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Dienstag, 1. Juli 2008
Joseph Goebbels, DHL und 500 Mio vom Freistaat Sachsen
zeitungsdieb, 14:59h
Was haben Willy Brandt, Helmut Kohl, Hans-Joachim Kuhlenkampf, Egon Bahr und Guido Knopp gemeinsam? Sie alle haben die Sünde begangen, andere Menschen mit Joseph Goebbels zu vergleichen. Für die Spätgeborenen: Joseph Goebbels war einer der Hauptakteure des NS-Regimes, der durch sein Wirkens als „Reichsminister für Propaganda und Volksaufklärung“ sowie „Generalbevollmächtiger für den totalen Kriegseinsatz“ maßgeblich zu Endlösung, totalem Krieg und sinnlosem Sterben beigetragen hat. Aus eigenem Erleben kenne ich noch den Aufruhr, den Helmut Kohl auslöste, als er dem US-Magazin Newsweek in einem Interview (später durch Tonbandmitschnitt bestätigt) über Michail Gorbatschow sagte: „Das ist ein moderner kommunistischer Führer, der war nie in Kalifornien, nie in Hollywood, aber der versteht etwas von PR. Der Goebbels verstand auch etwas von PR.“
Die dadurch ausgelöste echte (und erst recht die gespielte) Hysterie lehrten mich: Man darf niemanden mit Goebbels & Co. vergleichen. Daran halte ich mich tunlichst, auch wenn ich (man lernt ja dazu) inzwischen durchaus nachvollziehen kann, warum der promovierte Historiker Helmut Kohl diesen Vergleich gebraucht hat …
Wer sich ein wenig in die Gedankenwelt eines skrupellosen PR-Mannes und notorischen Demagogen im Dienste des Teufels einlesen will, dem sei die Lektüre seiner Tagebücher empfohlen, die man u.a. unter ISBN 3492114105 ordern kann.
Gobbelssche Leitsätze wie „Wozu Wahrheit? Eine Lüge muss man nur oft genug wiederholen, immer drauf!“ oder „Wir dürfen uns nicht an die Elite wenden – die erreichen wir nicht. Wir müssen die Dummen überzeugen!“ klingen mir übrigens in diesen Tagen in den Ohren, wenn ich die aktuelle Berichterstattung zum Themenkreis DHL, Flughafen Leipzig-Halle LEJ, Nachtflug usw. erlebe.
Beispiele gefällig?
Eine Methode, die schon der gottlob per Suizid endgelöste Joseph Goebbels geschickt einzusetzen wusste, erlebt dieser Tage auch in Leipzig und Umgebung eine Renaissance: die Stigmatisierung. Darunter versteht man laut http://de.wikipedia.org/wiki/Stigmatisierung die zu sozialer Diskriminierung führende Charakterisierung einer Person oder Gruppe durch die Zuschreibung gesellschaftlich oder gruppenspezifisch negativ bewerteter Merkmale.
Im Klartext: Wer es wagt, sich gegen DHL den Nachtfluglärm zur Wehr zu setzen, der ist plötzlich der Dumme. „Diese Leute haben Anfang der 90er billige Grundstücke am Flughafen gekauft, und jetzt jammern sie.“ Dass die Grundstücke damals weder billig noch „am Flughafen“ waren (wir reden hier von einer später geplanten und gebauten, neuen Start- und Landebahn und von der zehn Jahre späteren DHL-Ansiedlung) – wen kümmert’s? Und dass viele Betroffene gar nicht „am Flughafen“, sondern im Leipziger Stadtgebiet leben, wen kümmert’s?
Man muss die Lüge nur oft genug aufkochen („Die haben billig gekauft und nun müssen sie den Lärm auch aushalten ...“), dann wird sie geglaubt. Und damit’s nicht so auffällt, wird sogar noch ein Freundesverein ins Leben gerufen, dessen Gutmenschenmitglieder das Aufkochen vollkommen uneigennützig übernehmen.
Apropos kochen: Die ganze Propagandasuppe blubbert zurzeit auf besonders großer Flamme. Da in wenigen Tagen das Thema Nachtflug vor Gericht behandelt werden wird, schlagen die DHL-Trommler einen besonders heftigen Takt.
Ein besonders dreistes Stück PR-Arbeit, an dem sicher auch der Bock von Babelsberg seine dämonische Freude gehabt hätte, flatterte mir vor wenigen Tagen auf den Schreibtisch. Als Verlagsbeilage zur Zeitschrift „Journalist“ wurde unter dem Titel „Das Tor zur Welt“ ein 16-seitiges Heft über das DHL-Luftfrachtdrehkreuz Leipzig/Halle an die Vertreter der journalistischen Zunft verschickt. Diese gelten als Multiplikatoren oder – auf Neudeutsch – Meinungsmacher und müssen gewonnen werden. Überzeugen kann man die Angehörigen dieser Info-Elite nur schwer, aber man nutzt sich deren Faulheit aus und schickt ihnen maulgerecht Happen – Infofastfood zum schnellen Herunterschlingen.
Mit der Wahrheit nehmen es die Macher des DHL-Heftchens nicht immer genau. Da ist von soviel umweltfreundlichem Zeugs die Rede, dass man beim Lesen zu der Überzeugung gelangen könnte, dass DHL die Luft sauberer macht und Lärm verschwinden lässt statt ihn zu erzeugen. Aber es kommt ja auf „die Dummen“ an.
Beispiel gefällig? Als „kleines Wunder“ wird in besagter Propagandabroschüre der Bau des Luftfrachtdrehkreuzes Air Hub Leipzig/Halle geschildert. Zitat: „Die Story klingt wie ein modernes Märchen, Auf zwei Millionen Quadratmetern Brachland vor den Toren Leipzigs entstand ...“
Zwei Millionen Quadratmeter – das sind 200 Hektar. Das ist schon was. Ziemlich viel Brachland, was da vor den Toren Leipzigs herumgelegen haben muss und auf den gelben Prinzen gewartet hat. Ein Blick auf Google Earth zeigt anderes.
Die derzeit zu sehenden Aufnahmen entstanden offensichtlich zu Beginn des DHL-Märchens und lassen erkennen, dass da kein Brachland war, sondern landwirtschaftlich genutzte Fläche. Brach ist etwas anderes. Aber das merken ja die Dummen nicht, deren Verstand brach liegt.
Inzwischen trommeln die Freunde des Nachtfluges, dass es in Leipzig und Umgebung kräfitg scheppert. Oberbürgermeister Burkhard Jung macht sich bei einem Gutteil seiner kargen Wählerschaft unbeliebt, indem er ein rückhaltloses Bekenntnis zum Logistikstandort Leipzig (und zu den Nachtflügen) abgibt und ein solches auch von Stadträten etc. fordert. Er erhält es nicht von allen, denn so mancher Kommunalpolitiker erlebt werktäglich, ähäm: werknächtlich, den akustischen Unterschied zwischen Propaganda und Realität im eigenen Schlafzimmer. Aber zumindest Wirtschaftsbürgermeister Uwe Albrecht steht zu Jung, zu DHL und zu dem Krach, den er selbst nicht hört. In einem Interview (LVZ, 1.Juli 2008) sagte er: „Dort, wo Arbeitsplätze in der Industrie oder einem Flughafen entstehen, dort ist auch Lärm, dort sind Belastungen zu tragen. Auch hier greift wieder der Pakt für Leipzig. Flughafen, DHL und die öffentliche Seite müssen Hand in Hand stehen, um das bestmögliche Ziel zu erreichen: Sichere Arbeitsplätze für Leipziger in einer lebenswerten Stadt.“ Da werden sich die Dörfler und Kleinstädter, über deren Köpfen die Frachtflieger nächtens herumgurken, aber freuen, dass es um sie nicht geht ... Aber mal ehrlich: Da hat er sich doch tüchtig verquast ausgedrückt, der gute Mann. Olle Goebbels hätte die gleiche Aussage wesentlich kürzer getroffen: „Es gereicht dem Einzelnen zur höchsten Ehre, wenn er für die Volksgemeinschaft ein Opfer bringen kann.“ Aber das war jetzt kein Vergleich, nur so ein Gedanke ...
Apropos Gedanke: Mit ein wenig Nachdenken und Suchen bekommt man ganz leicht heraus, warum all die Jungs, Albrechts und die vielen, vielen Gutmenschen sich so für DHL und den Flughafen einsetzen. Na klar, es geht um Arbeitsplätze. Aber das ist längst nicht alles: Zwischen DHL und dem Flughafen Leipzig/Halle wurde eine nette Vereinbarung getroffen, bei der der Freistaat Sachsen die Hosen sehr weit heruntergelassen hat. Hier findet sich http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2007:048:0007:0029:EN:PDF der Wortlaut einer Vereinbarung zwischen Flughafen und DHL, in dem auch die Patronatserklärung des Freistaates Sachsen zu finden ist. Soll heißen: Wenn die Nachtfliegerei nicht mehr möglich ist, muss der Freistaat zahlen. Zwecks Wahrung von Geschäftsgeheimnissen sind in vorliegender Fassung so ziemlich alle Zahlen außer der Uhrzeit gelöscht, aber es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass, sofern die auf 30 Jahre befristete Nachtfluggenehmigung fällt, der Freistaat bis zu 500 Mio. Euro berappen darf.
Die dadurch ausgelöste echte (und erst recht die gespielte) Hysterie lehrten mich: Man darf niemanden mit Goebbels & Co. vergleichen. Daran halte ich mich tunlichst, auch wenn ich (man lernt ja dazu) inzwischen durchaus nachvollziehen kann, warum der promovierte Historiker Helmut Kohl diesen Vergleich gebraucht hat …
Wer sich ein wenig in die Gedankenwelt eines skrupellosen PR-Mannes und notorischen Demagogen im Dienste des Teufels einlesen will, dem sei die Lektüre seiner Tagebücher empfohlen, die man u.a. unter ISBN 3492114105 ordern kann.
Gobbelssche Leitsätze wie „Wozu Wahrheit? Eine Lüge muss man nur oft genug wiederholen, immer drauf!“ oder „Wir dürfen uns nicht an die Elite wenden – die erreichen wir nicht. Wir müssen die Dummen überzeugen!“ klingen mir übrigens in diesen Tagen in den Ohren, wenn ich die aktuelle Berichterstattung zum Themenkreis DHL, Flughafen Leipzig-Halle LEJ, Nachtflug usw. erlebe.
Beispiele gefällig?
Eine Methode, die schon der gottlob per Suizid endgelöste Joseph Goebbels geschickt einzusetzen wusste, erlebt dieser Tage auch in Leipzig und Umgebung eine Renaissance: die Stigmatisierung. Darunter versteht man laut http://de.wikipedia.org/wiki/Stigmatisierung die zu sozialer Diskriminierung führende Charakterisierung einer Person oder Gruppe durch die Zuschreibung gesellschaftlich oder gruppenspezifisch negativ bewerteter Merkmale.
Im Klartext: Wer es wagt, sich gegen DHL den Nachtfluglärm zur Wehr zu setzen, der ist plötzlich der Dumme. „Diese Leute haben Anfang der 90er billige Grundstücke am Flughafen gekauft, und jetzt jammern sie.“ Dass die Grundstücke damals weder billig noch „am Flughafen“ waren (wir reden hier von einer später geplanten und gebauten, neuen Start- und Landebahn und von der zehn Jahre späteren DHL-Ansiedlung) – wen kümmert’s? Und dass viele Betroffene gar nicht „am Flughafen“, sondern im Leipziger Stadtgebiet leben, wen kümmert’s?
