Dienstag, 26. Mai 2009
Leipziger Qualitätsjournalismus reloaded. Oder: Mit dem Glückstelefon zum neuen Auto
Vor langer, langer Zeit stand auf meinem Stundenplan das Unterrichtsfach Deutsch. Irgendwann (es muss kurz nach der Entstehung der Braunkohle gewesen sein) lernte ich auch etwas über das Steigern von Adjektiven. Also „schön“, „schöner“, „am schönsten“, damals Grund-, Mehr- und Meistform genannt. Heute nennt man das übrigens Komparation, die drei Formen heißen Positiv, Komparativ und Superlativ. Nur der Vollständigkeit halber: Nach dem Superlativ kommen eigentlich noch Elativ und Exzessiv als Steigerungsformen Nummer 4 und 5, allerdings sind diese im Deutschen ungebräuchlich – wir sind halt eher nordisch-kühl und nicht so überschwänglich. Elativ und Exzessiv ist also eher etwas für die US-Amerikaner, bei denen ja schon „great“ ist, wer die Uhr ablesen kann.
Nun mag sich der eine oder andere Leser meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches fragen, weshalb ich meine knapp bemessene Lebenszeit dazu missbrauche, um über die Steigerung von Adjektiven bzw. Adverbien zu philosophieren.
Schuld ist ein Phänomen, auf das ich beim Lesen eher per Zufall gestoßen bin. Es gibt offensichtlich eine ganze Reihe von Adjektiven, bei deren Steigerung man auf den selben Superlativ kommt.
Beispiel gefällig? Nehmen wir das Wort „frech“. Steigerung: Frecher, LVZ. Auf den selben Superlativ komme ich bei „unverschämt“: unverschämter, LVZ. Die Reihe lässt sich mit Worten wie „dreist“, „betrügerisch“ usw. beliebig fortsetzen. Im Klartext: Meine Lokalpostille, die nach eigener Aussage dem Qualitätsjournalismus verpflichtete Leipziger Volkszeitung, befleißigt sich zunehmen einer Arbeitsweise, die mit Worten wie „unverschämt“, „dreist“ und „frech“ sehr wohlwollend umschrieben ist. Weniger zurückhaltende Menschen als ich sprechen eher von „kriminell“ und „Leserverarschung“.

Wie ich darauf komme? In den vergangenen Monaten hat die Praxis, eigene geschäftliche Belange des Verlages redaktionell breitzutreten, einen bisher unbekannten Stand erreicht. Ich weiß, wovon ich spreche, denn berufsbedingt tue ich mir allmorgendlich die „Leipziger Volkszeitung“ an – aber aktuell ist sie eigentlich „unlesbar“ (auch die Steigerung dieses Wortes führt zu „LVZ“).

Schuld sind – neben dem unverkennbaren qualitativen Niedergang – die fortwährenden Verstöße gegen den Pressekodex ( Guckst Du hier: http://www.presserat.info/uploads/media/Pressekodex_01.pdf ) . In letzterem ist in Ziffer 7 folgendes festgelegt:

„Ziffer 7 – Trennung von Werbung und Redaktion
Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche
ab und achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken. Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.“

Näheres zu dieser Thematik mag der geneigte Leser hier http://zeitungsdieb.blogger.de/stories/1362406/ und da http://zeitungsdieb.blogger.de/stories/1393681/ nachlesen. Im Zuge ihres Tests, wie blöd der immer noch verbliebene Durchschnittsrestleser der LVZ mittlerweile ist, hat meine Lokalpostille ein Gewinnspiel aufgelegt. Gestern durfte Heinrich Lillie, ein zur Selbstgoogelung neigendes Mitglied der Verlagselite, zum wiederholten Male die redaktionelle Werbetrommel für die Verlosung eines Megane-Cabrios rühren. Per „Glückstelefon“ (Originalton LVZ) darf der geneigte, hinreichend unbedarfte Leser schon seit einigen Wochen für 50 ct je Anruf die Kasse klingeln lassen. Noch bis zum 8. Juni übrigens. Und schon am 9. Juni darf das Auto beim Autohaus Lange in Grimma abgeholt werden – wenn man genug angerufen und Glück hat, immer an den Osterhasen glaubt und zu Nikolaus seine Stiefelchen fein geputzt hat. Die netten Privatfunker von 9 live & Co. lassen artig grüßen.

Was mich daran so ärgert, ist weniger die galoppierende Leserverscheißerung, die hier betrieben wird. Wer bei solchen Spielen mitmacht, verdient es nicht besser. Fast schon kriminell ist hingegen, dass meine Lokalpostille solcherart Geschäftemacherei nicht als Anzeige deklariert, ja nicht einmal in einer so genannten „Verlagssonderveröffentlichung“ platziert, was das gedruckte Gegenstück zur „Dauerwerbesendung“ wäre.
Nein, die Qualitätsjournalistiker meiner Lokalpostille stellen die schamlose Werbung für ihr Gewinnspiel auf die Titelseite des Lokalteils – nicht nur in Leipzig, sondern auch in den angeschlossenen Kreisblättchen.

Meine Beschwerde an den Deutschen Presserat werde ich übrigens weder per Post noch per E-Mail schicken. Ich gebe das Schreiben einfach dem Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung. Das bietet sich an, denn schließlich ist Bernd Hilder Stellvertretender Sprecher des Presserates, so kann ich mir das Porto sparen.

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