Mittwoch, 18. April 2012
Anruf vom Meinungsumfragemenschen. Oder: Nachdenken eines konservativen Nimby über Wählerwanderung
Das Telefon klingelt, d.h. genau das tut es nicht, es chipdudelt irgendwie vor sich hin, da es ja keine Klingel bzw. keinen Wagnerschen Hammer hat (Mein letztes Telefon mit einem solchen Läutwerk, ein originales Siemens W48, habe ich vor gar nicht so langer Zeit außer Dienst gestellt und für ein erkleckliches Sümmchen bei Ebay verklingelt.). Zurück zum Telefon: Es signalisiert mir einen Anrufer. Selbiger stellt sich artig als Mitarbeiter eines Meinungsforschungsunternehmens vor und bittet um einige Minuten meiner kostbaren Zeit und erheischt die Beantwortung einiger Fragen zu stellen. Den LeserInnen meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches sei verraten, dass ich mit ungebetenen Anrufern (und Anruferinnen) gern meinen Spaß treibe, an ihnen meine Gesprächstechnik trainiere und sogar (kaum zu glauben) recht eklig werden kann; bei Meinungsumfragern, sofern es sich nicht um schlecht getarnte Weinhändler oder Amway-Verkäufer handelt, aber eine Ausnahme mache. Zum einen lernt man aus der Fragerei eine ganze Menge, zum anderen bin ich ja gelegentlich selbst auf das Wohlwollen zufälliger Gesprächspartner angewiesen und hoffe, dass mein Entgegenkommen irgendwie meine diesbezüglichen Chancen verbessert. So von wegen Karma und so.
Zurück zum Anrufer. Er hatte es mit politischen Präferenzen, Einschätzungen der Kompetenz dieses und jenes Politikers, meiner Auffassung, welche Angehörigen der in sich geschlossenen politischen Kaste am ehesten die momentane Lage meistern könnten und kam abschließend zur Sonntagsfrage. Natürlich verrate ich den LeserInnen nun nicht, wie ich auf die Frage „Welcher Partei bzw. welchen Parteien würden Sie ihre Stimme geben, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre?“ geantwortet habe. Die regelmäßigen LeserInnen meines Blogs wissen, dass ich ein recht konservativ denkender Typ bin – wobei konservativ nicht (mehr) zwingend schwarz bedeuten muss. Man sinne einfach ein wenig über Herkunft und Bedeutung des Attributes „konservativ“ nach, vor allem darüber, welche Güter es zu schützen gilt und welche Parteien in welcher Frage „konservatives“ Gedankengut vertreten.
Nachdem das recht angenehme und kurzweilige Telefonat vorüber war, dachte ich noch ein Weilchen übers Wählen, übers tumbe Wahlvolk und all die Faktoren nach, die eine Wahlentscheidung beeinflussen (können), über Verstand, Überzeugungen, Bindungen, Gefühle und solchen Kram.
Und über Zweckbestimmungen und Eigennutz. Meine erste Wahlentscheidung für die Piraten stammt aus dem Jahr 2009, damals fand so eine völlig sinnfreie Europawahl statt. Guckst Du hier http://zeitungsdieb.blogger.de/stories/1421434/ Ich entschied mich seinerzeit aus sehr pragmatischen Gründen für die heute boomenden Piraten, weil mich all die Demagogie, die Schäubelei und die Zensursula-Propaganda ankotzte. Das ist (mit anders heißenden Protagonisten) noch heute so, womit meine nächste Europaentscheidung verkündet wäre. Und im Bund? Ich lass' mich doch nicht aushorchen, eh!
Und wie sieht es im Nahbereich aus? Der Sächsische Landtag wurde 2009 gewählt, folglich dürfen die Typen noch bis 2014 ihre Diäten abfassen. Im Klartext: In diesem Jahr gibt’s noch allerlei Grausamkeiten, 2013 entdecken auch die tiefstschlafenden MdL ihre WählerInnen wieder und strömen in die Vereinsversammlungen von Kleingärtnern, Karnickelzüchtern usw., weil dort mit wenig Aufwand (eine Kiste Kugelschreiber und fuffzigmal Bowu und Kartoffelsalat aufs Spesenkonto) viele WählerInnen plattzumachen sind. 2014 wird die Landesregierung ihr Füllhorn öffnen und die tumben Stimmzettelabgeber mit Wohltaten überhäufen. Was ein typischer Vorgang in jeder „Demokratie“ ist, die sich von Zeit zu Zeit Wahlen gönnt.
Und was werde ich dann wählen? Als tiefkonservativer Nimby (guckst Du hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Nimby ) bekommt meine Stimme ganz sicher niemand, der meine Laufstrecke durch die landschaftsgeschützte Parthenaue mit einer autobahnartigen Bundesstraße B87n zubetonieren will. Das gilt nicht allein für besagten Herren, sondern auch für seine politischen Mitstreiter. Ich stelle mir vielmehr die Frage, wer am ehesten einen solch unnötigen Umweltschaden verhindern könnte. Oder wer dafür eintritt, dass die Region Leipziger nachts nicht mehr von turboproppenden Frachtfliegern zugedröhnt wird. Klar ist es ein nettes Gimmick, eine in Australien bestellte Uhr nach vier Tagen in Empfang nehmen zu können; mir würden aber auch sechs Tage reichen – wozu also Nachtflüge?
(Nur am Rande: Der Flughafen Zürich wurde kürzlich mit dem Air Cargo Excellence Award ausgezeichnet. Und hat ein generelles Nachtflugverbot: http://www.flughafen-zuerich.ch/desktopdefault.aspx/tabid-521/ )
Doch zurück zu meinem Wahlverhalten. Ich bin ja kein Herdenmensch, aber mitunter freut es mich doch, mit meiner verschrobenen Denkweise nicht ganz allein herumzustehen. So zum Beispiel, als ich hier http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/handwoerterbuch-politisches-system/40404/wahlkampf?p=all eine Veröffentlichung der Bundeszentrale für politische Bildung las. Fazit: Der Stammwähler wird zum Auslaufmodell, die einst feste Kopplung zwischen Sozialstruktur, Religion und Wählerverhalten bröckelt, Wähler werden mobiler (untreuer), der Einfluss kurzfristiger Faktoren, Stimmungen und Zweckbindungen auf die Wahlentscheidung wächst.
Kaum zu glauben, was der Anruf so eines armen Meinungsumfragewürstchens alles so auslösen kann …

... link (0 Kommentare)   ... comment