Man muss die Lüge nur oft genug aufkochen („Die haben billig gekauft und nun müssen sie den Lärm auch aushalten ...“), dann wird sie geglaubt. Und damit’s nicht so auffällt, wird sogar noch ein Freundesverein ins Leben gerufen, dessen Gutmenschenmitglieder das Aufkochen vollkommen uneigennützig übernehmen.
Apropos kochen: Die ganze Propagandasuppe blubbert zurzeit auf besonders großer Flamme. Da in wenigen Tagen das Thema Nachtflug vor Gericht behandelt werden wird, schlagen die DHL-Trommler einen besonders heftigen Takt.
Ein besonders dreistes Stück PR-Arbeit, an dem sicher auch der Bock von Babelsberg seine dämonische Freude gehabt hätte, flatterte mir vor wenigen Tagen auf den Schreibtisch. Als Verlagsbeilage zur Zeitschrift „Journalist“ wurde unter dem Titel „Das Tor zur Welt“ ein 16-seitiges Heft über das DHL-Luftfrachtdrehkreuz Leipzig/Halle an die Vertreter der journalistischen Zunft verschickt. Diese gelten als Multiplikatoren oder – auf Neudeutsch – Meinungsmacher und müssen gewonnen werden. Überzeugen kann man die Angehörigen dieser Info-Elite nur schwer, aber man nutzt sich deren Faulheit aus und schickt ihnen maulgerecht Happen – Infofastfood zum schnellen Herunterschlingen.
Mit der Wahrheit nehmen es die Macher des DHL-Heftchens nicht immer genau. Da ist von soviel umweltfreundlichem Zeugs die Rede, dass man beim Lesen zu der Überzeugung gelangen könnte, dass DHL die Luft sauberer macht und Lärm verschwinden lässt statt ihn zu erzeugen. Aber es kommt ja auf „die Dummen“ an.
Beispiel gefällig? Als „kleines Wunder“ wird in besagter Propagandabroschüre der Bau des Luftfrachtdrehkreuzes Air Hub Leipzig/Halle geschildert. Zitat: „Die Story klingt wie ein modernes Märchen, Auf zwei Millionen Quadratmetern Brachland vor den Toren Leipzigs entstand ...“
Zwei Millionen Quadratmeter – das sind 200 Hektar. Das ist schon was. Ziemlich viel Brachland, was da vor den Toren Leipzigs herumgelegen haben muss und auf den gelben Prinzen gewartet hat. Ein Blick auf Google Earth zeigt anderes.
Die derzeit zu sehenden Aufnahmen entstanden offensichtlich zu Beginn des DHL-Märchens und lassen erkennen, dass da kein Brachland war, sondern landwirtschaftlich genutzte Fläche. Brach ist etwas anderes. Aber das merken ja die Dummen nicht, deren Verstand brach liegt.
Inzwischen trommeln die Freunde des Nachtfluges, dass es in Leipzig und Umgebung kräfitg scheppert. Oberbürgermeister Burkhard Jung macht sich bei einem Gutteil seiner kargen Wählerschaft unbeliebt, indem er ein rückhaltloses Bekenntnis zum Logistikstandort Leipzig (und zu den Nachtflügen) abgibt und ein solches auch von Stadträten etc. fordert. Er erhält es nicht von allen, denn so mancher Kommunalpolitiker erlebt werktäglich, ähäm: werknächtlich, den akustischen Unterschied zwischen Propaganda und Realität im eigenen Schlafzimmer. Aber zumindest Wirtschaftsbürgermeister Uwe Albrecht steht zu Jung, zu DHL und zu dem Krach, den er selbst nicht hört. In einem Interview (LVZ, 1.Juli 2008) sagte er: „Dort, wo Arbeitsplätze in der Industrie oder einem Flughafen entstehen, dort ist auch Lärm, dort sind Belastungen zu tragen. Auch hier greift wieder der Pakt für Leipzig. Flughafen, DHL und die öffentliche Seite müssen Hand in Hand stehen, um das bestmögliche Ziel zu erreichen: Sichere Arbeitsplätze für Leipziger in einer lebenswerten Stadt.“ Da werden sich die Dörfler und Kleinstädter, über deren Köpfen die Frachtflieger nächtens herumgurken, aber freuen, dass es um sie nicht geht ... Aber mal ehrlich: Da hat er sich doch tüchtig verquast ausgedrückt, der gute Mann. Olle Goebbels hätte die gleiche Aussage wesentlich kürzer getroffen: „Es gereicht dem Einzelnen zur höchsten Ehre, wenn er für die Volksgemeinschaft ein Opfer bringen kann.“ Aber das war jetzt kein Vergleich, nur so ein Gedanke ...
Apropos Gedanke: Mit ein wenig Nachdenken und Suchen bekommt man ganz leicht heraus, warum all die Jungs, Albrechts und die vielen, vielen Gutmenschen sich so für DHL und den Flughafen einsetzen. Na klar, es geht um Arbeitsplätze. Aber das ist längst nicht alles: Zwischen DHL und dem Flughafen Leipzig/Halle wurde eine nette Vereinbarung getroffen, bei der der Freistaat Sachsen die Hosen sehr weit heruntergelassen hat. Hier findet sich http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2007:048:0007:0029:EN:PDF der Wortlaut einer Vereinbarung zwischen Flughafen und DHL, in dem auch die Patronatserklärung des Freistaates Sachsen zu finden ist. Soll heißen: Wenn die Nachtfliegerei nicht mehr möglich ist, muss der Freistaat zahlen. Zwecks Wahrung von Geschäftsgeheimnissen sind in vorliegender Fassung so ziemlich alle Zahlen außer der Uhrzeit gelöscht, aber es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass, sofern die auf 30 Jahre befristete Nachtfluggenehmigung fällt, der Freistaat bis zu 500 Mio. Euro berappen darf.
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Freitag, 27. Juni 2008
Juristische Begriffe erklärt: Was ist ein Gefahrübergang? Oder: Hagel bei Volkswagen
zeitungsdieb, 11:36h
Es gibt es so allerlei Vokabeln, die man nicht so einfach versteht. Wenn man z.B. eine Sache kauft, tritt zu einem bestimmten Zeitpunkt der so genannte Gefahrübergang ein. Soll heißen: Wenn dem guten Stück etwas passiert, und es ist schon "meins", habe ich die sprichwörtliche A...karte. War der Gefahrübergang noch nicht eingetreten, liegt der schwarze Peter beim Händler, ggf. auch beim Auslieferer.
Schaut man bei Bestellungen ins Kleingedruckte, findet man dort sehr interessante Formulierungen zu eben diesem Gefahrübergang. Manche Händler drücken dem Käufer das Risiko bereits in dem Moment aufs Auge, da die Sendung ihr Lager per Spedition verlässt usw.
Das mag dem einen oder anderen Leser meines kleinen Tagebuches nun ein wenig dröge vorkommen, also halte ich es mit meinem alten Physiklehrer und "mmmachen mir mal ä Beischbiel ...".
Wenn ich ein Auto kaufe, erfolgt der Gefahrübergang im Moment der Übergabe durch den Händler an mich. Soll heißen: Besichtigt, Finanzen geklärt, Unterschrift, Schlüssel und ... in dem Moment schlägt der gefrorene Inhalt einer Flugzeugtoilette in meinem neuen Boliden ein - angeschmiert. Und ich könnte nicht einmal den Händler dafür haftbar machen, denn das herabfallende Airbusklo hat er nicht verursacht. Also ist es in einem solchen Fall besser, der Lehrling fährt nach der Übergabe mit dem Stapler gegen mein neues Auto. Oder so.
Ein typischer Fall von noch nicht erfolgtem Gefahrübergang hat sich am vergangenen Sonntag in Emden ereignet. Dort wurden 30.000 neue Volkswagen (für unsere österreichischen Leser: Volkswägen) von einem Hagelschlag getroffen. Die etwa zweieinhalb Zentimeter großen Eisstücke richteten erheblichen Schaden an, VW spricht von einem dreistelligenMillionenbetrag.
Schade nur, dass die Hagelkörner nicht ein wenig größer waren. Hätten sie einen Durchmesser von mindestens 42,67 mm gehabt, hätte ich über Gölfe, die von golfballgroßen Göschössen zörtöppert wörden, kalauern können.
Ganz spontan fällt mir in Anbetracht des Hagelschadens auf den VW-Freiflächen die alte DDR-Initiative "Industriearbeiter aufs Land" ein. In Anlehnung daran könnten die Lustgreise des VW-Managements die nächste Lustreise ja mal als Bildungsurlaub tarnen und sich bei Obstbauern umsehen. Die sichern ihre edlen Früchte für wenig Geld mit Hilfe von Hagelschlagnetzen.
Schaut man bei Bestellungen ins Kleingedruckte, findet man dort sehr interessante Formulierungen zu eben diesem Gefahrübergang. Manche Händler drücken dem Käufer das Risiko bereits in dem Moment aufs Auge, da die Sendung ihr Lager per Spedition verlässt usw.
Das mag dem einen oder anderen Leser meines kleinen Tagebuches nun ein wenig dröge vorkommen, also halte ich es mit meinem alten Physiklehrer und "mmmachen mir mal ä Beischbiel ...".
Wenn ich ein Auto kaufe, erfolgt der Gefahrübergang im Moment der Übergabe durch den Händler an mich. Soll heißen: Besichtigt, Finanzen geklärt, Unterschrift, Schlüssel und ... in dem Moment schlägt der gefrorene Inhalt einer Flugzeugtoilette in meinem neuen Boliden ein - angeschmiert. Und ich könnte nicht einmal den Händler dafür haftbar machen, denn das herabfallende Airbusklo hat er nicht verursacht. Also ist es in einem solchen Fall besser, der Lehrling fährt nach der Übergabe mit dem Stapler gegen mein neues Auto. Oder so.
Ein typischer Fall von noch nicht erfolgtem Gefahrübergang hat sich am vergangenen Sonntag in Emden ereignet. Dort wurden 30.000 neue Volkswagen (für unsere österreichischen Leser: Volkswägen) von einem Hagelschlag getroffen. Die etwa zweieinhalb Zentimeter großen Eisstücke richteten erheblichen Schaden an, VW spricht von einem dreistelligenMillionenbetrag.
Schade nur, dass die Hagelkörner nicht ein wenig größer waren. Hätten sie einen Durchmesser von mindestens 42,67 mm gehabt, hätte ich über Gölfe, die von golfballgroßen Göschössen zörtöppert wörden, kalauern können.
Ganz spontan fällt mir in Anbetracht des Hagelschadens auf den VW-Freiflächen die alte DDR-Initiative "Industriearbeiter aufs Land" ein. In Anlehnung daran könnten die Lustgreise des VW-Managements die nächste Lustreise ja mal als Bildungsurlaub tarnen und sich bei Obstbauern umsehen. Die sichern ihre edlen Früchte für wenig Geld mit Hilfe von Hagelschlagnetzen.
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Mittwoch, 25. Juni 2008
Sächsisches Klüngelspiel oder: Die rote Petra geht nicht unter
zeitungsdieb, 10:47h
Die Frau heißt Petra Köpping und wäre so gern meine Landrätin geworden. Aber sie hat’s vermasselt, zum Glück. Nicht, dass ich etwas gegen Frauen in wichtigen Ämtern hätte, nönö. Angela Merkel finde ich gut, aber das wissen die regelmäßigen Leser dieses kleinen Tagebuches ja längst.
