Donnerstag, 17. Juli 2008
Wollt Ihr den totalen Nachtflug? Oder: Burkhard lobt die leisen Flieger
Wenn man eine Unwahrheit oft genug wiederholt, wird sie geglaubt. Zumindest vom größten Teil des tumben Wählervolkes, und darauf kommt es ja an. Ich verzichte heute mal darauf, den wohl bekanntesten Vertreter dieser Weisheit zu benennen. Die regelmäßigen Leser meines kleinen Tagebuches wissen, wen ich meine. Für die anderen gilt: Guckst Du hier und schaust Du nach ... http://zeitungsdieb.blogger.de/stories/1165848/ und http://zeitungsdieb.blogger.de/stories/1171224/
Kommen wir nun zum Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (guckst Du hier: http://www.burkhard-jung.de ). Inhaber der Domain ist laut www.denic.de der SPD-Landesverband Sachsen, was in Ordnung geht, denn Burkhard Jung ist ja eines der prominenten Mitglieder der Schrumpfpartei. Ein wenig verblüffend ist, dass man beim Aufruf der Domain www.burkhard-jung.de flugs weitergeleitet wird. Man landet hier: http://www.leipzig.de/de/buerger/politik/obm/ Das ist nun eine Seite der Stadt Leipzig. Lustig finde ich, dass die SPD einem ihrer Frontleute keine richtige Homepage gönnt, sondern auf den Internetauftritt seines Arbeitgebers verweist. Aber ich arbeite ja nicht für den sächsischen Landesrechnungshof. Noch lustiger ist, dass von der denic als administrativer Ansprechpartner Uwe Albrecht benannt wird. Dieser ist seines Zeichens Wirtschaftsbürgermeister der Stadt Leipzig und Hoffnungsträger der etwas größeren Volkspartei CDU. Aber vielleicht muss nur ich über solche Dinge grinsen.

Zurück zu Burkhard Jung und der Unwahrheit. Beim gestrigen Baubeginn für ein Logistikzentrum der kanadischen Firma Future Electronics (guckst Du hier: http://www.futureelectronics.com ) schwadronierte Jung über die Bedeutung des totalen Nachtflugs für die Region Leipzig, drohte mit dem Verlust von noch nicht existierenden Arbeitsplätzen und verstieg sich zu der Behauptung, dass der Flughafen mit einem 24-Stunden-Frachtflugbetrieb elementare Voraussetzung für die Entwicklung unserer Region sei. Sein Fazit: Ohne Flughafen kein DHL, kein Amazon, keine neuen Jobs bei Future Electronics.
Letzteres mag stimmen. Ersteres nicht. Es gibt in Deutschland eine Menge Regionen, die auch ohne totale Nachtflugerlaubnis eine sehr gute wirtschaftliche Entwicklung genommen haben. Das hat etwas mit dem Erkennen der eigenen Stärken und des vorhandenen Potenzials zu tun und mit den richtigen Weichenstellungen. Daran haperte es in Leipzig in den 90-er-Jahren. Verlagswesen? Medienstadt? Maschinenbau? Wissenschaftsstandort? Hier agierten die Verantwortlichen – sehr wohlwollend formuliert – bestenfalls halbherzig und relativ visionsfrei. Als der Kuchen verteilt wurde, hat man in Leipzig tief und fest geschlafen und an der Rathaustür ein Schild angebracht, auf dem zu lesen war: „Zutritt nur für den weißen Ritter“. Der blieb aus, also musste sich die verschmähte Braut Leipzig nun mit dem etwas schmuddeligen Knappen Logisticus zufrieden geben. Oder zumindest so tun.
Das sogenannte „Rundum-sorglos-Paket“, das Wirtschaftsbürgermeister Uwe Albrecht nach eigener Aussage in seinem Dezernat für Investoren schnürt, kann heute nicht mehr viel retten. Das hätte in den 90ern gepackt werden müssen. In verschiedenen Größen übrigens, denn nicht nur große Konzerne, sondern auch kleine und mittlere Unternehmen schaffen Arbeitsplätze und geben einer Region Perspektiven.
Der nun laufende Ausverkauf an die Logistikbranche ist von den denkbaren Möglichkeiten die zweitschlechteste. Die wohl schlechteste Option wäre die Wiederaufnahme des Betriebs von Braunkohlentagebauen und Karbochemie gewesen, die der Region ebenfalls eine Perspektive gegeben hätte. Dass die nun gewählte Variante nicht viel besser ist, zeigen die aufkommenden Proteste betroffenen Bewohner der Region.

Doch zurück zu Burkhard Jung und seinem kreativen Umgang mit den Tatsachen. Wie meine Lokalpostille LVZ heute berichtet, erklärte der OBM nach dem symbolischen Spatenstich den Umstehenden Festgästen bei jedem über seinen Köpfen einschwebenden Flugzeug, „wie leise diese Maschinen seien.“ Das kann sogar stimmen, denn die üblichen Schuldigen feierten den ersten Spatenstich auf dem zehn Hektar großen Future-Eletronics-Acker bei Tag. Da sind Geräusche längst nicht so störend wie in der Nacht, und außerdem zielen die Proteste gegen die turbopropenden Donnerbüchsen von DHL & Co. dem Nachtflug. Sollte PR-Mann Jung sich von dem nächtlichen Geräuschpegel überzeugen wollen, stellen betroffene Leipziger ihm sicher gern ihre Schlafzimmer für einen Testaufenthalt zur Verfügung. Ungewollte Intimitäten zu dritt muss OBM Jung nicht befürchten, denn viele Betroffene haben ihre Schlafstatt längst in den Keller verlegt.
Mit einer Anmerkung möchte ich die Geduld meiner Leserschaft noch strapazieren: Future Electronics hat für sein Bauvorhaben ein zehn Hektar großes Gelände von der Stadt Leipzig erworben. Diese Fläche ist voll erschlossen und befindet sich neben dem hiesigen BMW-Werk, wurde bei der Erschließung also wie das BWM-Areal aufgefüllt und nivelliert. Anders formuliert: Da steckt richtig Kohle drin. Für 3,8 Mio. Euro wurden die 100.000 Quadratmeter Gewerbefläche (DHL würde wieder von „Brachland“ phantasieren) verkauft. Macht einen Quadratmeter-Preis von 38 Euro. Die von bestellten Leserbriefschreibern und empörten Vertretern des gesunden Volksempfindens so arg gescholtenen Bewohner des DHL-Lärmtestlabors, denen man öffentlich unterstellt, billiges Land erworben zu haben und nun zu meckern, zahlten für ihre Baugrundstücke zumeist den doppelten Satz – unerschlossen. Und für ihre Investition in Wohnraum im Grünen erhielten sie vom Freistaat Sachsen auch keinen Zuschuss von 40 oder 60 Prozent ...

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