Freitag, 28. September 2007
Wechselbad der Gefühle
„Fürwahr es wechseln Pein und Lust, genieße, wenn Du kannst, und leide, wenn Du musst.“
Johann Wolfgang von Goethe war’s, der diesen sinnigen Spruch zu Papier brachte. Bei richtig langen Ultraläufen lasse ich mir diesen Vers durch den Kopf gehen, er passt zum Laufen und lässt mich auch nach zehn oder mehr Stunden einem dem aktuellen Leidenszustand angemessenen Rhythmus finden.
Heute fiel mir die Sache mit Pein und Lust bei der morgendlichen Zeitungslektüre ein. Meine Lieblingslokalzeitung, die mir immer schön pisatauglich erklärt, wie die Welt zu sein hat, macht ihre 1. Seite am 28. September nicht etwa mit Bildern und/oder einem Bericht aus Birma auf. Nö, der findet sich erst später.
Aufmacher ist ein Riesenfoto aus dem Leipziger Hauptbahnhof, denn die dortigen Promenaden – ein ECE-Shoppingcenter – feiern derzeit ihr zehnjähriges Bestehen. Grübel, grübel. War da nicht gestern eine dicke Verlagsbeilage (zu Zeiten von Marlen Gilzer und dem Sat1-Glücksrad hieß so etwas „Dauerwerbesendung“) über zehn Jahre Promenaden im Blatt? Ein Schelm, wer Arges dabei denkt ...
Mal sehen, ob dahinter System steckt. Was gab es gestern noch in meiner Lokalpostille? Grübel, grübel. Richtig, Leipzig feiert ein Jahr Karstadt-Neueröffnung. Dieses weltbewegende Ereignis wurde gestern ebenfalls mit einer gedruckten Dauerwerbesendung gewürdigt. Prompt findet sich als Lokalaufmacher ein riesiges Bild, auf dem Karstadt-Models zu sehen sind. Im Bildtext wird das Festprogramm noch einmal vermerkt.
Natürlich bringt es einem Schreiberling einen gewissen Lustgewinn, wenn er vorhersagen kann, was am nächsten Tag in der Zeitung steht. Aber diese Prophezeiungen dann auch noch erfüllt zu sehen – das ist mitunter Pein (obwohl es anderen Leuten peinlich sein sollte - Stichwort Pressekodex)!

Nochmehr Pein und Lust gefällig? Vor einigen Tagen ließ ich mich in diesem Tagebuch über die ausgesprochen seltsamen Pläne von BuJuMi Zypries zur Registrierung von Sprengstoffzutatenkäufern aus. Den Text schickte ich als Leserbrief auch an meine Lokalpostille. Heute fand ich ihn doch tatsächlich im Blatt. Oh welche Lust.
Aber schon folgte die Pein: Die Redaktion hatte ihr ausdrücklich vermerktes Recht zur sinnwahrenden Kürzung genutzt und mein Textlein ein wenig reduziert. Das ist wie bei einer Sauce: Wenn der falsche Koch ans Reduzieren geht, schmeckt's nicht mehr. Wer die redukastrierte Fassung im Lokalteil meiner Postille liest, könnte durchaus Verständnisschwierigkeiten haben. Schließlich weiß der terroristisch bzw. chemisch nicht vorgebildete Leser wahrscheinlich nicht, was Nitratdünger und Diesel mit Terrorismus zu tun haben. Ich hatte es erklärt, ohne Rezepte zu nennen. Der Leserbriefredakteur hatte es – wohl aus Angst vor bitterbösen Bombenbastlern – rausgenommen.
Wer meinen BuJuMi-Erguss in voller Schönheit nachlesen möchte, findet ihn in diesem kleinen Tagebuch, der Eintrag stammt vom 9. September 2007.

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