarer Tintenstrahlspritzpixelei dieser Galerie einen neuen Tiefpunkt bescheren. Nur gut, dass es den heutigen Knipsbildchen an Lichtechtheit mangelt. Jede Nuance des Verblassens kann das Leid des Betrachters nur lindern.
Noch eine Anmerkung sei mir trotz der schon ausufernden Textlänge gestattet: Seit dem Amoklauf von Erfurt erlaubt das Waffengesetz jungen Erwachsenen den Erwerb von großkalibrigem Sportgerät erst ab einem Alter von 21 Jahren. Eine ähnliche Regel würde ich auch bei fotografischen Gerätschaften befürworten. Digital ist erst ab 26 erlaubt. Wer jünger ist, muss eine Kamera mit Film benutzen. Unzählige Terabyte banalster und vor allem schlechtester Bildchen blieben der Menschheit erspart, wenn jeder "Schuss" - so wie einst - richtig Geld kostet und nach 36 mal "Klick" der Film voll ist.
In Ehren ergraute Fotografen kennen sich noch den Satz, dass das Bild im Kopf entsteht ...

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Montag, 1. Oktober 2007
Wochenende & Spartathlon 2007
Es war ein erstaunlich ruhiges Wochenende: Die schon fast zur leidigen Gewohnheit gewordenen MinisterInnen-Ergüsse blieben aus. Na ja: beinahe. Während die rote Brigitte und der schwarze Wolfgang Funkstille wahrten, dröppelte aus des roten Wolfgangs Ministerium die Ankündigung über die Erhöhung der Bußgelder bei Verkehrsdelikten heraus. Na gut, es sei dem Sonnenkönig gegönnt. Will halt auch mal was sagen, solange er noch darf.
Dennoch war das Wochenende alles andere als langweilig. Der Berlin-Marathon (an dem ich wegen der damit verbundenen Abzocke aus Prinzip nicht mehr teilnehme) brachte einen neuen Weltrekord. Für alle, die’s interessiert: Es gibt außer miesem Rasengestolpere deutscher Männer auch noch andere Sportarten.
Aus meiner Sicht weitaus interessanter war jedoch der Spartathlon. Kleine Hilfe: 246km von Athen nach Sparta, Zeitlimit 36h. Laufen, nicht per Auto oder Rad.
2005 habe ich den Lauf selbst gemacht und überlebt, in diesem Jahr fehlte mir einfach die Zeit für diese Unternehmung. Umso sehnsüchtiger verfolgte ich das Geschehen übers Internet. Die griechischen Veranstalter mühten sich mit durchaus geringem Erfolg um eine Live-Berichterstattung auf www.spartathlon.gr und blamierten sich ziemlich gründlich.
Ergiebiger war da schon das DUV-Forum forum.d-u-v.org – dank SMS und Handy wurden einige Infos aus Griechenland übertragen
Fazit: Vorjahressieger Scott Jurek (USA) wiederholte seinen Erfolg, die Plätze 2 und 3 gingen an Piotr Kurylo (Polen) und Valmir Nunes (Brasilien). Bester Deutscher war Jens Lukas auf Platz 4. Obwohl ich nicht zu wilden Spekulationen neige, lässt mich Jureks Sieg grübeln. Kurz zuvor ging es ihm bei einem anderen Rennen nicht wirklich gut, nun so etwas. Aber damit muss man heute wahrscheinlich leben.
Weitaus mehr gab mir zu denken, wie hoch in diesem Jahr die Ausfallquote beim Spartathlon gewesen ist. 2005 und 2006 kam ca. die Hälfte der gestarteten Läufer ins Ziel. In diesem Jahr rutschte die Überlebensquote auf ein Drittel. Eine Reihe mir bekannter, guter Läufer aus Deutschland blieb auf der Strecke. Gut, auf den einen oder anderen Namen hätte ich nicht wetten wollen. Aber so manche vermeintlich sichere Bank hat beim Spartathlon 2007 ein DNF zu stehen. Und auch bei den Überlebenden, um deren Leistungsfähigkeit ich weiß, hat mich die eine oder andere Zielzeit doch überrascht.
Lag’s am in diesem Jahr besonders heißen Wetter? Oder an den erbarmungslosen Veranstaltern, die die in der Vergangenheit mitunter etwas lax gehandhabten cut-off-Zeiten an den einzelnen Kontrollpunkten nun knallhart durchgesetzt haben? Dass schon kurz vor der Marathon ca. ein Zehntel der Läufer „raus“ war, wäre ein Indiz dafür.
Na, mal sehen, wann sich die ersten Heimkehrer melden ...

