Montag, 14. Mai 2007
Darmstädter Knastmarathon: Hinter Gittern für ein neues Leben laufen
Eine Anmerkung vorweg: Im folgenden Text geht's um den Knastmarathon 2007. Die 2008er Auflage findet Ihr hier: http://zeitungsdieb.blogger.de/stories/1159474/

Muttertag 2007. Statt meinem Mütterlein Blümchen zu übergeben, zog’s mich zu einem Marathon nach Darmstadt. Gelaufen wurde hinter den stacheldrahtbewehrten Mauern der dortigen JVA. Pervers? Nicht wirklich, aber doch hinreichend verrückt, um mich bereits im Dezember 2006 dafür zu begeistern, obwohl am selben Wochenende in Basel die Möglichkeit zum 24-h-Kilometerfressen bestanden hätte.
Als Sachse, der die hessischen Lokalmedien nicht wirklich konsumiert, wusste ich nichts von den Hintergründen des Laufes. Die erfuhr ich nach dem Einchecken in der JVA. Bei der Arbeit mit den Strafgefangenen war die Idee geboren wurden, mit interessierten Insassen der JVA für einen Marathon zu trainieren. Dieser musste naturgemäß hinter Gittern stattfinden, da den potenziellen Teilnehmern aus naheliegenden Gründen das Verlassen der JVA nicht möglich ist.
Sechs Monate wurde auf den asphaltierten Straßen hinter der Mauer trainiert, wurden Ausdauer- und Tempoeinheiten, ja sogar die ungeliebte Gymnastik, absolviert.
Um den 20 „Knackis“ bei ihren 24 Runden a’ 1750 Meter richtiges Marathonflair zu bieten, wurde hinter Gittern eine Veranstaltung organisiert, die den Vergleich mit „richtigen“ Marathons nicht scheuen muss. Superservice, eine große Getränkeauswahl (nur das Bier war der Hausordnung zum Opfer gefallen, Kaffee, Kuchen, vegetarischer Eintopf, belegte Brötchen – alles zum Nulltarif, im Ziel eine Medaille und sogar Funktionsshirts für die Finisher – da bleiben selbst eingefleischten Nörglern die Worte im Hals stecken.
Durchweg sehenswert die Leistungen der mitlaufenden Gefangenen, ganz gleich, ob sie den Marathon in einer Zeit von knapp unter 3:30, ca. 5:30 oder „nur“ als Halbmarathon finishten. Wieder einmal wurde aus gutem Grund an Emil Zatopeks Ausspruch „Willst Du laufen, lauf eine Meile, willst Du ein neues Leben beginnen, lauf einen Marathon“ erinnert.
Hoffentlich ist der Darmstädter Knastmarathon für möglichst viele der „internen Teilnehmer“ der Beginn eines neuen Lebens. Die ersten Schritte dazu haben sie in den vergangenen sechs Monaten auf alle Fälle absolviert.
Größtes Lob sei auch an die Adresse der Anstaltsleitung und der Mitarbeiter der JVA gerichtet. Ihnen ist es zu verdanken, dass der Knastmarathon aller Skepsis zum Trotz zu einem wirklichen Erfolg wurde. Mit Dienst nach Vorschrift hätte das Projekt sicher nicht realisiert werden können.
Bei der nächsten Auflage bin ich wieder hinter Gittern,
der Zeitungsdieb.

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