Dienstag, 2. Oktober 2007
Die Handys kommen - oder: der Niedergang
Jaja, den einen oder anderen gebildeten Mitmenschen höre ich jetzt schon säuseln: Handy, englischer Plural, y wird zum ie, so wie bei Babies. Ohne den Lehrer geben zu wollen: Handy ist ein deutsches Wort, sozusagen ein in vorauseilendem Gehorsam gebildetes Pseudofremdwort, das auch als solches, nämlich deutschdämliches, zu behandeln ist.
Aber zur Sache: Zu meinem Broterwerb gehört die redaktionelle Bearbeitung und graphische Gestaltung von Zeitungen & Zeitschriften, insbesondere von Kundenmagazinen. Längst hat Pisa diese Produkte erreicht. Kaum zu glauben, welchen Niedergang sprachlicher Kultur ich beinahe täglich erlebe. Nur zur Klarstellung: Niemand muss ein Dichterfürst sein oder seinen Bericht über eine Veranstaltung in feinster germanistischer Güte abliefern. Aber elementare Kenntnisse deutscher Rechtschreibung und sprachlicher Logik gehören aus meiner Sicht schon zu den Grundfertigkeiten, die ein Mensch nach erfolgreichem Abschluss (!) einer zehnjährigen Schulzeit beherrschen sollte. Die pfiffigeren unter den Unwissenden scheinen sich ihrer Lücken zumindest ein wenig bewusst zu sein ... und probieren in ihrem Textverarbeitungsprogramm so lange herum, bis die rote Kringellinie verschwindet. Duden? Fehlanzeige.
Aber auch der hilft ja nicht immer. Mir ist eine junge Berufskollegin, stolze Inhaberin eines Abiturs mit Deutschnote 1, besonders beglückend in Erinnerung geblieben. Sie schrieb in einem Artikel vom "Kirchbaum" und dessen roten Früchten. Den kritischen Hinweis zur Verwendung eines handelsüblichen Nachschlagewerkes zur deutschen Rechtschreibung vermochte sie nicht nachzuvollziehen. "Ich habe ja gesucht, aber Kirchbaum steht nicht drin, da gibt's nur Kirche, Kirchenchor, Kirchturm und sowas ..." Diese Episode ist nicht erfunden.
Aber ich wollte ja über Handys schreiben. Diese nützlichen Geräte haben die Arbeit vieler Journalisten revolutioniert. Und da sie sich nicht nur als Quatschmaschinen, sondern auch als obertollesupergeile und vor allem coole Kameras verwenden lassen, landen seit einiger Zeit auch Handyfotos zur Illustration von Berichten etc. in meinem Posteingang.
Sollte es tatsächlich eines Beweises für den Niedergang der Industriestaaten bedurft haben, die Handyfotos liefern ihn. Im blinden Vertrauen auf Marketingtrommelei und Megapixel wird ohne Sinn und Verstand abgelichtet, was vor die hosenknopfgroße, dreckverschmierte Kunststofflinse kommt. Und als wären all die Weisheiten vergangener Fotografengenerationen aus der kollektiven Erinnerung getilgt worden, als hättes es Begriffe wie Diagonale, Tessar, available light, indirekter Blitz oder Vordergrund und Hintergrund nie gegeben, ergießen sich Bildchen in meinen Posteingang, die besser nie aufgenommen worden wären.
Doch die Handyknipsbildchen sind nur die Spitze eines Eisberges, der schon seit Jahren unterwegs ist. In der Dresdner Hütte auf dem Stubaigletscher hängen die Konterfeis früherer und aktueller Vorstände bzw. Präsidenten der Dresdner Sektion des Deutschen Alpenvereins. Was gibt es dort für Portraits zu bestaunen: Sorgsam ausgeleuchtete und gerahmte Schwarzweißaufnahmen zeigen Gerichtspräsidenten im feinen Zwirn, geschniegelt und gebügelt im Wissen um die Bedeutung des Augenblicks, da der Herr Photograph nach langen Vorbereitungsarbeiten den Objektivdeckel von seiner Kamera entfernte.
Welch Niedergang offenbart sich da bei Betrachtung der jüngeren Abbildungen: Farbstichige, unscharfe, verblichene Farbfotos, lässig dahingefläzte Vereinsvorsitzende im faltigen Shirt bilden einen schwerzhaften Kontrast zu den ehrwürdigen Herren vergangener Jahrzehnte. Und schon bald wird wohl der erste Präsident mit weitwinkelverzeichneter Knollennase und gut erkennbarer Tintenstrahlspritzpixelei dieser Galerie einen neuen Tiefpunkt bescheren. Nur gut, dass es den heutigen Knipsbildchen an Lichtechtheit mangelt. Jede Nuance des Verblassens kann das Leid des Betrachters nur lindern.
Noch eine Anmerkung sei mir trotz der schon ausufernden Textlänge gestattet: Seit dem Amoklauf von Erfurt erlaubt das Waffengesetz jungen Erwachsenen den Erwerb von großkalibrigem Sportgerät erst ab einem Alter von 21 Jahren. Eine ähnliche Regel würde ich auch bei fotografischen Gerätschaften befürworten. Digital ist erst ab 26 erlaubt. Wer jünger ist, muss eine Kamera mit Film benutzen. Unzählige Terabyte banalster und vor allem schlechtester Bildchen blieben der Menschheit erspart, wenn jeder "Schuss" - so wie einst - richtig Geld kostet und nach 36 mal "Klick" der Film voll ist.
In Ehren ergraute Fotografen kennen sich noch den Satz, dass das Bild im Kopf entsteht ...

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