Aber zurück zu Petra Köpping. Die ist eine echte Powerfrau, war Bürgermeisterin, zwischendurch mal im Außendienst einer Krankenversicherung, gehört seit einiger Zeit der SPD an ist zurzeit noch Landrätin des noch-Landkreises Leipziger Land. Und das wäre sie wohl bis ans Ende ihrer Tage geblieben, hätte es in Sachsen nicht die Verwaltungs- und Funktionalreform gegeben. In deren Verlauf wird der bisherige Landkreis Leipziger Land mit dem bisherigen Muldentalkreis zum Landkreis Leipzig zwangsvereint. Dabei büßt die Muldentalhauptstadt Grimma ihren Status als Kreissitz zugunsten von Borna ein.
Diese Entscheidung sorgte für großen Ärger und allerlei Klagen vor Gericht, denn Borna liegt am Rand des künftigen Großkreises und hat auch sonst eher schlechte Voraussetzungen zur Hauptstadt ... Aber hier wurde, so die Kläger gegen die Kreissitzentscheidung, durch Regierung und Landtag nicht nach Sachlage, sondern im Ergebnis einer heftigen parteipolitischen Kungelei entschieden. In Sachsen regiert eine CDU-SPD-Koalition (von „groß“ kann man angesichts der Wahlergebnisse nicht reden) und der Juniorpartner musste auch ein wenig gekrault werden.
Und weil der bisherige Landkreis Muldental in Gestalt von Dr. Gerhard Gey (CDU) ebenfalls einen Landrat in die Zwangsehe einbringt, musste um die Besetzung dieses Postens gefochten werden. Beide Kandidaten zogen ins Feld, um Wählerstimmen zu sammeln. Eigentlich hatte die smarte Petra Köpping klar die besseren Chancen. Dass sie einen Machtinstinkt wie Andrea Ypsilanti hat, sie man der braunäugigen Landrätin nicht an. Sie kommt ein wenig wie Gabriele Pauli daher, ist eine begnadete networkerin (so heißt das wohl heute), weiß ihre Reize einzusetzen und den sechszackigen Stern, den sie am Hals trägt, auch. Oder auch nicht, wie zum Beispiel beim Aufmacherfoto ihrer Homepage www.petra-koepping.de - man will ja gewählt werden und da fällt der Stern dann schon mal der Schere zum Opfer.
Ihr Gegenkandidat beim Kampf ums Landratsamt ist Dr. Gerhard Gey. Er hat das Amt im Muldentalkreis seit 1990 inne, ist ein eher geradliniger, knochiger und auch mal knorriger Typ. Und er schien gegen die flotte, sieggewohnte Landrätin mit all ihren Verbindungen und Fäden, die zudem ein Medienliebling ist, nicht wirklich eine Chance haben.
Hatte er aber doch. Bei der Landratswahl am 8. Juni fehlten Gey nur wenige Stimmen zur absoluten Mehrheit – und das, obwohl auch FDP und Linke Kandidaten ins Rennen geschickt hatten. Mit über 48 Prozent verwies er die in den unteren Dreißigern herumdümpelnde Petra Köpping an den Katzentisch.
Bei der Stichwahl am 22. Juni (diese war genau genommen keine Stich- sondern eine Neuwahl, so will es das sächsische Wahlgesetz) kam es zum Showdown zwischen Köpping und Gey. FDP und Linke hatten ihre Bewerber zurückgezogen. Die Linke gab fürs Leipziger Land eine Wahlempfehlung pro Köpping ab, im Muldental schwiegen die Genossen, weil sie eben diese Empfehlung nicht geben wollten. Die FDP sprach sich pro Gey aus.
Der Rest ist Statistik: Gerhard Gey ging mit klarem Vorsprung als Sieger aus dem zweiten Wahlgang hervor. Dieses Ergebnis ist – soviel sei gesagt – weniger den Sachthemen und der Programmatik der beiden Bewerber geschuldet, sondern vor allem dem starken Wir-Gefühl im Muldentalkreis: Erst hat man uns den Kreissitz weggenommen, nun wollen wir es „denen“ aber zeigen und uns nicht noch den Landrat wegnehmen lassen – so werden Wähler mobilisiert.
Machtfrau Petra Köpping schien um ihre drohende Niederlage schon nach dem ersten Wahlgang zu wissen und biss in den zwei Wochen bis zur Entscheidung um sich wie ein waidwundes Tier. Allerlei Statements und böse Worte ließ sie vom Stapel (guckst Du hier: www.petra-koepping.de). Die Krönung war ein Brief, den die Wähler im Muldentalkreis am Tag vor der Wahl erhielten. In diesem Schreiben buhlte die Möchtegernlandrätin um Stimmen. Die Anrede „Liebe Muldentaler“ ließ mich schmunzeln. Mir fiel dabei ein Film ein, in dem ein deutschkaiserlicher Offizier die unter der Sonne Afrikas angetretenen Bewohner irgendeines Dorfes mit „Liebe Neger“ begrüßte.
Allerdings verging mir das Grinsen schnell, denn die rote Landrätin forderte die lieben Muldentaler auf, wählen zu gehen. „Leider gibt es auch ein starkes, sehr rechtes Wählerklientel, das am 22. Juni mit Sicherheit seine Stimme abgeben wird.“
Moment mal, dachte ich in diesem Moment – wer steht am 22. Juni auf der Liste? In alphabetical order sind dies Dr. Gerhard Gey (CDU) und Petra Köpping (SPD) – wo bitte ist der NPD-Kandidat, den es zu stoppen gilt? Und da sah ich plötzlich die braunäugige Petra vor mir, wie sie mit rot lackierten Lippen zuckersüß lächelte und ein wenig das güldene Sternchen im Ausschnitt ihres Sommerkleides blitzen ließ. Und kräftig mit der großen Keule um sich drosch.
Der Rest ist Geschichte. Die Wähler waren entweder zu klug, um auf solche Bauernfängertricks hereinzufallen oder die Dummen waren zu faul, den Mist zu lesen und/oder an einem sonnigen Sonntag noch mal zur Wahl zu gehen. Wahrscheinlich wohl beides.
Um Petra Köppings Zukunft muss sich übrigens niemand Sorgen machen. Skrupellose und machtgeile Parteisoldaten, die in der Lage sind, die Wahrheit kreativ zu verbiegen und die Realität zu ignorieren, gehen nicht unter. Zur Not können sie in Russland Gasmann werden. Aber soweit muss es nicht kommen. Das sächsische Parteiengeklüngel hält für die smarte Petra eine ganz andere Belohnung bereit. Die rote Powerfrau ist als Regierungspräsidentin im Gespräch – und das ist eine doppelte Ironie. Zum einen wäre sie dann Chefin genau der Mittelbehörde, für deren Abschaffung sie als Landrätin eingetreten ist. Zum anderen hätte sie dann die Rechtsaufsicht über die Landratsämter und – wenn sie sich für das RP Leipzig entscheiden sollte – damit auch über Dr. Gerhard Gey.
Aber zurück zu Petra Köpping. Die ist eine echte Powerfrau, war Bürgermeisterin, zwischendurch mal im Außendienst einer Krankenversicherung, gehört seit einiger Zeit der SPD an ist zurzeit noch Landrätin des noch-Landkreises Leipziger Land. Und das wäre sie wohl bis ans Ende ihrer Tage geblieben, hätte es in Sachsen nicht die Verwaltungs- und Funktionalreform gegeben. In deren Verlauf wird der bisherige Landkreis Leipziger Land mit dem bisherigen Muldentalkreis zum Landkreis Leipzig zwangsvereint. Dabei büßt die Muldentalhauptstadt Grimma ihren Status als Kreissitz zugunsten von Borna ein.
Diese Entscheidung sorgte für großen Ärger und allerlei Klagen vor Gericht, denn Borna liegt am Rand des künftigen Großkreises und hat auch sonst eher schlechte Voraussetzungen zur Hauptstadt ... Aber hier wurde, so die Kläger gegen die Kreissitzentscheidung, durch Regierung und Landtag nicht nach Sachlage, sondern im Ergebnis einer heftigen parteipolitischen Kungelei entschieden. In Sachsen regiert eine CDU-SPD-Koalition (von „groß“ kann man angesichts der Wahlergebnisse nicht reden) und der Juniorpartner musste auch ein wenig gekrault werden.
Und weil der bisherige Landkreis Muldental in Gestalt von Dr. Gerhard Gey (CDU) ebenfalls einen Landrat in die Zwangsehe einbringt, musste um die Besetzung dieses Postens gefochten werden. Beide Kandidaten zogen ins Feld, um Wählerstimmen zu sammeln. Eigentlich hatte die smarte Petra Köpping klar die besseren Chancen. Dass sie einen Machtinstinkt wie Andrea Ypsilanti hat, sie man der braunäugigen Landrätin nicht an. Sie kommt ein wenig wie Gabriele Pauli daher, ist eine begnadete networkerin (so heißt das wohl heute), weiß ihre Reize einzusetzen und den sechszackigen Stern, den sie am Hals trägt, auch. Oder auch nicht, wie zum Beispiel beim Aufmacherfoto ihrer Homepage www.petra-koepping.de - man will ja gewählt werden und da fällt der Stern dann schon mal der Schere zum Opfer.
Ihr Gegenkandidat beim Kampf ums Landratsamt ist Dr. Gerhard Gey. Er hat das Amt im Muldentalkreis seit 1990 inne, ist ein eher geradliniger, knochiger und auch mal knorriger Typ. Und er schien gegen die flotte, sieggewohnte Landrätin mit all ihren Verbindungen und Fäden, die zudem ein Medienliebling ist, nicht wirklich eine Chance haben.
Hatte er aber doch. Bei der Landratswahl am 8. Juni fehlten Gey nur wenige Stimmen zur absoluten Mehrheit – und das, obwohl auch FDP und Linke Kandidaten ins Rennen geschickt hatten. Mit über 48 Prozent verwies er die in den unteren Dreißigern herumdümpelnde Petra Köpping an den Katzentisch.
Bei der Stichwahl am 22. Juni (diese war genau genommen keine Stich- sondern eine Neuwahl, so will es das sächsische Wahlgesetz) kam es zum Showdown zwischen Köpping und Gey. FDP und Linke hatten ihre Bewerber zurückgezogen. Die Linke gab fürs Leipziger Land eine Wahlempfehlung pro Köpping ab, im Muldental schwiegen die Genossen, weil sie eben diese Empfehlung nicht geben wollten. Die FDP sprach sich pro Gey aus.
Der Rest ist Statistik: Gerhard Gey ging mit klarem Vorsprung als Sieger aus dem zweiten Wahlgang hervor. Dieses Ergebnis ist – soviel sei gesagt – weniger den Sachthemen und der Programmatik der beiden Bewerber geschuldet, sondern vor allem dem starken Wir-Gefühl im Muldentalkreis: Erst hat man uns den Kreissitz weggenommen, nun wollen wir es „denen“ aber zeigen und uns nicht noch den Landrat wegnehmen lassen – so werden Wähler mobilisiert.
Machtfrau Petra Köpping schien um ihre drohende Niederlage schon nach dem ersten Wahlgang zu wissen und biss in den zwei Wochen bis zur Entscheidung um sich wie ein waidwundes Tier. Allerlei Statements und böse Worte ließ sie vom Stapel (guckst Du hier: www.petra-koepping.de). Die Krönung war ein Brief, den die Wähler im Muldentalkreis am Tag vor der Wahl erhielten. In diesem Schreiben buhlte die Möchtegernlandrätin um Stimmen. Die Anrede „Liebe Muldentaler“ ließ mich schmunzeln. Mir fiel dabei ein Film ein, in dem ein deutschkaiserlicher Offizier die unter der Sonne Afrikas angetretenen Bewohner irgendeines Dorfes mit „Liebe Neger“ begrüßte.