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Freitag, 28. September 2007
Wechselbad der Gefühle
„Fürwahr es wechseln Pein und Lust, genieße, wenn Du kannst, und leide, wenn Du musst.“
Johann Wolfgang von Goethe war’s, der diesen sinnigen Spruch zu Papier brachte. Bei richtig langen Ultraläufen lasse ich mir diesen Vers durch den Kopf gehen, er passt zum Laufen und lässt mich auch nach zehn oder mehr Stunden einem dem aktuellen Leidenszustand angemessenen Rhythmus finden.
Heute fiel mir die Sache mit Pein und Lust bei der morgendlichen Zeitungslektüre ein. Meine Lieblingslokalzeitung, die mir immer schön pisatauglich erklärt, wie die Welt zu sein hat, macht ihre 1. Seite am 28. September nicht etwa mit Bildern und/oder einem Bericht aus Birma auf. Nö, der findet sich erst später.
Aufmacher ist ein Riesenfoto aus dem Leipziger Hauptbahnhof, denn die dortigen Promenaden – ein ECE-Shoppingcenter – feiern derzeit ihr zehnjähriges Bestehen. Grübel, grübel. War da nicht gestern eine dicke Verlagsbeilage (zu Zeiten von Marlen Gilzer und dem Sat1-Glücksrad hieß so etwas „Dauerwerbesendung“) über zehn Jahre Promenaden im Blatt? Ein Schelm, wer Arges dabei denkt ...
Mal sehen, ob dahinter System steckt. Was gab es gestern noch in meiner Lokalpostille? Grübel, grübel. Richtig, Leipzig feiert ein Jahr Karstadt-Neueröffnung. Dieses weltbewegende Ereignis wurde gestern ebenfalls mit einer gedruckten Dauerwerbesendung gewürdigt. Prompt findet sich als Lokalaufmacher ein riesiges Bild, auf dem Karstadt-Models zu sehen sind. Im Bildtext wird das Festprogramm noch einmal vermerkt.
Natürlich bringt es einem Schreiberling einen gewissen Lustgewinn, wenn er vorhersagen kann, was am nächsten Tag in der Zeitung steht. Aber diese Prophezeiungen dann auch noch erfüllt zu sehen – das ist mitunter Pein (obwohl es anderen Leuten peinlich sein sollte - Stichwort Pressekodex)!

Nochmehr Pein und Lust gefällig? Vor einigen Tagen ließ ich mich in diesem Tagebuch über die ausgesprochen seltsamen Pläne von BuJuMi Zypries zur Registrierung von Sprengstoffzutatenkäufern aus. Den Text schickte ich als Leserbrief auch an meine Lokalpostille. Heute fand ich ihn doch tatsächlich im Blatt. Oh welche Lust.
Aber schon folgte die Pein: Die Redaktion hatte ihr ausdrücklich vermerktes Recht zur sinnwahrenden Kürzung genutzt und mein Textlein ein wenig reduziert. Das ist wie bei einer Sauce: Wenn der falsche Koch ans Reduzieren geht, schmeckt's nicht mehr. Wer die redukastrierte Fassung im Lokalteil meiner Postille liest, könnte durchaus Verständnisschwierigkeiten haben. Schließlich weiß der terroristisch bzw. chemisch nicht vorgebildete Leser wahrscheinlich nicht, was Nitratdünger und Diesel mit Terrorismus zu tun haben. Ich hatte es erklärt, ohne Rezepte zu nennen. Der Leserbriefredakteur hatte es – wohl aus Angst vor bitterbösen Bombenbastlern – rausgenommen.
Wer meinen BuJuMi-Erguss in voller Schönheit nachlesen möchte, findet ihn in diesem kleinen Tagebuch, der Eintrag stammt vom 9. September 2007.

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