Dienstag, 2. August 2011
Sparsame Lokalpostille. Oder: Daniela Kolbe erfindet Jobhopping im Tagsesrhythmus
Meine Lokalpostille, die nach eigener Auffassung dem Qualitätsjournalismus verpflichtete Leipziger Volkszeitung (Okay, dem Madsack-Verlag ist sie auch verpflichtet ...) ist sehr kostenbewusst. Nein, liebe LeserInnen meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches, ich schreibe an dieser Stelle weder über den Ausstieg der LVZ aus dem Tarif noch über Leiharbeit.
Heute schreibe ich einige Zeilen über eine andere Möglichkeit zur Kostensenkung: Man hebt einfach Pressemitteilungen ins Blatt, die es wohlfeil (aka "für nass") gibt.
Da ich gelegentlich selbst einige Euronen damit verdiene, für andere Menschen Pressetexte zu schreiben, freut es mich immer, wenn ich diese praktisch unverändert in meiner Lokalpostille entdecke. Ganz gleich, ob Lebensmittelindustrie, Bank, IT-Unternehmen oder Behörde - die LVZ nimmt so ziemlich alles, was es "für lau" gibt. Und weil ich dem eitlen Jugendalter schon seit ein, zwei Jahren entronnen bin, kann ich auch damit leben, dass einige sehr, sehr kompetente LVZ-Mitarbeiter unter einen PR-Text sogar ihren Namen schreiben. Okay, ich habe dafür ja mein Geld schon bekommen, und sie haben ihn ja bearbeitet. Nicht sehr, aber immerhin haben sie die Zeile "Veröffentlichung honorarfrei, bitte senden Sie uns einen Beleg zu" entfernt. Das ist für einige der Jungs (und ein, zwei Mädels) durchaus schon eine respektable Schöpfungshöhe im Sinne des UrhRG ...

Ein besonders schönes Stück völlig hirnfreier Textübernahme entdeckte ich in der Wochenendausgabe der LVZ vom 30./31. Juli 2011, genauer auf der ersten Seite ihres Lokalteils. Dort durfte die geneigte Leserschaft eine feine Nachricht über Daniela Kolbe studieren.
Okay, immerhin war hier jemand so ehrlich, den PR-Text mit dem Kürzel "r." zu unterschreiben; das steht für "Richtig schlimm, dafür gebe ich meinen Namen nicht her".
Doch zurück zu Daniela Kolbe. Dabei http://de.wikipedia.org/wiki/Daniela_Kolbe handelt es sich um eine Bundestagsabgeordenete der SPD. Immerhin hat sie mal Physik studiert, sich aber schon während des Studiums vom richtigen Leben ab- und der Politik zugekehrt.
In der LVZ (ich lästere jetzt nicht über die SPD-nähe des Blattes und auch nicht darüber, dass die SPD Miteigentümer der LVZ ist) wurde die nette PR-Nachricht abgedruckt, dass Daniela Kolbe Praxiserfahrungen sammelt.
Eine Woche lang wird sie in verschiedenenen Tätigkeitsfeldern und Berufen arbeiten und "selbst mit ins Geschehen eingreifen."
Mal ehrlich, wie blöd muss man sein, solchen PR-Scheiß abzudrucken. Als ob es nicht schlimm genug wäre, das hier http://www.daniela-kolbe.de/leipzig/sommertour/daniela-kolbe-startet-sommer-praktika-tour-2011 auf der Homepage der MdBeuse zu lesen. "Ich möchte mir auf diese Weise einen umfassenderen und realistischen Einblick in den Arbeitsalltag der Menschen in Leipzig verschaffen.", verkündet Daniela Kolbe. Mit einem Tag bei der Polizei, mit einem Tag beim Jobcenter und einem Tag bei Manpower (und sicher auch einem Tag bei der SPD-nahen LVZ) erhält man einen "umfassenderen und realistischen Einblick"? Träum' weiter!
Oder besser: Sie nimmt sich einige ältere SPD-Mitglieder, wie z.B. Peter Struck, zum Vorbild: Die zog es auch in die sommerliche Praxis. Allerdings betrieben sie kein Kolbe-Jobhopping im Tagesrhythmus, sondern arbeiteten wirklich. Okay, das gibt nicht so viele, schöne, zu Herzen gehende Pressefotos "MdB besucht richtige Menschen", dafür aber tatsächliche Einblicke in Alltag und Realität. Aber nur, wenn man sowas will.

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Toller Text, aber eindeutliches Makel
Den Text finde ich sehr gelungen, da man sich natürlich die Frage stellen muss, wieso jemand Bundestagsabgeordnete wird, aber mit dem realen Leben keine Schnittstellen hat. Nicht, dass Politiker generell so wären. Viele stehen mit beiden Beinen im Leben. Aber die Praktikumswoche von Frau Kolbe ist ein Hohn. Sie wird den Tag über durch die Einrichtungen geführt, lässt sich vom dortigen Chef erklären, wie die Lage ist, und steht dann noch ein, vielleicht zwei Stunden den Leuten, die dort tatsächlich arbeiten, im Weg. Das ist kein Praktikum, das ist ein Hohn!

Der Fehler im Text: Die SPD-Nähe der LVZ. Die ist mir noch nie aufgefallen! Der FDP-Unsinn wird genauso veröffentlicht wie das Zeug von Linken, CDU und Grünen. Die SPD kommt zwar auch vor, aber wird stiefmütterlich behandelt. Das liegt daran, dass Madsack es verpennt hat, den Chefredakteur rauszuschmeißen, den Springer installiert hat. Leider führt die Fehlbesetzung dazu, dass in Leipzig die Bildzeitung irgendwie besser recherchiert, wenn's um Kommunales geht. Erschreckend - wie das Kolbe'sche Praktikum!

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Die Frage "Warum wird jemand MdB, ohne Schnittstellen zum realen Leben zu haben?" ist leicht zu beantworten: Parteikarriere - es gibt da Listenplätze ... und Nummer 4 der Landesliste ist bei der SPD (noch) eine sichere Bank.
Was die SPD-Nähe oder nicht-Nähe betrifft, so bin ich da anderer Auffassung. Auf alle Fälle wird dran gearbeitet. Spätestens dann, wenn Onkel Bernd diese Bühne verlassen hat, wird angemessener Ersatz aus dem richtigen Stall kommen. Zur Sicherheit ist ja schon mal ein Berater installiert worden ...

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