Allerdings verging mir das Grinsen schnell, denn die rote Landrätin forderte die lieben Muldentaler auf, wählen zu gehen. „Leider gibt es auch ein starkes, sehr rechtes Wählerklientel, das am 22. Juni mit Sicherheit seine Stimme abgeben wird.“
Moment mal, dachte ich in diesem Moment – wer steht am 22. Juni auf der Liste? In alphabetical order sind dies Dr. Gerhard Gey (CDU) und Petra Köpping (SPD) – wo bitte ist der NPD-Kandidat, den es zu stoppen gilt? Und da sah ich plötzlich die braunäugige Petra vor mir, wie sie mit rot lackierten Lippen zuckersüß lächelte und ein wenig das güldene Sternchen im Ausschnitt ihres Sommerkleides blitzen ließ. Und kräftig mit der großen Keule um sich drosch.
Der Rest ist Geschichte. Die Wähler waren entweder zu klug, um auf solche Bauernfängertricks hereinzufallen oder die Dummen waren zu faul, den Mist zu lesen und/oder an einem sonnigen Sonntag noch mal zur Wahl zu gehen. Wahrscheinlich wohl beides.
Um Petra Köppings Zukunft muss sich übrigens niemand Sorgen machen. Skrupellose und machtgeile Parteisoldaten, die in der Lage sind, die Wahrheit kreativ zu verbiegen und die Realität zu ignorieren, gehen nicht unter. Zur Not können sie in Russland Gasmann werden. Aber soweit muss es nicht kommen. Das sächsische Parteiengeklüngel hält für die smarte Petra eine ganz andere Belohnung bereit. Die rote Powerfrau ist als Regierungspräsidentin im Gespräch – und das ist eine doppelte Ironie. Zum einen wäre sie dann Chefin genau der Mittelbehörde, für deren Abschaffung sie als Landrätin eingetreten ist. Zum anderen hätte sie dann die Rechtsaufsicht über die Landratsämter und – wenn sie sich für das RP Leipzig entscheiden sollte – damit auch über Dr. Gerhard Gey.
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Dienstag, 24. Juni 2008
Vom Rennsteig in den Knast ... oder: Doppeldecker im Mai oder : Rundenlaufen in Darmstadt reloaded
zeitungsdieb, 10:49h
Bei der Planung für Mitte Mai stand mal wieder eine Entscheidung an. Ein Wochenende – zwei Läufe. Am Sonnabend steht der Rennsteiglauf im Kalender, am Sonntag erlebt der Darmstädter Knastmarathon seine zweite Auflage. Zwar hatte ich mir im vergangenen Jahr geschworen, den Rennsteiglauf links liegen zu lassen (damals war mir in Schmiedefeld ein Fähnlein arg alkoholisierter Feuerwehrpimpfe am Vorabend des Laufes mächtig auf die Nerven gegangen), aber so richtig ernst war das nicht gemeint: Rennsteig ist schließlich Rennsteig – wer will da schon fehlen. Und von ein paar verbutteten Eingeborenen lasse ich mir ja nicht den Rennsteiglauf vermiesen …
Aber auch die Vorjahrespremiere des Knastmarathons war eine tolle Veranstaltung, deren Wiederholung ich mir fest vorgenommen hatte. Runden drehen auf der gut 1700 Meter langen Runde im Darmstädter Knast, dazu Fünf-Sterne-Organisation und eine Menge Eindrücke – auch darauf wollte ich nicht verzichten.
Warum auch? Schließlich fanden beide Läufe nicht zeitgleich, sondern nur am selben Wochenende statt. Ein Doppel bot sich also an. Und da mit Ralph Hermsdorf ein weiterer Läufer aus den Reihen des LC Auensee Ambitionen auf ein abwechslungsreiches Laufwochenende angemeldet hatte, war das Doppel schon frühzeitig beschlossen und die Anmeldung für beide Läufe nur noch eine Formsache.
Meine Anfahrt zum Rennsteiglauf war in den vergangenen Jahren immer mit einigem Stress verbunden: Zunächst reiste ich freitags nach Eisenach, holte dort meine Startnummer ab und lauerte im Festzelt auf den Beginn der Kloßparty. Einigermaßen gesättigt düste ich anschließend nach Schmiedefeld, um am nächsten Morgen per Bus wieder zum Start nach Eisenach zu rollen.
Aber mal ehrlich: Die nach Fabrik schmeckenden Kloßpartyklöße und das ganze Drumherum sind nicht so überwältigend, dass sich der ganze Aufwand lohnt. Also verzichtete ich in diesem Jahr auf den fragwürdigen Kloßgenuss und fuhr gleich nach Schmiedefeld. Das Feuerwehrjungvolk an der Parkplatzzufahrt gab sich im Rahmen seiner Möglichkeiten zivilisiert, ich parkte mein rollendes Nachtlager, richtete Isomatte und Schlafsack her und schlenderte gemütlich zum Bratwurststand, um mir den Bauch vollzuschlagen. Auf dem Weg zum Festzelt stieß ich auf gute Bekannte: Die Münchberger Mafia wollte bei Bratwurst und Bier ebenfalls noch ein wenig Rennsteiglaufvorfreude erleben. Fröhlich war’s, doch dass erwachsene Franken freiwillig alkoholfreies Bier trinken, ließ mich doch ein wenig zweifeln. Strafverschärfend kam hinzu, dass es sich dabei um die wirklich ungenießbare Plörre einer Großbrauerei handelte, deren Name auch auf dem Nummernschild des Herkunftsortes zu lesen ist. Für mich bitte kein Bit …
Nach dreifacher Bratwurst und einer angemessenen Menge nichtalkoholfreien Gerstensaftes trollte ich mich, um mich in meinen Schlafsack einzuwickeln. Erfreulicherweise hielt sich die Geräuschentwicklung im Festzelt in Grenzen, sodass ich meine kurze Nachtruhe schlafend verbringen konnte.
Kurz vor drei meldete mein Telefon das Ende der Nachtruhe. Umziehen im Auto, schnell die in der heimischen Küche vorproduzierten belegten Brote (eigentlich heißt diese Speise auf gut Sächsisch ja „Bemmen“) gegriffen, im Vorbeigehen noch eine wegen zu großer Frühe wenig erfolgreiche sanitäre Erledigung versucht und hurtigen Schrittes auf den Weg zum Bus nach Eisenach gemacht. Wohlige Wärme, angenehme Ruhe (der in nervender Lautstärke über seine Heldentaten berichtende Berliner, den ich bereits einige Male live erleben durfte, hatte entweder einen anderen Bus genommen oder war von frustrierten Mitfahrern erschlagen worden) und einschläfernde Schaukelei – die Fahrt war ein Genuss.
Die Startnummernausgabe in Eisenach klappte am neuen Standort reibungslos. Dass ich dort auch das obligatorische Funktions-Shirt erhielt, überraschte mich. Schade, der Rennsteiglauf zählte bislang zu den wenigen Veranstaltungen mit einem echten Finisher-Shirt. Nun ist auch er in die Liga der „Startnummernabholshirt-Läufe“ abgestiegen. Immerhin hatte es mit „M wie mickrig“ die richtige Größe, wenig später haperte es an S und M, statt dessen waren nur noch läuferuntypische Familienzelte im Angebot.
Angesichts der morgendlichen Kühle ein wenig bibbernd, reihte ich mich in das Heer der auf den Start wartenden Läufer ein. Auf dem Eisenacher Markt sah ich viele bekannte Gesichter, noch mehr Bekannte begrüßten mich.
Hubschraubergeknatter, Politikergebrabbel, Glockenschlagsgescheppere – Schlag sechs setzte sich das Feld der rund 1800 Läufer in Bewegung. Im Wissen um mein sonntägliches Vorhaben hatte ich mich weit hinten eingeordnet und ließ den Lauf ruhig angehen.
Der Läuferlindwurm ringelte sich durch Eisenach, kurz vor dem Verlassen des Städtchens sorgte Holgers Plakat „Noch 72 km bis Schmiedefeld“ für Erinnerungen an den Hoyerswerdaer 24-h-Lauf.
Gemütlich machte ich mich „hinauf“ in Richtung Sonne, die heute hinter Wolken verborgen blieb. Da ich im langsameren Feld unterwegs war, gab es hier und da Anlass zum Wandern, wollte ich nicht kräftezehrende Überholmanöver riskieren.
Relativ gelassen hangelte ich mich von VP zu VP und nahm mit, was es so gab: Brote mit Schnittlauch und Fett, Würstchen, Knacker – genau das liebe ich am RSL so. Und konnte es heute mehr als in den vergangenen Jahren genießen, denn die Uhr am Handgelenk war eher Zierde denn mahnender Antreiber.
Bei Kilometer 10 gab’s eine Premiere: Ich sah zum ersten Mal einen Läufer, der seine Ortskenntnis ausnutzte, um eine Abkürzung zu wählen und Höhenmeter zu sparen. Ein Forstweg half ihm dabei, einen Anstieg zu umgehen und die Strecke ein wenig zeitsparend zu absolvieren. Erst glaubte ich an einen Irrtum, doch einige Kilometer weiter hatte ich den Betrüger wieder eingeholt und dank seines auffälligen Laufshirts erkannt. Na, wenn er meint.
Apropos T-Shirt: Irgendwo im Bereich des Inselsberges lief ich auf ein hochgewachsenes Paar auf, dessen Shirts sie als Mitglieder des „16 Summits Teams“ auswiesen. Wir überholten einander mehrfach und als ich nach einer betriebsnotwendigen Entsorgungspause wieder einmal am Überholen war, machte ich meiner Neugierde Luft und fragte nach den 16 Gipfeln, die die beiden erklommen hatten. Die Antwort ließ mich lange schmunzeln: Es waren nicht die Sechs- oder Achttausender dieser Welt, sondern die jeweils höchsten Erhebungen der deutschen Bundesländern. Auch in Hamburg? Auch in Hamburg!
Recht kurzweilig überwand ich Kilometer um Kilometer, trotzte einem etwa einstündigen Regenguss, aß den Wanderern sogar die Knacker weg und überwand Berg um Berg. In meinem Bauch machten zwar von Zeit zu Zeit die drei vorabendlichen Bratwürste auf sich aufmerksam, aber im Fall der Fälle kann man mit Ignoranz viele Probleme lösen.
Glaubte ich zumindest, bis mir wenige Meter vor dem VP Schmücke ein Blitz ins Gedärm zu fahren schien. Sämtliche Muskeln – insbesondere die im Umfeld des rückwärtigen Ausganges – anspannend, schoss ich am VP vorbei, rettete ich mich bis in Schmücke-Restaurant, stürmte in die Toilette und konnte nun die Gefühle der Seefahrer nachvollziehen, die es mit ihrem Windjammer aus einem Taifun in den rettenden Hafen geschafft hatten.
Raus aus der Hütte, einige Meter zum VP zurückgelaufen, nachgeladen und die letzten Kilometer in Richtung Schmiedefeld in Angriff genommen.
Die letzten ekligen Anstiege – insbesondere den vor der zielnahen Getränkestation – überwand ich relativ ehrgeizfrei im hurtigen Wanderschritt. Nun noch einmal hinunter, noch einige Meter durch die rückwärtige Schönheit der Schmiedefelder Gartenanlagen und das Ziel lag vor mir. Ein kleiner Endspurt, die Uhr blieb bei 7:23 h stehen, Medaille in Empfang genommen – geschafft.
