Dienstag, 22. September 2009
Leipziger Gerüchteküche. Oder: Marzin, Tiefensee und viele Dementis.
Zu den unbestrittenen Vorzügen des Älterwerdens gehört erstens, dass es alle trifft und zweitens, dass es den Betroffenen die Chance eröffnet, mit der Zeit einige Erfahrungen zu sammeln. Das muss nicht zur Weisheit führen, aber die eine oder andere Sau, die durchs Dorf getrieben wird und die eine oder andere vermeintliche Neuheit kennt man halt schon und kein sich seinen Teil zu diversen Sensatiönchen und Dementis denken.
Die regelmäßigen Leser dieses kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches wissen, dass ich sie nach solchen Einleitungs-Phrasen nur zu gern mit einem Beispiel aus dem „ächdn Lähm“ (Für Nichtsachen: aus dem wahren, wirklichen Leben) beglücke. Also dann:
In Leipzig gibt es die Leipziger Messe (www.leipziger-messe.de) und selbige bekam in den vergangenen Jahren neben einem wirklich tollen Messegelände auch verschiedene Chefs. Aktuell steht Wolfgang Marzin dem Unternehmen vor.
Seit einigen Wochen wabern im Messe-Glaspalast Gerüchte, dass Wolfgang Marzin trotz eines bis 2014 laufenden Vertrages als GF der Leipziger Messe in Richtung Frankfurt blinzelt. Oder – anders formuliert – der mit 200.000 Euro dotierte Vertrag in Leipzig mag zwar nicht übel sein, aber wenn in Frankfurt 500.000 Euro locken, kann man schon mal schwach werden.
Nur der Vollständigkeit halber: Natürlich wurden alle diesbezüglichen Gerüchte dementiert. Vor allem jenes, das von einem mieses Betriebsklima in den heiligen Messehallen berichtet. Sogar die Betriebsratsspitze widersprach solchen verleugnerischen Behauptungen und lobte das Betriebsklima. Warum muss ich jetzt an VW denken? Hmmm.

Inzwischen waberte es weiter und nun bestätigt auch Wolfgang Marzin, dass es Gespräche mit der Frankfurter Messe gibt. Natürlich sei alles „noch nicht spruchreif“ und er „habe einen Vertrag bis 2014“ und so, aber derlei Fabulierungen sind nicht wirklich bindend. Sagt meine Lebenserfahrung.
Dafür, dass Wolfgang Marzin wohl schon bald seinen Tätigkeitsmittelpunkt in Richtung Frankfurt verlagern wird, sprechen mehrere Anhaltspunkte. Zum einen ist der einstige Chef der Münchner Messe nicht wirklich in Leipzig angekommen. Hartnäckig hält sich das Gerücht vom „Dimido“, d.h. von einem Angestellten, der nur Dienstag-Mittwoch-Donnerstag an seinem Platz und den Rest der Woche irgendwie daheim ist. Natürlich ist an diesem Gerücht nichts, aber auch gar nichts dran, denn es wurde bereits dementiert.
Aber da ich mich vage an die Zeit vor dem Wechsel Marzins nach Leipzig erinnere, weiß ich auch noch um seine Sprüche gegen den hiesigen Messestandort. Da war von einer Kraut- und Rübenmesse die Rede, die sich nicht mit München vergleichen lasse. Hmmm.
Warum ich mir jedoch sehr sicher bin, dass die Ära Marzin in Leipzig nur noch kurz andauern wird, das sind die flott abgefeuerten Worthülsen des stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden der Leipziger Messe, Burkhardt Jung.
Für alle Auswärtigen: Burkhardt Jung ist zugereister Oberbürgermeister der Stadt Leipzig und in der Stadt ungefähr ebenso „verortet“ (schönes neudeutsches Wort) wie Wolfgang Marzin. Jung. Laut „Leipziger Volkszeitung“ http://www.lvz-online.de/aktuell/content/111756.html geht der OBM davon aus, dass (Achtung, Worthülse Nr. 1) auch ohne Marzin „für Kontinuität in der Messe gesorgt ist“. Und nun kommt Worthülse Nr. 2: „Die Gesellschaft ist gut aufgestellt.“ Weil’s so schön ist, Worthülse Nr. 3: „Ich habe volles Vertrauen in die Kompetenz des Messeteams.“
Von Zeit zu Zeit führe ich bei netten, weil gut zahlenden Auftraggebern Workshops zu den Feinheiten und Tücken der deutschen Sprache durch und darf dabei auch ein wenig über die wundersame Welt der Krisen-PR schwadronieren. Zu den absoluten Tophits in meiner Liste der beliebtesten Hohlphrasen gehört „gut aufgestellt“, gefolgt von „Für Kontinuität gesorgt“ und „vollem Vertrauen“.
Wer nähere Erläuterungen zu Sinn und Unsinn solcher Worthülsen erfahren möchte, kann mich gern buchen – Anruf unter 0171/5213650 genügt. Dann erfährt er allerlei Neues und weiß „am Ende des Tages“, wie er in seinem Unternehmen „die Weichen stellen“ muss, damit er „die Zeichen der Zeit“ erkennen und sich den „Herausorderungen der Zukunft“ stellen und mit Wettbewerbern „auf Augenhöhe“ verhandeln kann.

Was mir noch einfällt: Im Zusammenhang mit dem ganz und gar nicht stattfindenden Wechsel von Wolfgang Marzin von der Pleiße an den Main verdichtet sich allmählich das (natürlich inzwischen auch dementierte und folglich haltlose) Gerücht, dass Bundesspatenstichminister Wolfgang Tiefensee der Nachfolger Marzins werden könnte. Trotz aller Dementis sprechen aus meiner Sicht gleich zwei Indizien für diese Spekulation: Zum einen könnte der Sonnenkönig nach der Bundestagswahl Zeit für neue Herausforderungen haben. Zum anderen hat Tiefensee in den vergangenen Jahren eindrucksvoll bewiesen, dass man auch kompetenzfrei große Ämter ausfüllen kann. Zumindest optisch. Und damit wäre er für die Leipziger Messe eine Idealbesetzung, denn (siehe Burkhardt Jung), sie ist „gut aufgestellt“ und verfügt über ein „kompetentes Messeteam“. Noch Fragen?

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