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Mittwoch, 24. Oktober 2007
Diktatoren, Diktaturen und Wikipedia-Autoren
zeitungsdieb, 11:58h
Namen haben eine Bedeutung. Sollten sie zumindest. Die Namen von Menschen ebenso wie die Namen von Städten. Die verordnete Umbenennung von Menschen hat etwas Anrüchiges. Zwei Gründe gab es dafür während der Zeit, als in Deutschland die Nazis herrschten. Der Zwang zur Umbenennung galt zum einen für Juden, die durch „passende“ Beinamen auch verbal erkennbar gemacht werden sollten. Zum anderen traf die Umbenennung aber auch „arische Volksgenossen“, deren Familienname unarische Herkunft vermuten ließ. Im Unterschied zu den deutschen Angehörigen des auserwählten Volkes wurden diesen auserwählten Angehörigen des deutschen Volkes mehrere Namen vorgelegt, aus denen sie ihren künftigen, rassehygienisch unverfänglichen, zu wählen hatten.
Doch solcherart Menschenumbenennung ist es nicht, über die ich in diesem Tagebucheintrag philosophieren möchte. Umbenannt werden auch Städte, weil deren Bezeichnung nicht mehr in die Zeit passt. Wohl populärstes Beispiel ist die Stadt Chemnitz, die am 10. Mai 1953 per Beschluss der DDR-Regierung den Namen Karl-Marx-Stadt erhielt. Dennoch verschwand der Name Chemnitz nicht gänzlich, denn der namensgebende Fluss ringelte sich weiter durch die Stadt. Nachdem am 23. April 1990 76 Prozent der Karl-Marx-Städter für die Rückbenennung gestimmt hatten, erhielt die Stadt am 1. Juni 1990 ihren alten Namen wieder. Der „Nischel“ (ein riesiger Karl-Marx-Kopf) blieb der Stadt hingegen und ist heute eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten.
Dass die Chemnitzer zu Karl-Marx-Städtern wurden, ist einem Zufall zu verdanken. Der Name des bärtigen Philosophen und auch heute noch anerkannten Wirtschaftswissenschaftlers Marx war eigentlich einer anderen Stadt zugedacht: Karl-Marx-Stadt sollte die ab 1950 errichtete Werkssiedlung des späteren Eisenhüttenkombinates Ost heißen, der Name des „größten Sohnes des deutschen Volkes“ sollte der Stadt an dessen 70. Todestag, am 14. Mai 1953, verliehen werden.
Diktator Stalin machte den Mächtigen der DDR einen Strich durch die Rechnung, in dem er am 5. März 1953 starb. Ihm zu ewigen Ehren erhielt die jüngste Stadt der DDR am 7. Mai 1953 den Namen Stalinstadt, den nun vakanten Namen Karl Marx lenkte man flugs nach Chemnitz um.
Im Zuge der Entstalinisierung wurde aus DDR-Stalinstadt unter Hinzuziehung anderer Kommunen das heutige Eisenhüttenstadt. Auch all die anderen Stalinstädte – laut Wikipedia gab es davon weitere 13 – gibt es nicht mehr, sie heißen heute Wolgograd, Varna, Duschanbe, Donezk, Donauneustadt …
Bis zu dieser Stelle ist das alles noch ganz einfach. Das Schema ist klar: Eine Stadt wird unter konkreten politischen Rahmenbedingungen nach einer zu dieser Zeit wichtigen Person benannt, die Zeiten und Bedingungen ändern sich, der nun verfängliche Name wird getilgt.
Aber keine Regel ohne Ausnahme:
Die Stadt Wolfsburg trägt ihren Namen nicht etwa nach den Wölfen, die rund um die Wiege des Volkswagens durch die Wälder ziehen. Sie wurde nach dem Hitler-Pseudonym „Wolf“ benannt. Hitler legte am 28. Mai 1938 persönlich den Grundstein für das Volkswagenwerk, fünf Wochen danach begann der Bau einer Stadt für die Belegschaft, die damals wohl Gefolgschaft hieß. „Nach Ihnen, mein Führer, soll die Stadt 'Wolfsburg' heißen”, verkündete Robert Ley, der Führer der Deutschen Arbeitsfront, seinerzeit. Doch der Gröfaz wies die Ehrung zurück, bis Kriegsende hieß der Ort provisorisch „Stadt des KdF-Wagens”. Seinen heutigen Namen erhielt Wolfsburg erst Wochen nach Hitlers Tod, am 25. Mai 1945 auf Beschluss des Magistrates der Stadt und mit Billigung der britischen Besatzungsbehörden.