Ein Glückwunsch hier, ein Schwatz dort, erstaunlich leidensfrei den Kleiderbeutel abgeholt, ein Bier eingefüllt und in Richtung Auto abmarschiert. Kurze Verrenkungen auf dem Schlafsack beim Ausziehen, schnell zum Duschen und in diesem Jahr sogar ein Quäntchen Warmwasser erwischt, Feierabend!
Bei Bratwurst und natürlich Bier nahm ich die Regeneration in Angriff. Nach einer Stunde im Festzelt fuhren Ralph Hermsdorf und ich auf verschlungenen Pfaden ins Schmiedefelder Tal hinab und bezogen in einem abgewrackten DDR-Ferienheim unser spartanisches Nachquartier. Nach einigem Hin und Her – der dortige Isomattenschläferabkassierer war ob unserer Schlafvariante „Massenquartier ohne Frühstück“ eindeutig überfordert – war das Lager auf dem nackten Beton eines ehemaligen Speisesaals gerichtet.
Während andere Läufer sich nach der Herausforderung RSL zur Ruhe betteten, zogen wir wieder hinauf ins Zielgelände, um noch einige Stunden im Festzelt zu verbringen.
Es war ein Fehler. Deutsche Schlager in unvorstellbarer Lautstärke, ausflippende Menschen, grölende Tischtänzer und eine beängstigende Enge ließen mich die erste Chance zum Verlassen des Zeltes nutzen. Draußen schmeckte das Bier doch eindeutig besser. Und reden – z.B. mit „Schneggi“ ließ es sich gleichfalls angenehmer. Auch Ralph Hermsdorf sah das so – bei Bier, Kuchen und Fischbrötchen ließen wir den Abend ausklingen und landeten gegen 22 Uhr im Nachtquartier.
Gegen 5 Uhr beendeten die quäkenden und klingelnden Handys die Nacht. Keine 20 Minuten später rollten wir bereits gen Darmstadt. Unterwegs auf halber Strecke schnell noch ein Truck-Stop-Frühstück eingeworfen, erreichten wir gegen 9 Uhr die JVA Darmstadt.
Dort staute sich bereits ein ganzer Schwarm aufgekratzter Läufer beim Checkin. Ausweise abgeben, Taschen inspizieren lassen, ein leuchtendgrünes Bändchen ans Handgelenk. Letzteres gab es bei der Premiere des Knastmarathons im Vorjahr noch nicht. Das grüne Bändchen diente der leichteren Erfassung der „Externen“ und sollte beim Verlassen des Geländes für schnellere Abfertigung sorgen. Mit einem seltsamen Gefühl hörten wir den Rat, das Bändchen nicht beim Umziehen oder Duschen versehentlich zu entfernen …
In der JVA herrschte bereits die hektische Betriebsamkeit, die typisch für die letzte Stunde vor dem Start eines Marathons ist. Aber es gab auch Unterschiede: Wer sich umgezogen hatte, packte seine Sachen samt Sporttasche in einen Kleidersack, der durchaus Ähnlichkeit mit einem Leichensack aufwies. In diesem Behälter landeten auch das schwarze Knastmarathon-Basecap und das Knast-Shirt, ehe der „Leichensack“ hinter dicken Gittern in Sicherheitsverwahrung genommen wurde.
Eine weitere Besonderheit das Knastlaufes besteht in der 5-Sterne-Verpflegung, die die Läufer hier schon „davor“ genießen können. Wohlgesättigt gingen wir an den Start, hörten uns letzte Hinweise zur Strecke an, dann erklang das Startsignal und mehr als 100 Läufer – darunter auch –innen – machten sich auf den Weg. Dieser Weg ist recht übersichtlich, denn der Darmstädter Knastmarathon führt über eine rund 1,7 Kilometer lange Runde innerhalb der JVA Darmstadt.
Die Laufstrecke ist praktisch frei von Höhenunterschieden, aber nicht wirklich „schnell“: Schließlich gilt es, auf der Runde einige 90-Grad-Kurven sowie eine enge und eine etwas weitere Kehre zu durchlaufen. Wer etwas zügiger unterwegs sein möchte, muss in jeder Runde mehrmals abbremsen und wieder beschleunigen – das kostet Kraft. Vor allem wenn man berücksichtigt, dass 24 Runden zu absolvieren sind. Dass dennoch gute Zeiten möglich sind, bewiesen Manfred Scherer und Dirk Karl, die den Marathon in 2:53:06h bzw. 2:57:06h abspulten. Nur knapp über der 3-Stunden-Marke lief Charlie Knöpfle (3:01:12h) durchs Ziel.
Doch für Ralph und mich waren die Zeiten am 18. Mai sekundär – schließlich hatten wir vom Vortag noch den Rennsteiglauf in den Beinen. Waren wir diesen auch nicht am Limit gelaufen, so sind 72 Kilometer doch eine Strecke, die man nicht nebenbei absolviert.
Dennoch lief es in Darmstadt erstaunlich gut. Ich ging die erste Runde verhalten an und spürte mit großer Erleichterung, dass meine Beine erstaunlich locker zur Sache gingen. Nach etwa einem Kilometer war in den Muskeln kaum noch etwas vom Rennsteig zu spüren, irgendwelche sonstigen Zipperlein in Bändern und Gelenken hatte ich auch nicht. Also war ich meine guten Vorsätze vom Sonntagsschonlauf über Bord und legte den angenehm zu laufenden „Knapp-unter-5er-Schnitt“-Gang ein.
Dieses Tempo lief sich angenehm, ich genoss die von Runde zu Runde immer wieder abwechslungsreiche Strecke. Das ist kein Ulk – die Knastrunde läuft sich wirklich kurzweilig, denn ihr Nachteil ist zugleich ihr größtes Plus: Man kann sich von Kurve zu Kurve hangeln, weiß irgendwann, dass nach der Kehre der Ausflug in den Werkstatthof ansteht, danach die Begegnungsstrecke mit dem Bad in der Zuschauermenge, alsdann folgen Zählmatte, Kurve, Kehre, Verpflegung und wieder das Bad in der Menge ... Da ist es schon deutlich härter, an einem Frühjahrssonntagsmorgen in Leipzig beim Marathon auf einsamen Geraden ohne Zuschauer durch die Stadt und ihre Vororte zu traben.
Zusätzliche Abwechslung erzeugten zudem einige Einradfahrer, die auf der „Hofrunde“ ebenfalls einen Marathon absolvierten. Als ich das hörte, war mein erster Gedanke „Was soll der Unfug, 42 km auf dem Fahrrad sind doch kein Marathon …“ Aber als ich die akrobatischen Verrenkungen sah, mit denen sich die Einradler auf ihren Sportgeräten über die Runden kurbelten, empfand ich Hochachtung. Und wie die Einradler um die Kurven und die krönende Spitzkehre zirkelten, das verdiente schon Respekt.
Seinen besonderen Reiz bezieht der Knastmarathon für die „Externen“ jedoch aus den „Internen“ auf der Strecke und am Rand der Piste. Hier gibt es viel zu Gucken und auch so manches Wort zu wechseln. Auf 42 Kilometern hat man halt Zeit, sich über diesen oder jenen Eindruck seine Gedanken zu machen.
Wie zum Beispiel über die beiden „internen“ Läufer – einen schlanken Riesen und einen eher kompakten „Kurzen“ –, die gemeinsam Runde um Runde abspulten und überglücklich ins Ziel kamen. Filmreif war für mich eine „interne“ Dreiergruppe, deren recht junge Mitglieder dem Augenschein nach aus südlicheren Gefilden stammten. Ein Türke war darunter, die anderen beiden konnte ich nicht zuordnen … war vielleicht ein Iraner dabei? Unwichtig! Das Trio nutzte die deutsche Sprache als gemeinsamen Nenner. Aber auf welche Weise! In filmreifem „Kanakisch“ sprachen sich die Läufer gegenseitig Mut zu, um die Strecke zu meistern. Die folgende Szene ist keine Erfindung, ich schwör’s: Ein Läufer klagte den anderen sein Leid. „Ey, mir is nich gut. Ist schlecht.“ Darauf ein anderer, mit der Hand auf eine Läuferin in knappem Outfit weisend, von der das schwächelnde Trio wenige Sekunden zuvor versägt worden war: „Ey, musst Du gucken auf geile Arsch, tut gut.“ Ein unbeschreibliches Maß an Beherrschung wurde mir abverlangt, um bei dieser Real-Comedy nicht loszulachen ...
So vergingen die Runden. Als davon das erste Dutzend geschafft war, brachte sich bei mir der Rennsteiglauf in Erinnerung. Ein leichter Kälteschauer machte mir deutlich, dass die trotz intensiven Biergenusses noch nicht wieder komplett aufgefüllten Kohlehydratreserven nun zur Neige gingen. Für mich war’s eine willkommene Gelegenheit, endlich einmal die fein ausgeklügelten Psychotricks zu testen. Ohne ins Detail zu gehen: Ich sage nur „Mantra“ – es funktioniert.
Meine Rundenzeiten blieben fast konstant, ich lief weiterhin mit reichlich 12 km/h durch die nun doch schon etwas vertrauter anmutende Landschaft. Allerdings schränkte ich meine Wahrnehmung doch deutlich ein und „tunnelte“ über die Strecke. In der 18. Runde regneten plötzlich kleine Leuchtsterne vom Himmel. Da die anderen Läufer dieses Naturereignis offensichtlich nicht wahrnahmen, musste es sich um ein neuerliches Warnsignal aus meinem Maschinenraum handeln. Ich legte nun den einen oder anderen Boxenstopp ein, nahm Cola und Kuchen zu mir und die Sterne verschwanden wieder. Leider machte es der mit Puderzucker bestreute Kuchen erforderlich, nach dem Verpflegungsstand einige Gehschritte einzulegen, wollte ich keine Staublunge riskieren. Meine 12 km/h hielt ich dennoch und kam nach 3:23 als 12. ins Ziel, wie so oft war ich, Unvernunft lässt grüßen, deutlich schneller als geplant unterwegs gewesen. Zur Belohnung gab es eine wirklich tolle Finisher-Medaille mit einer Außenansicht der JVA bei halb geöffnetem Tor. Im Vorjahr war das Tor noch "dicht" gewesen.
Nach dem Lauf setzte sich die 5-Sterne-Beköstigung fort, wer es wollte, konnte in Darmstadt trotz des Marathons deutlich „Gewicht machen“, sprich: zulegen. Abschließender Höhepunkt des Laufes war die Siegerehrung. Bis zu deren Beginn war ein wenig Geduld erforderlich, denn da es sich um einen Knast-Marathon handelte, mussten zunächst die „Internen“ auf Vollzähligkeit geprüft werden. Bei der sehr stimmungsvollen Abschlussveranstaltung wurden nicht nur die Schnellsten geehrt, sondern auch Preise verlost und die Leistungen der „Internen“ gewürdigt. So manchem dieser durchaus hartgesottenen Burschen war die Rührung durchaus anzumerken. Ein Ausspruch des Leiters der JVA wird mir wohl lange in Erinnerung bleiben. Der Knastchef hatte die „Internen“ bei einem Briefing wenige Tage vor dem Lauf motivieren wollen und ihnen die Worte „Sie können heute fast alles kaufen, sogar einen Flug ins All. Aber einen Marathon können Sie nicht kaufen, den müssen sie selbst laufen“ mit auf den Weg gegeben. Kluge Worte – und irgendwie hatte ich den Eindruck, dass die Teilnahme am Marathonprojekt des SV Kiefer Darmstadt bei so manchem „Internen“ einiges bewegt hat.
