Montag, 8. Oktober 2007
Dekadenz und Dummheit
Der Duden hält für das Stichwort „Dekadenz“ die Kurzerklärung „Verfall, Niedergang“ bereit. Kann man von Dekadenz reden, wenn laut Leipziger Volkszeitung vom 8. Oktober 2007 „eine Gruppe junger Leute“ demnächst die Filiale einer Fast-Food-Kette leerfressen will? Angepeilt werden laut Lokalpostille 4.000 Burger in Leipzig, zeitgleich sollen Rekordversuche in Berlin und Augsburg stattfinden.
Initiator dieser Aktion ist Udo Grigas, ein 20jähriger Koch, der seine Brötchen im Halleschen Dorinth-Hotel mit der Herstellung etwas besserer Kost verdient. Nach einigen kleineren Testaktionen in Berlin und Zwickau will er nun den ganz großen Coup landen und wirbt dafür im Internet. „Natürlich aus Spaß“, betont Grigas. Und ohne Verbandelung mit der auf diese Weise mit PR bedachten Burgerbraterei.
Ob es wirklich noch etwas mit Spaß zu tun hat, wenn – wie geplant – mindestens 500 Menschen je acht oder mehr Burger ins sich hineinstopfen, sei dahingestellt. Ein Zeichen von Dekadenz ist es aus meiner Sicht auf jeden Fall. Und das nicht nur beim Macher und seinen Mitmachern, sondern auch bei der Redakteurin, die derartigem Geistesmüll noch Platz in einer Zeitung einräumt, die nach eigenem Selbstverständnis den Anspruch hegt, Qualitätsjournalismus zu bieten.
Wie weit der Niedergang schon fortgeschritten ist, macht ein Blick auf die Homepage der Burgeraktion deutlich. Dort wird der für den 13. Oktober geplante Flashmob angekündigt. Nun gut, der virtuose Umgang mit der deutschen Sprache und der ihr zudachten Rechtschreibung ist wohl mittlerweile keine der Fähigkeiten mehr, die man zwingend besitzen muss.
Vom Webmaster der Aktion darf man in Zukunft trotz seiner Jugend noch einige anspruchsvolle Auftritte erwarten. Schließlich hat sich der clevere Schüler bereits Domains wie drittes-bein.de schützen lassen und bietet diese zum Kauf an. Nur aus Spaß.
Dass mein mangelndes Verständnis für die Aktion wohl nicht nur an meinem mittlerweile etwas vorgerückteren (amtlichen) Alter liegt, wurde mir beim Blick in diverse Flashmob-nahe Bloggereien klar. Dort sorgen die Aufrufe zum Leerfressen einzelner Burgerbratereien seit Monaten für Kritik. Während den einen das sinnlose Schlingen mit Bezug auf andernorts alltäglichen Hunger und die Details der industriellen Fleischproduktion unangenehm aufstößt, vermissen andere Blogger vor allem das kreative Element, das einen Flashmob üblicherweise auszeichnet. Zitat: „Klar mit Ansage. Damit die Klopsebrater Zeit haben, Dienstplan und Warenlager auf den Ansturm vorzubereiten. Mit Flashmob hat das nichts zu tun.“
Daran ändert auch nichts, dass die „Nur-aus-Spaß“-Initiatoren der Leipziger Aktion für ihren „Anschlag“ zwei mögliche Ziele benannt haben. Diese liegen nur wenige hundert Meter auseinander, zur Not ließe sich der Nachschub per Handwagen von A nach B rollen. Aber da Gefrierfleisch geduldig ist, sollte es kein Problem sein, beide Filialen rechtzeitig aufzurüsten. Bei der PR-Aktion gehen die Kosten für „mal eben aus Spaß 5.000 Burgerscheiben ins Zwischenlager“ im Grundrauschen unter. Im Flash-Mobbers.net wird im Zusammenhang mit der Leipziger Aktion bzw. ihre per Web bereits mehrfach angekündigten Vorläufer an die Rulez dieses Metiers erinnert, die direkte oder indirekte Werbeaktionen ausdrücklich ausschließen.
Warum ich das schreibe? Weil mir allmählich die Nackenmuskeln wehtun – vor lauter Kopfschütteln. Wie berufsvergessen muss man als Redakteuse einer dem Qualitätsjournalismus verpflichteten Abo-Zeitung eigentlich sein, Informationen über eine bekloppte Bulettenfressorgie ins Blatt zu heben, ohne sich die Mühe zu machen, mal ein wenig zu recherchieren, was es damit eigentlich auf sich hat? Ein wenig Google, ein wenig Denic, ein wenig hier und da recherchiert, ein wenig journalistisches Handwerk – und der nur-aus-Spaß-Rekordversuch wäre da gelandet, wo er hingehört: im Trash-Ordner bzw. im Papierkorb. Oder doch zumindest in der Rubrik „Glossiert“.

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