Historiker halten es inzwischen für sehr wahrscheinlich, dass letztere nicht wirklich wussten, welchem Wolf die Stadt ihren Namen verdankt. Wikipedia müht sich zumindest redlich, die Namensgebung auf die mittelalterliche Wolfsburg des Geschlechtes derer von Allersleben zurückzuführen und lässt den euphorischen Spruch des DAF-Führers Ley gänzlich unter den Tisch fallen. Wer sich die Mühe macht und unter http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfsburg mal die Artikelhistorie und die Versionsdiskussionen nachliest, der findet eine amüsante Lektüre und kann zu gelinden Zweifeln an der Glaubwürdigkeit von Wikipedia gelangen. Wenn das Aussehen eines Eintrages letzten Endes davon abhängt, welcher Autor seine Sicht der Dinge mit welchem Grad an Fanatismus verteidigt, ist Skepsis angebracht.
Doch solcherart Menschenumbenennung ist es nicht, über die ich in diesem Tagebucheintrag philosophieren möchte. Umbenannt werden auch Städte, weil deren Bezeichnung nicht mehr in die Zeit passt. Wohl populärstes Beispiel ist die Stadt Chemnitz, die am 10. Mai 1953 per Beschluss der DDR-Regierung den Namen Karl-Marx-Stadt erhielt. Dennoch verschwand der Name Chemnitz nicht gänzlich, denn der namensgebende Fluss ringelte sich weiter durch die Stadt. Nachdem am 23. April 1990 76 Prozent der Karl-Marx-Städter für die Rückbenennung gestimmt hatten, erhielt die Stadt am 1. Juni 1990 ihren alten Namen wieder. Der „Nischel“ (ein riesiger Karl-Marx-Kopf) blieb der Stadt hingegen und ist heute eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten.
Dass die Chemnitzer zu Karl-Marx-Städtern wurden, ist einem Zufall zu verdanken. Der Name des bärtigen Philosophen und auch heute noch anerkannten Wirtschaftswissenschaftlers Marx war eigentlich einer anderen Stadt zugedacht: Karl-Marx-Stadt sollte die ab 1950 errichtete Werkssiedlung des späteren Eisenhüttenkombinates Ost heißen, der Name des „größten Sohnes des deutschen Volkes“ sollte der Stadt an dessen 70. Todestag, am 14. Mai 1953, verliehen werden.
Diktator Stalin machte den Mächtigen der DDR einen Strich durch die Rechnung, in dem er am 5. März 1953 starb. Ihm zu ewigen Ehren erhielt die jüngste Stadt der DDR am 7. Mai 1953 den Namen Stalinstadt, den nun vakanten Namen Karl Marx lenkte man flugs nach Chemnitz um.
Im Zuge der Entstalinisierung wurde aus DDR-Stalinstadt unter Hinzuziehung anderer Kommunen das heutige Eisenhüttenstadt. Auch all die anderen Stalinstädte – laut Wikipedia gab es davon weitere 13 – gibt es nicht mehr, sie heißen heute Wolgograd, Varna, Duschanbe, Donezk, Donauneustadt …
Bis zu dieser Stelle ist das alles noch ganz einfach. Das Schema ist klar: Eine Stadt wird unter konkreten politischen Rahmenbedingungen nach einer zu dieser Zeit wichtigen Person benannt, die Zeiten und Bedingungen ändern sich, der nun verfängliche Name wird getilgt.
Aber keine Regel ohne Ausnahme:
Die Stadt Wolfsburg trägt ihren Namen nicht etwa nach den Wölfen, die rund um die Wiege des Volkswagens durch die Wälder ziehen. Sie wurde nach dem Hitler-Pseudonym „Wolf“ benannt. Hitler legte am 28. Mai 1938 persönlich den Grundstein für das Volkswagenwerk, fünf Wochen danach begann der Bau einer Stadt für die Belegschaft, die damals wohl Gefolgschaft hieß. „Nach Ihnen, mein Führer, soll die Stadt 'Wolfsburg' heißen”, verkündete Robert Ley, der Führer der Deutschen Arbeitsfront, seinerzeit. Doch der Gröfaz wies die Ehrung zurück, bis Kriegsende hieß der Ort provisorisch „Stadt des KdF-Wagens”. Seinen heutigen Namen erhielt Wolfsburg erst Wochen nach Hitlers Tod, am 25. Mai 1945 auf Beschluss des Magistrates der Stadt und mit Billigung der britischen Besatzungsbehörden.
