Freitag, 16. Januar 2009
KGB-Spitzel als Promi beim Opernball. Oder: Wladimir und der Dankesorden
Am heutigen Freitag findet in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden, konkret in der Semperoper, der vierte Semperopernball statt (www.semperopernball.de) . Wer dabei sein will, darf für 130 Euro eine Flanierkarte erwerben, Logen gibt es zwischen 6.000 und 44.000 Euro, VIP-Tische für 7.000 bis 14.000 Euro.
Der Stargast des Abends muss sich seinen Kopf zum Glück nicht darüber zerbrechen, ob er budgetschonend flaniert oder auch Speis’ und Trank an einem Tisch genießen möchte – der ranghöchste Promi unter den 2.000 Ballgästen erhält seinen Platz gratis. Schließlich sind die Macher des Semperopernballs glücklich, mit Wladimir Putin gleich drei Dinge auf einmal in ihren heiligen Hallen zu wissen: den derzeit mächtigsten Moskoviter, einen lupenreinen Demokraten und den Herren übers russische Erdgas. So ein Fleisch gewordenes Überraschungsei lässt man sich gern etwas kosten, und wenn’s das eigene Gewissen ist.
Schließlich ist Wladimir Putin nicht irgendein Staatsgast, sondern ein Politpromi mit Ortskenntnis. In Dresden war er von 1985 bis 1990 als Offizier des sowjetischen Geheimdienstes KGB tätig. Wenn ich nur wüsste, warum mir gerade jetzt die abgedroschene Krimi-Weisheit einfällt, dass es Verbrecher oft an den Ort ihrer Taten zurückzieht. An Wladimir Putin kann’s jedenfalls nicht liegen, denn der ist einer von den Guten.
Immerhin hat er sich um den arbeitslosen Ex-Kanzler Gerhard Schröder gekümmert und diesem einen Job beschafft, ja sogar beim Kindestransfer soll er die Weichen gestellt haben. Und außerdem ist Wladimir Putin so ein Gutmensch, dass er heute sogar den Sächsischen Dankorden erhält. Wofür eigentlich?
Meine Lokalpostille, die Leipziger Volkszeitung, schreibt zu den Gründen nichts, dafür aber den Orden falsch. Die Sächsische Zeitung (http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=2048624) lässt ihre Leser zumindest wissen, dass es sich wohl irgendwie um Verdienste für den deutsch-russischen Kulturaustausch (das heißt wirklich so, die meinen das nicht als Satire) handelt und berichtet auch, dass die Ehrung durchaus umstritten ist.
Auf alle Fälle wird es ganz tollen und absolut von Herzen kommenden Applaus geben, denn neben viel echter und gefühlter Prominenz werden alle bisherigen sächsischen Ministerpräsidenten inklusive König Kurt dem einstigen Spion ihre Aufwartung machen.
Auf der Gästeliste steht übrigens auch DJ Ötzi. Gerüchten zufolge soll er nach der Ordensverleihung durch den aktuellen sächsischen Ministerpräsidenten, Stanislaw Tillich, seinen Hit "Ein Stern, der Deinen Namen trägt" zu Gehör bringen. Gerüchte eben ...

Dieses Ehrungsbrimborium sollte den ehemaligen Mitarbeiten – offiziell wie inoffiziell – des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR Mut machen, dass auch ihnen noch die Anerkennung aus der Hand des sächsischen Landesfürsten zuteil werden wird. Sicher, 20 Jahre nach der Wende haben es all die Gummiohren, Lauscher und Spitzel und selbst einstige MfS-Hausmeister noch immer schwer, einen Fuß in den öffentlichen Dienst zu bekommen. Aber das muss ja nicht so bleiben, das Beispiel des Wladimir Putin beweist es.

PS.: Einige sehr schöne Gedanken zur Karriere eines in Dresden tätigen KGB-Offiziers finden sich in der sehr lesenswerten CIA-Saga „Die Company“. Guckst Du hier: http://www.amazon.de/Die-Company-Robert-Littell/dp/3426617978/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books&qid=1232093520&sr=1-1

Nachtrag: Inzwischen hat auch die Leipziger Volkszeitung bemerkt, dass es mit der Ehrung des Ex-KGBlers Putin so eine Sache ist und einige kritische Stimmen veröffentlicht. Bravo, Kollegen!

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220 minus Lebensalter. Oder: Schreibende Deppen am Werk.
Meine Lokalpostille hat heute unter dem Titel "Top in Form" wieder einmal einen Frachter voller Anzeigen auf die Reise zur geneigten, täglich abnehmenden Leserschaft geschicht. Im Klartext: Ein sogenanntes Sonderprodukt, wohlgefüllt mit Anzeigen und PR-Texten, informiert auf 12 Seiten darüber, was zahlende Kunden den geneigten Lesern der Leipziger Volkszeitung empfehlen, damit letztere Fit und Schlank und erstere wirtschaftlich gesund werden. Macht man so, ist gängige Praxis.
Damit besagtes Anzeigenträgerschiff voll wird, haben pfiffige Dienstleister die Lücken zwischen den geldwerten getarnten und ungetarnten Anzeigen noch mit redaktionellem Füllstoff zugeschrieben. Dort findet sich zum Beispiel ein wirklich lesenswerter Text, der unter dem Titel "Überlastung beim Sport vermeiden" über das Pulstraining informiert oder zumindest so tut.
Fazit: 220 minus Alter, max. 80%, min. 65%, so wird trainiert.
Kaum zu glauben, dass es immer noch Idioten gibt, die den Mist mit de 220 minus Alter so unkommentiert verkünden. Aber vielleicht liegt's ja auch nur daran, dass sich kein zahlender Kunde gefunden hat, der einen Ergometertest samt Laktatmessung anbietet.
Aber, da ich ja nicht nur meckern soll: Immerhin wird in besagtem Stück Qualitätsjournalismus auch beschrieben, wie man den Puls misst: 15 Sekunden zählen, dann mal vier nehmen. Applaus!

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