Montag, 25. August 2008
Ein Brief von Stasi 2.0 Oder: Wann muss ich zum Tätowieren?
zeitungsdieb, 15:48h
Am Wochenende fischte ich aus meinem u.a. einen grauen Infopost-Umschlag. Normalerweise landet Infopost in meiner Altpapierkiste, wo sie immerhin für 5 Cent pro Kilogramm gut ist. Diesem Brief blieb dieses Schicksal jedoch erspart, denn als Absender gab sich das Bundeszentralamt für Steuern zu erkennen. Kundige Leser meines kleinen Tagebuches wissen sicher, welchen Inhalt mir diese Infopost bescherte: Die allmächtige Behörde informierte mich über die „Zuteilung der Identifikationsnummer nach § 139b der Abgabenordnung“. Oder – anders gesagt: Herzlich willkommen in der Wunderwelt von Stasi 2.0!
Bereits die im Betreff enthaltene Formulierung „Zuteilung“ ist Demagogie vom Allerfeinsten. Zugeteilt wird nach gängigem Sprachverständnis etwas Begehrtes, ein Artikel, bei dem die Nachfrage das Angebot übersteigt. Zugeteilt wurden UMTS-Lizenzen genauso wie Volksaktien, aber das ist eine andere Geschichte.
Nun denn, die Behörde hat mir eine Persönliche Informationsnummer, die ich gar nicht wollte, zugeteilt. Für den Fall, dass ich zusätzliche Informationen benötige, verweist das behördliche Schreiben auf www.identifikationsmerkmal.de
Inhaber dieser Adresse ist übrigens das Bundesministerium der Finanzen mit Sitz in der Berliner Wilhelmstraße. Dass diese Adresse bei dem einen oder anderen geschichtsinteressierten Leser meines politisch nicht immer korrekten Tagebuches womöglich unangenehme Assoziationen provoziert, ist natürlich reiner Zufall und hat ganz bestimmt nichts damit zu tun, dass die Persönliche Identifikationsnummer – auf o.g. HP ist von Steuer-ID die Rede – ein direkter Nachkomme der 1944 auf Lochkartenbasis eingeführten Reichspersonalnummer ist.
Obwohl, gewisse Vergleiche drängen sich auf. Zwischen der Reichspersonalnummer und der Steuer-ID gibt es zwei wesentliche Unterschiede: Erstere hatte – genau wie die in der DDR ab 1970 gültige Personenkennzahl – zwölf Stellen, die Steuer-ID nur elf. Zweiter Unterschied: Die zwölfstelligen Nummern gaben unverschlüsselt Geburtsdatum und Geschlecht des Nummernträgers preis, das elfstellige System der Neuzeit nutzt nur demjenigen etwas, der Zugriff auf das Register des Bundeszentralamtes für Steuern hat. Dieser „Katalog“ macht aus der Ziffernfolge wieder einen Menschen mit Adresse und persönlichen Daten.
Soweit die Unterschiede. Viel deutlicher sind hingegen die Gemeinsamkeiten zwischen einst und jetzt. Alle drei Systeme dienen der lückenlosen Erfassung und Kontrolle der innerhalb der Staatsgrenzen lebenden Menschen (das neue System bezieht sogar tote Bürger ein, denn die Daten bleiben nach dem letzten Schnaufer eines Steuerbürgers bis zu 20 Jahre gespeichert). Ein vergleichbares Zentralregister hatten die Nazis in Märkisch-Rietz bei Berlin, die DDR betrieb ihre ab 1984 voll funktionsfähige Datenbank in Berlin-Biesdorf.
Die elfstellige Neuauflage von Reichspersonalnummer und PKZ ist für mich ganz klar ein Fall von „Stasi 2.0“. Ein Gutachten der TU Berlin (www.ig.cs.tu-berlin.de/oldstatic/w2003/ir1/uebref/BrandtEtAl-Gutachten-G1-022004.pdf) macht erhebliche Bedenken gegen die heimliche PKZ-Einführung deutlich. Wer bei dieser Lektüre nicht ins Grübeln kommt, der kann mich gern über einige „meiner Erfahrungen“ mit dem PKZ-System fragen.