Historiker halten es inzwischen für sehr wahrscheinlich, dass letztere nicht wirklich wussten, welchem Wolf die Stadt ihren Namen verdankt. Wikipedia müht sich zumindest redlich, die Namensgebung auf die mittelalterliche Wolfsburg des Geschlechtes derer von Allersleben zurückzuführen und lässt den euphorischen Spruch des DAF-Führers Ley gänzlich unter den Tisch fallen. Wer sich die Mühe macht und unter http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfsburg mal die Artikelhistorie und die Versionsdiskussionen nachliest, der findet eine amüsante Lektüre und kann zu gelinden Zweifeln an der Glaubwürdigkeit von Wikipedia gelangen. Wenn das Aussehen eines Eintrages letzten Endes davon abhängt, welcher Autor seine Sicht der Dinge mit welchem Grad an Fanatismus verteidigt, ist Skepsis angebracht.
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Geile Verarsche
zeitungsdieb, 10:41h
Gleich mehrere Agenturen meldeten gestern das bevorstehende Ende der nervigen Werbekampagne „Geiz ist geil“. Fünf Jahre lang – wie schnell die Zeit doch vergeht, trotz der psychischen Pein hätte ich nie geglaubt, dass diese werbliche Geilheit ein halbes Jahrzehnt angedauert hat – versuchte die Media-Saturn-Holding ihren Kunden einzubläuen, dass Geiz geil sei und dass der sich daraus ergebende Triebstau am besten in einem der mehr als 160 europaweit betriebenen Saturnmärkte abzureagieren sei. Genauso gut oder schlecht wären die werbegläubigen Kunden übrigens auch bei dem Ich-bin-doch-nicht-blöd-saubillig-und-noch-viel-mehr-Mediamarkt aufgehoben, denn schließlich gehören beide Ketten unter das Dach der Media-Saturn-Holding, die wiederum Teil der Metro-Gruppe (u.a. Makro, Galeria-Kaufhof, real,-, Adler Modemärkte, Pelikan) ist.
Aber kommen wir zum Geiz zurück, der ja irgendwie geil sein soll. Beim Stichwort „geil“ muss ich mit schöner Regelmäßigkeit an eine mehr als 30 Jahre zurückliegende Deutschstunde denken. Auf die Frage nach der Beziehung zwischen Gretchen und Dr. Faust beglückte der „lange Hänsel“ die zunächst erstarrte, dann fröhlich gröhlende Abiturklasse mit seinem zur Legende gewordenen Spruch „Die war doch spitz wie ä Waggon Sensen“.
Die regelmäßigen Leser meines Tagebuches wissen, dass ich in aller Regel etwas um die Ecke denke. „Spitz“, das sagte man als braver Schüler damals, weil doch das Wort „triebhaft“ gar zu sperrig und das Attribut „geil“ allzu verrucht geklungen hätten.
Geil, das steht heute laut Duden „jugendsprachlich für toll“. Hmmm. Folglich war Geiz in Deutschland und Umgebung fünf Jahre lang toll, nun soll er es nicht mehr sein. Statt dessen setzen die Bewohner des Planeten der Kistenschieber nun ihre an Anteil am 500-Millionen-Euro-Werbeetat der Media-Saturn-Gruppe dafür ein, dass auch der letzte Depp seine geizige Geilheit vergisst und nun in ein Wechselbad der Gefühle stürzt: „Wir lieben Technik! Wir hassen teuer!“
Begründet wird der Sinneswandel mit dem Wandel des Zeitgeistes. „Als die Kampagne vor fünf Jahren gestartet wurde, war die deutsche Wirtschaft in einer völlig anderen Verfassung. In schwierigen Zeiten hat der Kunde zuerst auf den Preis geschaut“, diktierte Roland Weise, der Geschäftsführer der Media-Saturn-Holding, kürzlich aufmerksamen Journalisten in die Blöcke. Zudem hat die Gesellschaft für Konsumforschung festgestellt, dass der preisorientierte Einkauf seinen Zenit überschritten hat, Um 2005, so die Marktorakel, sei der Höhepunkt erreicht gewesen. Nun ist es mit Höhepunkten, von denen man erst Jahre später weiß, dass es welche waren, immer so eine Sache. Aber die Erinnerung verklärt ja manches.
Aber zurück zu Mutter Metros Elektroläden. Es hat sich ja mittlerweile bei vielen Kunden herumgesprochen, dass die alles andere als die Billigheimer der Branche sind. Wer keines der Lockvogelangebote, sondern ein ganz bestimmtes Gerät kaufen wollte, fand das im Fachhandel zumeist preisgünstiger. Außerdem konnte er sich dort von Verkäufern (jaja, auch –innen) beraten lassen, die ihren Job verstehen und nicht nur Werbespruchvorleser sind. Na gut, die bei den Metrokindern aggressiv beworbene, obersuperdupergeiiiile Digitalknipse mit ihren gefühlten Einskomma-und-noch-viel-mehr Megazwickseln erhielt der geneigte Kunde im Fachhandel nicht. „So’n Schrott kommt mir nicht ins Regal“, erfuhr der Kunde vom empörten Fachmann. „Der Mist war doch schon vor fünf Jahren veraltet.“ Schluck.
