Freitag, 19. Oktober 2007
Bahnstreik, Boxer und Pressearbeit (letzteres leider nicht mit B)
Die regelmäßigen Leser dieses kleinen Tagebuches wissen, dass ich meine Brötchen samt Belag als Journalist verdiene. Um genau zu sein, als freier. Was nun wieder mit dem „Freier“ nichts zu tun hat, sondern dem freien Status, den man auch als vogelfrei übersetzen kann. Um – jetzt werde ich mal neudeutsch – in diesem Geschäft „gut aufgestellt zu sein“, muss ich mich einerseits „auf meine Kernkompetenzen besinnen“ und andererseits „horizontal diversifizieren“. Da ich weder Volkswagen noch die Bahn bin, jetzt noch mal auf Deutsch: Schuster, bleib bei Deinem Leisten und sieh zu, dass Du auf vielen Hochzeiten tanzen kannst.
Eine der Hochzeiten, auf denen ich gelegentlich tanze, beinhaltet das Auftreten vor fremden, aber wissbegierigen Menschen. Die sind so nett, dass sie mir den einen oder anderen Kaffee samt Schnittchen spendieren und mir sogar einige Euro zukommen lassen. Dafür erzähle ich diesen Leuten etwas über Pressearbeit, über Kommunikation und Krisen-PR. Für derartige Veranstaltungen benötige ich natürlich Praxisbeispiele, um meiner Fangemeinde darlegen zu können, wo eine gewiefte PR-Truppe ihren Auftraggeber vor bösem Ungemach bewahrt hat und wo eine Sache aus lauter Dusseligkeit so richtig in die Hose gegangen ist.
Den aktuellen Lokführerstreik verfolge ich deshalb mit größtem Interesse. Hier die große Bahn, der mächtige Logistikkonzern. Gewinn im Jahr 2006 stolze 1,68 Mrd. Euro, im Mai 2007 229.000 Mitarbeiter. Dort die kleine Gewerkschaft, die GDL. Zu deren Mitgliedern zählen immerhin 15.500 Triebfahrzeugführer (Wo ist nur der Lokführer geblieben?) per Mai 2007, was einen Marktanteil von immerhin 79 Prozent ausmacht. Insgesamt 62 Prozent des Zugpersonals gehören der GDL an. Ganz nebenbei ist sie ein Traditionsunternehmen: Als sie 1867 gegründet wurde (Damals als Verein Deutscher Lokführer), waren Bsirske und Co. Noch nicht einmal der sprichwörtliche Quark im Schaufenster.
Im Streit zwischen Bahn und GDL waren die Sympathien anfangs relativ eindeutig verteilt. Selbst Ottonormalverbraucher brachte Verständnis für die Gewerkschaft auf, denn schließlich machen das ja alle und warum soll es den Lokführern schlechter gehen als den anderen. Und auch beim ersten Warnstreik blieben die Gewerkschafter die Guten.
Dann handelte die Bahn so, wie die Bahn immer handelt. Sie machte Dampf auf, ruckelte langsam an und kam allmählich in Fahrt. Schließlich ist ein mit 3000 Tonnen beladener Güterzug beim Porsche beim Ampelstart. Aber wenn sie rollt, dann rollt sie. Das gilt auch für die PR-Maschinerie des Staatskonzerns.
Schnell war von den „unverschämten Forderungen“ der GDL die Rede. Mal ehrlich, 40 Prozent sind aber auch üppig. Das begreifen sogar Pisa-Kids, die das für „irgendwie gefühlt ist das’n Haufen Kohle, eine Verdoppelung, ey!“ halten. Davon, dass die Lokführer vorher länger als jede andere Berufsgruppe keine Gehaltserhöhung hatten, redet keiner. Auch nicht davon, dass die 40 Prozent der Spitzenwert sind und dass hier nicht nur von Lokführern die Rede ist, sondern dass die GDL einen Fahrpersonaltarifvertrag anstrebt. Und auch die GDL hat’s nicht wirklich kommuniziert. 1:0 für den Güterzug.

Beim ersten Kurzstreik machte die Bahn etwas, was wohl nur die Bahn machen kann. Sie drückte auf den roten Knopf und nannte das Notfallplan. Die Lokführer waren längst wieder im Dienst, doch die Züge standen weiter, bis der Tag vorüber war. Woanders heißt das Aussperrung, aber die Bahn bestreikte sich selbst. Die Sympathien wackelten, die GDL verpasste es, diesen Punkt zu thematisieren. 2:0 für den Güterzug.

Dann kam die Bahn und bot der GDL satte zehn Prozent. „Nun wird alles gut“, dachte der genervte Bahnnutzer und freute sich. Doch die GDL lehnte ab und rutschte in die böse Ecke. Nur wer sehr, sehr genau hinhörte und sich im Kleingedruckten informierte, entdeckte die Propagandalüge hinter den satten zehn Prozent. Die waren in Wirklichkeit nur viereinhalb, denn Rest soll’s für acht Stunden monatlicher Mehrarbeit geben. Doch selbst bei wohlwollender Addition kommen nur neuneinhalb Prozent raus. Aber mal ehrlich: Die zehn Prozent haben doch (fast) alle deutschen Medienbürger geschluckt. 3:0 für den Güterzug.
Nun kommt die Bahn erst richtig in Fahrt. Als die Lokführer, schon ein wenig desillusioniert, am 18. Oktober Seit’ an Seit’ zum nächsten Streik schreiten, lässt die Bahn eine Personalie platzen. GDL-Chef Manfred Schell hat eine dreiwöchige Kur angetreten, wird bekannt. Sicher, man hat Verständnis dafür, dass der in Ehren ergraute Gewerkschaftsmann seine bereits mehrfach verschobene Kur nun endlich antritt, Gesundheit geht schließlich vor. Aaaaaber in dieser Situation … Ganz nebenbei wird noch bekannt gegeben, dass die GDL ein schwieriger Partner für die Presse ist. Der Kommunikationsabteilung der Bahn, die für sich genommen schon ein größeres Unternehmen ist, hat sie zwei Pressesprecher entgegenzusetzen. Arme GDL. Die wechseln sich zur Zeit ab, denn der lang geplante Jahresurlaub muss weg. Dumm gelaufen. 4:0 für den Güterzug.

Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Sie wird, zum Ärger vieler Bahnkunden und hoffentlich nicht zum großen Schaden der GDL weitergehen. Fest steht schon jetzt, dass sie ein Lehrbeispiel für gute und schlechte Kommunikation darstellt. Fest steht auch, dass PR-Leute etwas von Boxern haben müssen. Wildes Herumgewedele mit den Fäusten und markige Sprüche bringen auf Dauer nichts. Der lucky punch ist selten. Dann schon eher das Agieren eines überlegt-überlegenen Henry Maske. Lauern, abwarten und punkten. Und hat man eine schwache Stelle gefunden, immer wieder drauf. Immer wieder, bis die Augenbraue platzt. Oder, bis der Manfred wegen gesundheitlicher Gründe nicht aus der Kur zurückkommt und seinen Stuhl für den Claus aus Dresden freimacht.

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