Niemand sollte so blauäugig sein, den vollmundigen Sprüchen von Politiker zu glauben, die da von alleiniger Verwendung im Sinne der Abgabenordnung schwadronieren und über die 100-prozentige Einhaltung aller Datenschutzvorgaben schwafeln. Was technisch machbar ist, wir gemacht – spätestens dann, wenn Wolfgang Schäuble wieder einmal den Untergang der abendländischen Kultur heraufbeschworen hat. Spätestens dann, wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen worden sind, wahrscheinlich aber schon viel eher.
Ach ja, um nicht nur zu Meckern: Das Schreiben des Bundeszentralamtes für Steuern hat mich auch positiv überrascht. Es kam nicht ganz so imperial daher wie die meisten anderen Behördenfürze. Keine Ausrufungszeichen, wenig Fettdruck und allein auf der ersten Seite viermal das Wort „bitte“ und einmal „gebeten“. Außerdem hat der Große Bruder vom Amt darauf verzichtet, mir für den Fall, dass ich das Schreiben einfach meinem Häcksler zuführe, auf rechtliche Konsequenzen anzudrohen.
Und was mich noch überrascht hat: Nirgendwo ist ein Termin genannt, zu dem ich mich zwecks Tätowierung meiner ID in die Nackenhaut sowie Einbringung eines ID-Chips in den Oberarm einzufinden habe. Weder mit noch ohne „bitte“. Aber das kommt noch. Da bin ich mir ziemlich sicher. Auf Menschen vom Schlag eines Wolfgang Schäuble ist Verlass - andere dürfen auch nicht Bundesinnenminister werden.
Bereits die im Betreff enthaltene Formulierung „Zuteilung“ ist Demagogie vom Allerfeinsten. Zugeteilt wird nach gängigem Sprachverständnis etwas Begehrtes, ein Artikel, bei dem die Nachfrage das Angebot übersteigt. Zugeteilt wurden UMTS-Lizenzen genauso wie Volksaktien, aber das ist eine andere Geschichte.
Nun denn, die Behörde hat mir eine Persönliche Informationsnummer, die ich gar nicht wollte, zugeteilt. Für den Fall, dass ich zusätzliche Informationen benötige, verweist das behördliche Schreiben auf www.identifikationsmerkmal.de
Inhaber dieser Adresse ist übrigens das Bundesministerium der Finanzen mit Sitz in der Berliner Wilhelmstraße. Dass diese Adresse bei dem einen oder anderen geschichtsinteressierten Leser meines politisch nicht immer korrekten Tagebuches womöglich unangenehme Assoziationen provoziert, ist natürlich reiner Zufall und hat ganz bestimmt nichts damit zu tun, dass die Persönliche Identifikationsnummer – auf o.g. HP ist von Steuer-ID die Rede – ein direkter Nachkomme der 1944 auf Lochkartenbasis eingeführten Reichspersonalnummer ist.
Obwohl, gewisse Vergleiche drängen sich auf. Zwischen der Reichspersonalnummer und der Steuer-ID gibt es zwei wesentliche Unterschiede: Erstere hatte – genau wie die in der DDR ab 1970 gültige Personenkennzahl – zwölf Stellen, die Steuer-ID nur elf. Zweiter Unterschied: Die zwölfstelligen Nummern gaben unverschlüsselt Geburtsdatum und Geschlecht des Nummernträgers preis, das elfstellige System der Neuzeit nutzt nur demjenigen etwas, der Zugriff auf das Register des Bundeszentralamtes für Steuern hat. Dieser „Katalog“ macht aus der Ziffernfolge wieder einen Menschen mit Adresse und persönlichen Daten.