Bliebe noch zu erwähnen, dass der Darmstädter Knastmarathon eine der am besten organisierten Laufveranstaltungen ist, die ich je erlebt habe. Sowohl Insassen als auch Mitarbeiter der JVA (und deren Angehörige) ackern nach Kräften, um diesen Lauf zu einem Erfolg werden zu lassen. Die Startgebühr von 10 Euro ist praktisch „geschenkt“ und nur möglich, weil Sponsoren aus der Region das Projekt unterstützen.
Achja, wer nun im kommenden Jahr auch mit dabei sein möchte, kann auf eine Wiederholung des Laufes zählen. Nach dem Erfolg von Premiere und zweiter Auflage ist die schon beschlossene Sache. Ich werde wohl auch wieder auf der Startliste stehen. Sogar dann, wenn am Tag zuvor kein Rennsteiglauf sein sollte. Es gibt ja noch andere Veranstaltungen, um einen Doppeldecker zu organisieren.
Aber auch die Vorjahrespremiere des Knastmarathons war eine tolle Veranstaltung, deren Wiederholung ich mir fest vorgenommen hatte. Runden drehen auf der gut 1700 Meter langen Runde im Darmstädter Knast, dazu Fünf-Sterne-Organisation und eine Menge Eindrücke – auch darauf wollte ich nicht verzichten.
Warum auch? Schließlich fanden beide Läufe nicht zeitgleich, sondern nur am selben Wochenende statt. Ein Doppel bot sich also an. Und da mit Ralph Hermsdorf ein weiterer Läufer aus den Reihen des LC Auensee Ambitionen auf ein abwechslungsreiches Laufwochenende angemeldet hatte, war das Doppel schon frühzeitig beschlossen und die Anmeldung für beide Läufe nur noch eine Formsache.
Meine Anfahrt zum Rennsteiglauf war in den vergangenen Jahren immer mit einigem Stress verbunden: Zunächst reiste ich freitags nach Eisenach, holte dort meine Startnummer ab und lauerte im Festzelt auf den Beginn der Kloßparty. Einigermaßen gesättigt düste ich anschließend nach Schmiedefeld, um am nächsten Morgen per Bus wieder zum Start nach Eisenach zu rollen.
Aber mal ehrlich: Die nach Fabrik schmeckenden Kloßpartyklöße und das ganze Drumherum sind nicht so überwältigend, dass sich der ganze Aufwand lohnt. Also verzichtete ich in diesem Jahr auf den fragwürdigen Kloßgenuss und fuhr gleich nach Schmiedefeld. Das Feuerwehrjungvolk an der Parkplatzzufahrt gab sich im Rahmen seiner Möglichkeiten zivilisiert, ich parkte mein rollendes Nachtlager, richtete Isomatte und Schlafsack her und schlenderte gemütlich zum Bratwurststand, um mir den Bauch vollzuschlagen. Auf dem Weg zum Festzelt stieß ich auf gute Bekannte: Die Münchberger Mafia wollte bei Bratwurst und Bier ebenfalls noch ein wenig Rennsteiglaufvorfreude erleben. Fröhlich war’s, doch dass erwachsene Franken freiwillig alkoholfreies Bier trinken, ließ mich doch ein wenig zweifeln. Strafverschärfend kam hinzu, dass es sich dabei um die wirklich ungenießbare Plörre einer Großbrauerei handelte, deren Name auch auf dem Nummernschild des Herkunftsortes zu lesen ist. Für mich bitte kein Bit …
Nach dreifacher Bratwurst und einer angemessenen Menge nichtalkoholfreien Gerstensaftes trollte ich mich, um mich in meinen Schlafsack einzuwickeln. Erfreulicherweise hielt sich die Geräuschentwicklung im Festzelt in Grenzen, sodass ich meine kurze Nachtruhe schlafend verbringen konnte.
Kurz vor drei meldete mein Telefon das Ende der Nachtruhe. Umziehen im Auto, schnell die in der heimischen Küche vorproduzierten belegten Brote (eigentlich heißt diese Speise auf gut Sächsisch ja „Bemmen“) gegriffen, im Vorbeigehen noch eine wegen zu großer Frühe wenig erfolgreiche sanitäre Erledigung versucht und hurtigen Schrittes auf den Weg zum Bus nach Eisenach gemacht. Wohlige Wärme, angenehme Ruhe (der in nervender Lautstärke über seine Heldentaten berichtende Berliner, den ich bereits einige Male live erleben durfte, hatte entweder einen anderen Bus genommen oder war von frustrierten Mitfahrern erschlagen worden) und einschläfernde Schaukelei – die Fahrt war ein Genuss.
Die Startnummernausgabe in Eisenach klappte am neuen Standort reibungslos. Dass ich dort auch das obligatorische Funktions-Shirt erhielt, überraschte mich. Schade, der Rennsteiglauf zählte bislang zu den wenigen Veranstaltungen mit einem echten Finisher-Shirt. Nun ist auch er in die Liga der „Startnummernabholshirt-Läufe“ abgestiegen. Immerhin hatte es mit „M wie mickrig“ die richtige Größe, wenig später haperte es an S und M, statt dessen waren nur noch läuferuntypische Familienzelte im Angebot.
Angesichts der morgendlichen Kühle ein wenig bibbernd, reihte ich mich in das Heer der auf den Start wartenden Läufer ein. Auf dem Eisenacher Markt sah ich viele bekannte Gesichter, noch mehr Bekannte begrüßten mich.
Hubschraubergeknatter, Politikergebrabbel, Glockenschlagsgescheppere – Schlag sechs setzte sich das Feld der rund 1800 Läufer in Bewegung. Im Wissen um mein sonntägliches Vorhaben hatte ich mich weit hinten eingeordnet und ließ den Lauf ruhig angehen.
Der Läuferlindwurm ringelte sich durch Eisenach, kurz vor dem Verlassen des Städtchens sorgte Holgers Plakat „Noch 72 km bis Schmiedefeld“ für Erinnerungen an den Hoyerswerdaer 24-h-Lauf.
Gemütlich machte ich mich „hinauf“ in Richtung Sonne, die heute hinter Wolken verborgen blieb. Da ich im langsameren Feld unterwegs war, gab es hier und da Anlass zum Wandern, wollte ich nicht kräftezehrende Überholmanöver riskieren.
Relativ gelassen hangelte ich mich von VP zu VP und nahm mit, was es so gab: Brote mit Schnittlauch und Fett, Würstchen, Knacker – genau das liebe ich am RSL so. Und konnte es heute mehr als in den vergangenen Jahren genießen, denn die Uhr am Handgelenk war eher Zierde denn mahnender Antreiber.
Bei Kilometer 10 gab’s eine Premiere: Ich sah zum ersten Mal einen Läufer, der seine Ortskenntnis ausnutzte, um eine Abkürzung zu wählen und Höhenmeter zu sparen. Ein Forstweg half ihm dabei, einen Anstieg zu umgehen und die Strecke ein wenig zeitsparend zu absolvieren. Erst glaubte ich an einen Irrtum, doch einige Kilometer weiter hatte ich den Betrüger wieder eingeholt und dank seines auffälligen Laufshirts erkannt. Na, wenn er meint.
Apropos T-Shirt: Irgendwo im Bereich des Inselsberges lief ich auf ein hochgewachsenes Paar auf, dessen Shirts sie als Mitglieder des „16 Summits Teams“ auswiesen. Wir überholten einander mehrfach und als ich nach einer betriebsnotwendigen Entsorgungspause wieder einmal am Überholen war, machte ich meiner Neugierde Luft und fragte nach den 16 Gipfeln, die die beiden erklommen hatten. Die Antwort ließ mich lange schmunzeln: Es waren nicht die Sechs- oder Achttausender dieser Welt, sondern die jeweils höchsten Erhebungen der deutschen Bundesländern. Auch in Hamburg? Auch in Hamburg!
Recht kurzweilig überwand ich Kilometer um Kilometer, trotzte einem etwa einstündigen Regenguss, aß den Wanderern sogar die Knacker weg und überwand Berg um Berg. In meinem Bauch machten zwar von Zeit zu Zeit die drei vorabendlichen Bratwürste auf sich aufmerksam, aber im Fall der Fälle kann man mit Ignoranz viele Probleme lösen.
Glaubte ich zumindest, bis mir wenige Meter vor dem VP Schmücke ein Blitz ins Gedärm zu fahren schien. Sämtliche Muskeln – insbesondere die im Umfeld des rückwärtigen Ausganges – anspannend, schoss ich am VP vorbei, rettete ich mich bis in Schmücke-Restaurant, stürmte in die Toilette und konnte nun die Gefühle der Seefahrer nachvollziehen, die es mit ihrem Windjammer aus einem Taifun in den rettenden Hafen geschafft hatten.
Raus aus der Hütte, einige Meter zum VP zurückgelaufen, nachgeladen und die letzten Kilometer in Richtung Schmiedefeld in Angriff genommen.
Die letzten ekligen Anstiege – insbesondere den vor der zielnahen Getränkestation – überwand ich relativ ehrgeizfrei im hurtigen Wanderschritt. Nun noch einmal hinunter, noch einige Meter durch die rückwärtige Schönheit der Schmiedefelder Gartenanlagen und das Ziel lag vor mir. Ein kleiner Endspurt, die Uhr blieb bei 7:23 h stehen, Medaille in Empfang genommen – geschafft.
Ein Glückwunsch hier, ein Schwatz dort, erstaunlich leidensfrei den Kleiderbeutel abgeholt, ein Bier eingefüllt und in Richtung Auto abmarschiert. Kurze Verrenkungen auf dem Schlafsack beim Ausziehen, schnell zum Duschen und in diesem Jahr sogar ein Quäntchen Warmwasser erwischt, Feierabend!
Bei Bratwurst und natürlich Bier nahm ich die Regeneration in Angriff. Nach einer Stunde im Festzelt fuhren Ralph Hermsdorf und ich auf verschlungenen Pfaden ins Schmiedefelder Tal hinab und bezogen in einem abgewrackten DDR-Ferienheim unser spartanisches Nachquartier. Nach einigem Hin und Her – der dortige Isomattenschläferabkassierer war ob unserer Schlafvariante „Massenquartier ohne Frühstück“ eindeutig überfordert – war das Lager auf dem nackten Beton eines ehemaligen Speisesaals gerichtet.
Während andere Läufer sich nach der Herausforderung RSL zur Ruhe betteten, zogen wir wieder hinauf ins Zielgelände, um noch einige Stunden im Festzelt zu verbringen.
Es war ein Fehler. Deutsche Schlager in unvorstellbarer Lautstärke, ausflippende Menschen, grölende Tischtänzer und eine beängstigende Enge ließen mich die erste Chance zum Verlassen des Zeltes nutzen. Draußen schmeckte das Bier doch eindeutig besser. Und reden – z.B. mit „Schneggi“ ließ es sich gleichfalls angenehmer. Auch Ralph Hermsdorf sah das so – bei Bier, Kuchen und Fischbrötchen ließen wir den Abend ausklingen und landeten gegen 22 Uhr im Nachtquartier.
Gegen 5 Uhr beendeten die quäkenden und klingelnden Handys die Nacht. Keine 20 Minuten später rollten wir bereits gen Darmstadt. Unterwegs auf halber Strecke schnell noch ein Truck-Stop-Frühstück eingeworfen, erreichten wir gegen 9 Uhr die JVA Darmstadt.