Vorsicht ist also angebracht, wenn geizgeilen Werbeschwafler vorgeben, sich zum Stichtag in technikliebende Teuerhasser zu verwandeln. Wer einmal festgestellt hat, dass es sich mit der Dummheit und Gutgläubigkeit vermeintlich mündiger Kunden gut leben lässt, der wird sich doch nicht um 180 Grad drehen, sondern weiterhin das tun, was gute Gewinne bringt: die Kunden verarschen. Geil.
Aber kommen wir zum Geiz zurück, der ja irgendwie geil sein soll. Beim Stichwort „geil“ muss ich mit schöner Regelmäßigkeit an eine mehr als 30 Jahre zurückliegende Deutschstunde denken. Auf die Frage nach der Beziehung zwischen Gretchen und Dr. Faust beglückte der „lange Hänsel“ die zunächst erstarrte, dann fröhlich gröhlende Abiturklasse mit seinem zur Legende gewordenen Spruch „Die war doch spitz wie ä Waggon Sensen“.
Die regelmäßigen Leser meines Tagebuches wissen, dass ich in aller Regel etwas um die Ecke denke. „Spitz“, das sagte man als braver Schüler damals, weil doch das Wort „triebhaft“ gar zu sperrig und das Attribut „geil“ allzu verrucht geklungen hätten.
Geil, das steht heute laut Duden „jugendsprachlich für toll“. Hmmm. Folglich war Geiz in Deutschland und Umgebung fünf Jahre lang toll, nun soll er es nicht mehr sein. Statt dessen setzen die Bewohner des Planeten der Kistenschieber nun ihre an Anteil am 500-Millionen-Euro-Werbeetat der Media-Saturn-Gruppe dafür ein, dass auch der letzte Depp seine geizige Geilheit vergisst und nun in ein Wechselbad der Gefühle stürzt: „Wir lieben Technik! Wir hassen teuer!“
Begründet wird der Sinneswandel mit dem Wandel des Zeitgeistes. „Als die Kampagne vor fünf Jahren gestartet wurde, war die deutsche Wirtschaft in einer völlig anderen Verfassung. In schwierigen Zeiten hat der Kunde zuerst auf den Preis geschaut“, diktierte Roland Weise, der Geschäftsführer der Media-Saturn-Holding, kürzlich aufmerksamen Journalisten in die Blöcke. Zudem hat die Gesellschaft für Konsumforschung festgestellt, dass der preisorientierte Einkauf seinen Zenit überschritten hat, Um 2005, so die Marktorakel, sei der Höhepunkt erreicht gewesen. Nun ist es mit Höhepunkten, von denen man erst Jahre später weiß, dass es welche waren, immer so eine Sache. Aber die Erinnerung verklärt ja manches.
Aber zurück zu Mutter Metros Elektroläden. Es hat sich ja mittlerweile bei vielen Kunden herumgesprochen, dass die alles andere als die Billigheimer der Branche sind. Wer keines der Lockvogelangebote, sondern ein ganz bestimmtes Gerät kaufen wollte, fand das im Fachhandel zumeist preisgünstiger. Außerdem konnte er sich dort von Verkäufern (jaja, auch –innen) beraten lassen, die ihren Job verstehen und nicht nur Werbespruchvorleser sind. Na gut, die bei den Metrokindern aggressiv beworbene, obersuperdupergeiiiile Digitalknipse mit ihren gefühlten Einskomma-und-noch-viel-mehr Megazwickseln erhielt der geneigte Kunde im Fachhandel nicht. „So’n Schrott kommt mir nicht ins Regal“, erfuhr der Kunde vom empörten Fachmann. „Der Mist war doch schon vor fünf Jahren veraltet.“ Schluck.
Vorsicht ist also angebracht, wenn geizgeilen Werbeschwafler vorgeben, sich zum Stichtag in technikliebende Teuerhasser zu verwandeln. Wer einmal festgestellt hat, dass es sich mit der Dummheit und Gutgläubigkeit vermeintlich mündiger Kunden gut leben lässt, der wird sich doch nicht um 180 Grad drehen, sondern weiterhin das tun, was gute Gewinne bringt: die Kunden verarschen. Geil.
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