Montag, 12. Oktober 2009
Herz statt HiTech. Oder: undankbare Gedanken nach einem realsatirischen Festmahl
Wenn man zu einem „Feschtle“ – vulgo: kleines Fest – eingeladen wird, ist das schön. Schließlich gibt es Speis’ und Trank und nette Unterhaltung; oder zumindest sollte es das. Dieses Vergnügen erwartete mich am vergangenen Wochenende. Die Voraussetzungen für einen genüsslichen Abend waren eigentlich gut: Die Einlader bewohnen ein Haus der gehobenen Preisklasse in besserer Lage, ausgestattet mit einer Küche der noch gehobeneren Preisklasse samt allerlei oberfeiner Technik und setzen – soviel weiß ich von früheren Anlässen – für ihre „Feschtles“ ausschließlich Zutaten ein, welche einer ebenfalls deutlich gehobenen Kategorie zuzuordnen sind.
Um es kurz zu machen: Wäre ich nicht durch frühere Veranstaltungen im selben Rahmen vorgewarnt gewesen, hätte ich sicher eine heftige Enttäuschung verspürt. So war ich im Bilde und hielt mich an die eine oder andere nicht zu verderbende Vorspeise, statt knurrenden Magens aufs Hauptgericht zu warten. Und auch die Kürbissuppe war, obgleich nicht inspiriert zubereitet, so doch zumindest erträglich. Trotz der Jakobsmuschel. Wenn die Dinger halt weg mussten ...
Am Hefeweizen nippend, schaute ich dem Braten zu, der im exklusiven Ofen vor sich hin garte, natürlich per fest installiertem Bratenthermometer permanent kerntemperaturüberwacht. Als dieses Messinstrument die gewünschte 64 Grad meldete, wurden feine Brokkoliröschen dem schonenden Dampfgarer anvertraut und irgendwann gab es den Hauptgang auf die vorgewärmten Teller.
Das kulinarische Erlebnis lässt sich in gute und schlechte Nachrichten fassen. Die gute Nachricht: Das sauber geschnittene Fleisch war perfekt gegart, der edle Brocken zeigte im Anschnitt genau den Hauch von Röte, der Gourmets verzückt grunzen lässt.
Die schlechten Nachrichten waren leider in der Überzahl und ergossen sich auf mich beim ersten Probieren: Trotz des elektronischen Overkills und der noblen Küchenausstattung war der Hauptgang allenfalls lauwarm und weitestgehend geschmackfrei.
Unfreiwilliger Höhepunkt des aufwändig inszenierten Kulinarmassakers war für mich der vermeintlich schonend dampfgegarte Brokkoli, der die Konsistenz von Brühreis aufwies und auch so ähnlich schmeckte – nämlich nach nichts, auf alle Fälle nicht nach Brokkoli.
Da ich im Vorfeld derartiger „Feschtles“ zumeist auf Friedenswahrung gebrieft werde, verzichtete ich auf Kommentare zum Ausmaß der Genussexplosion ebenso wie auf den feilgebotenen Nachschlag und das Dessert. Weil: Schlimmer geht bekanntlich immer. Und auch an Muffins kann man viel verderben. Schließlich muss ich ja in dieser Woche wieder arbeiten.
Die essensbegleitende Konversation hätte durchaus das Zeug zur Realsatire. Die Gastgeberin lobte ihren Göttergatten für das Mahl und versuchte, eine verbale Lobeslaola dafür zu inszenieren, dass dieser den Tag in der Küche zugebracht hatte. Meinen Gedanken, dass er diese Zeit sinnvoller hätte nutzen können, behielt ich für mich.
So wie viele andere Gedanken an diesem Abend. Das war nicht etwa einer Redehemmung geschuldet, sondern der psychischen Verfassung der Gastgeberin: Den Namen der Krankheit kenne ich nicht, sie äußert sich aber darin, dass Fragen nur zu dem Zweck gestellt werden, sie auch gleich selbst zu beantworten und über vermeintliche, eigene Bonmots auch noch selbst zu lachen. Da ich nicht wusste, ob es sich dabei um einen neuen Therapieansatz oder nur eine Art von Verbalmasturbation handelte, schwieg ich und genoss das bizarre Schauspiel. Für solcherart Unterhaltung muss man ansonsten Fernsehgebühren zahlen.

Auf der Heimfahrt bewegten mich vor allem zwei Gedanken.
Zum einen grübelte ich über Vorratsausreden nach, um mich von künftigen „Feschtles“ befreien zu können.
Zum anderen lobte ich die unerfindlichen Wege des Schicksals, die mich mit einer Ehefrau gesegnet haben, mit der man sich angenehm unterhalten kann und die zu allem Glück eine exzellente Köchin ist. Auch ohne Nobelküche samt Bratenonlineüberwachung, dafür aber mit der notwendigen Portion „Herz“ ...

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