Dort staute sich bereits ein ganzer Schwarm aufgekratzter Läufer beim Checkin. Ausweise abgeben, Taschen inspizieren lassen, ein leuchtendgrünes Bändchen ans Handgelenk. Letzteres gab es bei der Premiere des Knastmarathons im Vorjahr noch nicht. Das grüne Bändchen diente der leichteren Erfassung der „Externen“ und sollte beim Verlassen des Geländes für schnellere Abfertigung sorgen. Mit einem seltsamen Gefühl hörten wir den Rat, das Bändchen nicht beim Umziehen oder Duschen versehentlich zu entfernen …
In der JVA herrschte bereits die hektische Betriebsamkeit, die typisch für die letzte Stunde vor dem Start eines Marathons ist. Aber es gab auch Unterschiede: Wer sich umgezogen hatte, packte seine Sachen samt Sporttasche in einen Kleidersack, der durchaus Ähnlichkeit mit einem Leichensack aufwies. In diesem Behälter landeten auch das schwarze Knastmarathon-Basecap und das Knast-Shirt, ehe der „Leichensack“ hinter dicken Gittern in Sicherheitsverwahrung genommen wurde.
Eine weitere Besonderheit das Knastlaufes besteht in der 5-Sterne-Verpflegung, die die Läufer hier schon „davor“ genießen können. Wohlgesättigt gingen wir an den Start, hörten uns letzte Hinweise zur Strecke an, dann erklang das Startsignal und mehr als 100 Läufer – darunter auch –innen – machten sich auf den Weg. Dieser Weg ist recht übersichtlich, denn der Darmstädter Knastmarathon führt über eine rund 1,7 Kilometer lange Runde innerhalb der JVA Darmstadt.
Die Laufstrecke ist praktisch frei von Höhenunterschieden, aber nicht wirklich „schnell“: Schließlich gilt es, auf der Runde einige 90-Grad-Kurven sowie eine enge und eine etwas weitere Kehre zu durchlaufen. Wer etwas zügiger unterwegs sein möchte, muss in jeder Runde mehrmals abbremsen und wieder beschleunigen – das kostet Kraft. Vor allem wenn man berücksichtigt, dass 24 Runden zu absolvieren sind. Dass dennoch gute Zeiten möglich sind, bewiesen Manfred Scherer und Dirk Karl, die den Marathon in 2:53:06h bzw. 2:57:06h abspulten. Nur knapp über der 3-Stunden-Marke lief Charlie Knöpfle (3:01:12h) durchs Ziel.
Doch für Ralph und mich waren die Zeiten am 18. Mai sekundär – schließlich hatten wir vom Vortag noch den Rennsteiglauf in den Beinen. Waren wir diesen auch nicht am Limit gelaufen, so sind 72 Kilometer doch eine Strecke, die man nicht nebenbei absolviert.
Dennoch lief es in Darmstadt erstaunlich gut. Ich ging die erste Runde verhalten an und spürte mit großer Erleichterung, dass meine Beine erstaunlich locker zur Sache gingen. Nach etwa einem Kilometer war in den Muskeln kaum noch etwas vom Rennsteig zu spüren, irgendwelche sonstigen Zipperlein in Bändern und Gelenken hatte ich auch nicht. Also war ich meine guten Vorsätze vom Sonntagsschonlauf über Bord und legte den angenehm zu laufenden „Knapp-unter-5er-Schnitt“-Gang ein.
Dieses Tempo lief sich angenehm, ich genoss die von Runde zu Runde immer wieder abwechslungsreiche Strecke. Das ist kein Ulk – die Knastrunde läuft sich wirklich kurzweilig, denn ihr Nachteil ist zugleich ihr größtes Plus: Man kann sich von Kurve zu Kurve hangeln, weiß irgendwann, dass nach der Kehre der Ausflug in den Werkstatthof ansteht, danach die Begegnungsstrecke mit dem Bad in der Zuschauermenge, alsdann folgen Zählmatte, Kurve, Kehre, Verpflegung und wieder das Bad in der Menge ... Da ist es schon deutlich härter, an einem Frühjahrssonntagsmorgen in Leipzig beim Marathon auf einsamen Geraden ohne Zuschauer durch die Stadt und ihre Vororte zu traben.
Zusätzliche Abwechslung erzeugten zudem einige Einradfahrer, die auf der „Hofrunde“ ebenfalls einen Marathon absolvierten. Als ich das hörte, war mein erster Gedanke „Was soll der Unfug, 42 km auf dem Fahrrad sind doch kein Marathon …“ Aber als ich die akrobatischen Verrenkungen sah, mit denen sich die Einradler auf ihren Sportgeräten über die Runden kurbelten, empfand ich Hochachtung. Und wie die Einradler um die Kurven und die krönende Spitzkehre zirkelten, das verdiente schon Respekt.
Seinen besonderen Reiz bezieht der Knastmarathon für die „Externen“ jedoch aus den „Internen“ auf der Strecke und am Rand der Piste. Hier gibt es viel zu Gucken und auch so manches Wort zu wechseln. Auf 42 Kilometern hat man halt Zeit, sich über diesen oder jenen Eindruck seine Gedanken zu machen.
Wie zum Beispiel über die beiden „internen“ Läufer – einen schlanken Riesen und einen eher kompakten „Kurzen“ –, die gemeinsam Runde um Runde abspulten und überglücklich ins Ziel kamen. Filmreif war für mich eine „interne“ Dreiergruppe, deren recht junge Mitglieder dem Augenschein nach aus südlicheren Gefilden stammten. Ein Türke war darunter, die anderen beiden konnte ich nicht zuordnen … war vielleicht ein Iraner dabei? Unwichtig! Das Trio nutzte die deutsche Sprache als gemeinsamen Nenner. Aber auf welche Weise! In filmreifem „Kanakisch“ sprachen sich die Läufer gegenseitig Mut zu, um die Strecke zu meistern. Die folgende Szene ist keine Erfindung, ich schwör’s: Ein Läufer klagte den anderen sein Leid. „Ey, mir is nich gut. Ist schlecht.“ Darauf ein anderer, mit der Hand auf eine Läuferin in knappem Outfit weisend, von der das schwächelnde Trio wenige Sekunden zuvor versägt worden war: „Ey, musst Du gucken auf geile Arsch, tut gut.“ Ein unbeschreibliches Maß an Beherrschung wurde mir abverlangt, um bei dieser Real-Comedy nicht loszulachen ...
So vergingen die Runden. Als davon das erste Dutzend geschafft war, brachte sich bei mir der Rennsteiglauf in Erinnerung. Ein leichter Kälteschauer machte mir deutlich, dass die trotz intensiven Biergenusses noch nicht wieder komplett aufgefüllten Kohlehydratreserven nun zur Neige gingen. Für mich war’s eine willkommene Gelegenheit, endlich einmal die fein ausgeklügelten Psychotricks zu testen. Ohne ins Detail zu gehen: Ich sage nur „Mantra“ – es funktioniert.
Meine Rundenzeiten blieben fast konstant, ich lief weiterhin mit reichlich 12 km/h durch die nun doch schon etwas vertrauter anmutende Landschaft. Allerdings schränkte ich meine Wahrnehmung doch deutlich ein und „tunnelte“ über die Strecke. In der 18. Runde regneten plötzlich kleine Leuchtsterne vom Himmel. Da die anderen Läufer dieses Naturereignis offensichtlich nicht wahrnahmen, musste es sich um ein neuerliches Warnsignal aus meinem Maschinenraum handeln. Ich legte nun den einen oder anderen Boxenstopp ein, nahm Cola und Kuchen zu mir und die Sterne verschwanden wieder. Leider machte es der mit Puderzucker bestreute Kuchen erforderlich, nach dem Verpflegungsstand einige Gehschritte einzulegen, wollte ich keine Staublunge riskieren. Meine 12 km/h hielt ich dennoch und kam nach 3:23 als 12. ins Ziel, wie so oft war ich, Unvernunft lässt grüßen, deutlich schneller als geplant unterwegs gewesen. Zur Belohnung gab es eine wirklich tolle Finisher-Medaille mit einer Außenansicht der JVA bei halb geöffnetem Tor. Im Vorjahr war das Tor noch "dicht" gewesen.
Nach dem Lauf setzte sich die 5-Sterne-Beköstigung fort, wer es wollte, konnte in Darmstadt trotz des Marathons deutlich „Gewicht machen“, sprich: zulegen. Abschließender Höhepunkt des Laufes war die Siegerehrung. Bis zu deren Beginn war ein wenig Geduld erforderlich, denn da es sich um einen Knast-Marathon handelte, mussten zunächst die „Internen“ auf Vollzähligkeit geprüft werden. Bei der sehr stimmungsvollen Abschlussveranstaltung wurden nicht nur die Schnellsten geehrt, sondern auch Preise verlost und die Leistungen der „Internen“ gewürdigt. So manchem dieser durchaus hartgesottenen Burschen war die Rührung durchaus anzumerken. Ein Ausspruch des Leiters der JVA wird mir wohl lange in Erinnerung bleiben. Der Knastchef hatte die „Internen“ bei einem Briefing wenige Tage vor dem Lauf motivieren wollen und ihnen die Worte „Sie können heute fast alles kaufen, sogar einen Flug ins All. Aber einen Marathon können Sie nicht kaufen, den müssen sie selbst laufen“ mit auf den Weg gegeben. Kluge Worte – und irgendwie hatte ich den Eindruck, dass die Teilnahme am Marathonprojekt des SV Kiefer Darmstadt bei so manchem „Internen“ einiges bewegt hat.
Bliebe noch zu erwähnen, dass der Darmstädter Knastmarathon eine der am besten organisierten Laufveranstaltungen ist, die ich je erlebt habe. Sowohl Insassen als auch Mitarbeiter der JVA (und deren Angehörige) ackern nach Kräften, um diesen Lauf zu einem Erfolg werden zu lassen. Die Startgebühr von 10 Euro ist praktisch „geschenkt“ und nur möglich, weil Sponsoren aus der Region das Projekt unterstützen.
Achja, wer nun im kommenden Jahr auch mit dabei sein möchte, kann auf eine Wiederholung des Laufes zählen. Nach dem Erfolg von Premiere und zweiter Auflage ist die schon beschlossene Sache. Ich werde wohl auch wieder auf der Startliste stehen. Sogar dann, wenn am Tag zuvor kein Rennsteiglauf sein sollte. Es gibt ja noch andere Veranstaltungen, um einen Doppeldecker zu organisieren.
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Montag, 23. Juni 2008
Gutmenschenverein reloaded. Oder: Von Selbstgooglern, Lobbyisten und einem herrlichen Leserbrief.
zeitungsdieb, 12:02h
Mein kleiner, politisch natürlich wieder ein wenig inkorrekter Tagebucheintrag über den neuen Verein „Pro Flughafen Leipzig/Halle“ und einige seiner gutmenschelnden Begründer (guckst Du hier: http://zeitungsdieb.blogger.de/stories/1153490/ hat bereits eine Menge Leser gefunden. Und nicht nur das: Einige E-Mails zum Thema plongten in mein Postfach, außerdem gab es von Pro-Flughafen-Protagonisten Einladungen zum Gespräch. Die regelmäßigen Leser meines kleinen Tagebuches wissen zudem, dass ich gelegentlich der Versuchung nicht widerstehen kann, mir Gedanken über die Herkunft der IP-Adressen meiner Leser und – soweit Suchmaschine oder Verlinkung sie zu meinen vollkommen unwichtigen Einträgen geführt hatten – ihr Suchinteresse zu machen.