Soweit die Unterschiede. Viel deutlicher sind hingegen die Gemeinsamkeiten zwischen einst und jetzt. Alle drei Systeme dienen der lückenlosen Erfassung und Kontrolle der innerhalb der Staatsgrenzen lebenden Menschen (das neue System bezieht sogar tote Bürger ein, denn die Daten bleiben nach dem letzten Schnaufer eines Steuerbürgers bis zu 20 Jahre gespeichert). Ein vergleichbares Zentralregister hatten die Nazis in Märkisch-Rietz bei Berlin, die DDR betrieb ihre ab 1984 voll funktionsfähige Datenbank in Berlin-Biesdorf.
Die elfstellige Neuauflage von Reichspersonalnummer und PKZ ist für mich ganz klar ein Fall von „Stasi 2.0“. Ein Gutachten der TU Berlin (www.ig.cs.tu-berlin.de/oldstatic/w2003/ir1/uebref/BrandtEtAl-Gutachten-G1-022004.pdf) macht erhebliche Bedenken gegen die heimliche PKZ-Einführung deutlich. Wer bei dieser Lektüre nicht ins Grübeln kommt, der kann mich gern über einige „meiner Erfahrungen“ mit dem PKZ-System fragen.
Niemand sollte so blauäugig sein, den vollmundigen Sprüchen von Politiker zu glauben, die da von alleiniger Verwendung im Sinne der Abgabenordnung schwadronieren und über die 100-prozentige Einhaltung aller Datenschutzvorgaben schwafeln. Was technisch machbar ist, wir gemacht – spätestens dann, wenn Wolfgang Schäuble wieder einmal den Untergang der abendländischen Kultur heraufbeschworen hat. Spätestens dann, wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen worden sind, wahrscheinlich aber schon viel eher.
Ach ja, um nicht nur zu Meckern: Das Schreiben des Bundeszentralamtes für Steuern hat mich auch positiv überrascht. Es kam nicht ganz so imperial daher wie die meisten anderen Behördenfürze. Keine Ausrufungszeichen, wenig Fettdruck und allein auf der ersten Seite viermal das Wort „bitte“ und einmal „gebeten“. Außerdem hat der Große Bruder vom Amt darauf verzichtet, mir für den Fall, dass ich das Schreiben einfach meinem Häcksler zuführe, auf rechtliche Konsequenzen anzudrohen.
Und was mich noch überrascht hat: Nirgendwo ist ein Termin genannt, zu dem ich mich zwecks Tätowierung meiner ID in die Nackenhaut sowie Einbringung eines ID-Chips in den Oberarm einzufinden habe. Weder mit noch ohne „bitte“. Aber das kommt noch. Da bin ich mir ziemlich sicher. Auf Menschen vom Schlag eines Wolfgang Schäuble ist Verlass - andere dürfen auch nicht Bundesinnenminister werden.
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jean stubenzweig,
Donnerstag, 28. August 2008, 10:48
Infopost?
Auch noch als Infopost versandt? Nicht nur, daß solche bei mir grundsätzlich im Müll landet, sondern jeder kann ...
Ich mag's nicht glauben.
Ich mag's nicht glauben.
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zeitungsdieb,
Donnerstag, 28. August 2008, 11:18
Tja, der Große Bruder beschert uns Unwürdigen immer wieder überraschende Erlebnisse. Das Schreiben mit der Steuer-ID kam im recyclinggrauen DIN-lang Umschlag, als Absender "Bundeszentralamt für Steuern, An der Küppe 1, 53225 Bonn", dazu der Verfügungsvermerk "Wenn Empfänger verzogen, zurück! Wenn unzustellbar, zurück!" und oben rechts der Aufdruck "Infopost Ein Service der Deutschen Post".
Aber man muss auch das Positive sehen: Meine PKZ habe ich in der DDR noch per Postkarte erhalten.
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Aber man muss auch das Positive sehen: Meine PKZ habe ich in der DDR noch per Postkarte erhalten.
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