Ohne den einen oder anderen Mitmenschen bloßstellen zu wollen (Das tun solche Menschen in aller Regel selbst viel besser, als ich unbedeutender Schreiberwicht es je könnte): Es bescherte mir wieder einen erheblichen Lustgewinn, der Such-Versuchung zu erliegen. Kaum zu glauben, wie emsig erwachsene Menschen mitunter nach ihrem eigenen Namen googeln …
Ein klitzekleiner Lustgewinn war es auch, beim heutigen Blättern in meiner Lokalpostille zwei Leserbriefe zu entdecken, die sich des Themas „Pro Flughafen Leipzig/Halle“ angenommen hatten. Und es freute mich, dass die Verfasser dieser Briefe, darunter ein namhaftes Leipziger SPD-Mitglied, zum gleichen Ergebnis gekommen waren wie ich. Um mal zu zitieren:
„… Da gründet sich eine Bürgerinitiative ‚Pro Flughafen’, und wenn man hinter die Namen der Akteure schaut, finden sich keine bloßen Bürger, sondern eingefleischte Lobbyisten der Wirtschaft und des Flughafens …”
Nicht, dass ich gelegentlich von Selbstzweifeln zerfressen wäre – aber es freut einen unbedeutenden Schreiberling wie mich doch ungemein, wenn anderen Menschen beim Lesen eines PR-Textes über die Gründung eines Gutmenschenvereins Zweifel kommen. Wer meine Tagebucheinträge regelmäßig liest, weiß, dass ich mit der SPD nichts am Hut habe – aber dem Verfasser des Leserbriefes muss ich doch mal eine freundliche Mail schreiben.
Achja, es gibt übrigens weitere, gleichfalls natürlich unbedeutende Schreiberlinge, die sich ihre Gedanken über den Gutmenschenverein machen. Guckst Du hier: http://helmutgobsch.wahl.de/2008/06/18/bauuml-rger-wie-du-und-ich-4330191
Ohne den einen oder anderen Mitmenschen bloßstellen zu wollen (Das tun solche Menschen in aller Regel selbst viel besser, als ich unbedeutender Schreiberwicht es je könnte): Es bescherte mir wieder einen erheblichen Lustgewinn, der Such-Versuchung zu erliegen. Kaum zu glauben, wie emsig erwachsene Menschen mitunter nach ihrem eigenen Namen googeln …
Ein klitzekleiner Lustgewinn war es auch, beim heutigen Blättern in meiner Lokalpostille zwei Leserbriefe zu entdecken, die sich des Themas „Pro Flughafen Leipzig/Halle“ angenommen hatten. Und es freute mich, dass die Verfasser dieser Briefe, darunter ein namhaftes Leipziger SPD-Mitglied, zum gleichen Ergebnis gekommen waren wie ich. Um mal zu zitieren:
„… Da gründet sich eine Bürgerinitiative ‚Pro Flughafen’, und wenn man hinter die Namen der Akteure schaut, finden sich keine bloßen Bürger, sondern eingefleischte Lobbyisten der Wirtschaft und des Flughafens …”
Nicht, dass ich gelegentlich von Selbstzweifeln zerfressen wäre – aber es freut einen unbedeutenden Schreiberling wie mich doch ungemein, wenn anderen Menschen beim Lesen eines PR-Textes über die Gründung eines Gutmenschenvereins Zweifel kommen. Wer meine Tagebucheinträge regelmäßig liest, weiß, dass ich mit der SPD nichts am Hut habe – aber dem Verfasser des Leserbriefes muss ich doch mal eine freundliche Mail schreiben.
Achja, es gibt übrigens weitere, gleichfalls natürlich unbedeutende Schreiberlinge, die sich ihre Gedanken über den Gutmenschenverein machen. Guckst Du hier: http://helmutgobsch.wahl.de/2008/06/18/bauuml-rger-wie-du-und-ich-4330191
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Sonntag, 22. Juni 2008
Nachtrag zu: Wozu braucht meine Lokalpostille ein CMS?
zeitungsdieb, 22:48h
Am heutigen 22. Juni fand in einigen Landkreisen Sachsens die zweite Runde der Bürgermeister- und Landratswahlen statt. Wer in den zum Regierungsbezirk Leipzig gehörenden Landkreisen Delitzsch und Muldental/Leipzig Land das Rennen gemacht hat, erfuhr ich gegen 20.45 Uhr übrigens nicht von meiner Lokalpostille namens LVZ. Dort war eine dpa-Meldung über die Wahlbeteiligung zu sehen, sonst nichts. Statt dessen fand ich die Ergebnisse bei der Sächsischen Zeitung. Die Dresdner Kollegen haben den Leipziger Schnarchnasen vom Springerverlag (nagut, die Hälfte des Schlafwagens gehört zu Madsack) gezeigt, wie Journalismus geht. Ruhe sanft, Leipziger Volkszeitung.
PS.: Vor einigen Minuten wurde auch die Partie Italien gegen Spanien angepfiffen. Und wieder wird meine Lokalpostille brav schlummernd ihre Internetausgabe vergessen.
PS.: Vor einigen Minuten wurde auch die Partie Italien gegen Spanien angepfiffen. Und wieder wird meine Lokalpostille brav schlummernd ihre Internetausgabe vergessen.
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Freitag, 20. Juni 2008
EM-Viertelfinale mal anders. Oder: Wozu braucht meine Lokalpostille ein CMS?
zeitungsdieb, 10:17h
Fußball ist nicht mein Ding. Und so war für mich das gestrige EM-Viertelfinale auch kein wirklich heißer Termin. Mit meinem Tipp lag ich – genau wie der ganze Freundes- und Bekanntenkreis – voll daneben: Wer hätte auch ahnen können, dass die deutschen Standfußballer im Spiel gegen Portugal plötzlich zu Läufern werden und – Wunder über Wunder – dass die Blindhühnertruppe nun sogar noch Tore schießt?
Zur Halbzeit jedenfalls setzte ich mich noch mal an meinen Computer und nahm einen Rundblick durch die Online-Ausgaben deutscher Zeitungen. Es war – vorsichtig formuliert – wenig überraschend, also: enttäuschend.
Wer Netzeitung heißt und ganz ohne Printausgabe daherkommt, muss ja schnell sein. Fehlanzeige! Zur Halbzeitung stimmte die Netzeitung www.netzeitung.de ihre geneigte Leserschaft noch immer brav und statisch auf das bald beginnende Viertelfinalspiel Deutschland:Portugal ein. Wie die meisten richtigen deutschen Tageszeitungen auch, bei denen aus Anlass der EM zwar die Sportredaktion Überstunden schieben darf, aber die separate Online-Redaktion bereits in den Feierabend enteilt ist. Folglich bot auch meine Lokalpostille, die Leipziger Volkszeitung, unter www.lvz.de Qualitätsjournalismus der gewohnten Art, nämlich gar keinen. Auf der Startseite eine Agenturmeldung mit Spekulationen über das bevorstehende Viertelfinalspiel.
Ein wenig besser stand zumindest die Sächsische Zeitung da. Auch auf deren Startseite bot sich dem geneigten Online-Leser zwar die bis zur Überschrift identische Agenturmeldung dar, doch die Dresdner hatten wenigstens so eine Art „Live-Ticker“ installiert, über den der Halbzeit-Spielstand lief.
Auf der Höhe der Ereignisse präsentierte sich Yahoo. Wer dieses Portal aufrief, fand in der Halbzeitpause zwar auch eine Agenturmeldung, aber zumindest eine aktuelle mit Infos zum bisherigen Spielgeschehen.
In Bestform zeigte sich – und auch das war nicht wirklich eine Überraschung – die Welt. Auf www.welt.de konnte sich der geneigte Internetnutzer, so er die erste Halbzeit verschlafen hatte, hautnah über das Spiel informieren. Vor einigen Jahren strukturierte die Welt unter dem Motto „Online first“ ihre Redaktionsabläufe, insbesondere im Newsdesk, um. Das spürt man: Print („Holzmedium“) und Online laufen nicht mehr nebeneinander bzw. aneinander vorbei, sondern als organisches Ganzes. Im Klartext: Eine Nachricht kommt herein, wird aufbereitet und landet im Online-Bereich – auch nach 17 Uhr. Ja, die Weltler leisten sich sogar den Luxus echter Live-Berichterstattung. Bei bestimmten Ereignissen, zu denen neben Formel-1-Rennen und Pressekonferenzen aus österreichischen Inzestkellern auch die EM zählt, schreibt ein Redakteur aktuell mit und sendet seine Textstücke im Minutentakt ins Redaktions-CMS.
Apropos CMS: Wozu haben meine Lokalpostille und all die anderen Holzmedien eigentlich ein CMS? Für solche bleiärschigen Qualitätsjournalisten sollte doch html zum Hochladen ausreichen.
Zur Halbzeit jedenfalls setzte ich mich noch mal an meinen Computer und nahm einen Rundblick durch die Online-Ausgaben deutscher Zeitungen. Es war – vorsichtig formuliert – wenig überraschend, also: enttäuschend.
Wer Netzeitung heißt und ganz ohne Printausgabe daherkommt, muss ja schnell sein. Fehlanzeige! Zur Halbzeitung stimmte die Netzeitung www.netzeitung.de ihre geneigte Leserschaft noch immer brav und statisch auf das bald beginnende Viertelfinalspiel Deutschland:Portugal ein. Wie die meisten richtigen deutschen Tageszeitungen auch, bei denen aus Anlass der EM zwar die Sportredaktion Überstunden schieben darf, aber die separate Online-Redaktion bereits in den Feierabend enteilt ist. Folglich bot auch meine Lokalpostille, die Leipziger Volkszeitung, unter www.lvz.de Qualitätsjournalismus der gewohnten Art, nämlich gar keinen. Auf der Startseite eine Agenturmeldung mit Spekulationen über das bevorstehende Viertelfinalspiel.
Ein wenig besser stand zumindest die Sächsische Zeitung da. Auch auf deren Startseite bot sich dem geneigten Online-Leser zwar die bis zur Überschrift identische Agenturmeldung dar, doch die Dresdner hatten wenigstens so eine Art „Live-Ticker“ installiert, über den der Halbzeit-Spielstand lief.
Auf der Höhe der Ereignisse präsentierte sich Yahoo. Wer dieses Portal aufrief, fand in der Halbzeitpause zwar auch eine Agenturmeldung, aber zumindest eine aktuelle mit Infos zum bisherigen Spielgeschehen.
In Bestform zeigte sich – und auch das war nicht wirklich eine Überraschung – die Welt. Auf www.welt.de konnte sich der geneigte Internetnutzer, so er die erste Halbzeit verschlafen hatte, hautnah über das Spiel informieren. Vor einigen Jahren strukturierte die Welt unter dem Motto „Online first“ ihre Redaktionsabläufe, insbesondere im Newsdesk, um. Das spürt man: Print („Holzmedium“) und Online laufen nicht mehr nebeneinander bzw. aneinander vorbei, sondern als organisches Ganzes. Im Klartext: Eine Nachricht kommt herein, wird aufbereitet und landet im Online-Bereich – auch nach 17 Uhr. Ja, die Weltler leisten sich sogar den Luxus echter Live-Berichterstattung. Bei bestimmten Ereignissen, zu denen neben Formel-1-Rennen und Pressekonferenzen aus österreichischen Inzestkellern auch die EM zählt, schreibt ein Redakteur aktuell mit und sendet seine Textstücke im Minutentakt ins Redaktions-CMS.
Apropos CMS: Wozu haben meine Lokalpostille und all die anderen Holzmedien eigentlich ein CMS? Für solche bleiärschigen Qualitätsjournalisten sollte doch html zum Hochladen ausreichen.
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