Freitag, 31. Januar 2014
Neujahrsempfangsgedanken. Oder: Antizyklische Freibiergesichter.
Heute ist der 31. Januar. Ein trauriges Datum. Warum, werden sich nun die geneigten LeserInnen meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches fragen. Ganz einfach: Heute endet der erste Monat des Jahres und damit auch die Zeit der Neujahrsempfänge, zumindest der, die nach "unserem" Kalender abgehalten werden.
Ganz ehrlich: Ich bin ein Liebhaber dieser vollkommen überflüssigen Veranstaltungen. Um nicht missverstanden zu werden - ich meine nicht diese allerhöchst offiziellen Empfänge beim bundesteutschen Grüßaugust usw., ich meine die kleinen, weniger feinen, aber sehr unterhaltsamen Empfänge, die im Januar geradezu endemisch über Deutschland hereinbrechen. Die sind lustig, die sind erlebenswert, weil man da eine Menge netter Typen findet.

Da gibt es zum Beispiel die ganz allgemeinen Freibiergesichter. Statistisch gesehen ist das typische Empfangsfreibiergesicht männlich und Ende 60, hat eine lückenhafte Frisur und sowohl eine Gleitsicht- als auch eine Lesebrille. Während erstere für des Tages Müh'n ausreicht (Lesen von Werbebeilagen und Preisschildern, dazwischen ein Blick über den Tisch zu "Muddi" oder zum Fernseher), wird letztere, also das Single-Use-Lesehilfsmittel, zum Studieren von Tageszeitung, Wochenblatt und amtlichen Nachrichten eingesetzt. Dort finden sich nämlich die heißen News, dort kann der emsige Leser erspähen, wer wann wo was für einen Empfang gibt. Einladung? Braucht man nicht, einfach siebeneinhalb Minuten nach Beginn dazustoßen, schon ist man mittendrin. Außerdem muss man dann nicht so lange warten, bis das Geschwätz vorüber und das Büfett eröffnet ist. Wenn's zu schlimm wird, einfach die Hörhilfe ausschalten.
Landratsempfänge sind sehr zu empfehlen, da ist das Catering meist ganz gut. Nachteil: Landkreise haben immer irgendwelche Musikschulen oder so Zeugs, deren SchülerInnen das Kulturprogramm bestreiten ... und das kann dauern. Da sind kleinere Empfänge in örtlichen Rathäusern besser, dort geht es schneller zum Trog. Ein wenig Recherche ist im Vorfeld sinnvoll; schließlich gibt es auch Kommunen in finanziell suboptimaler Verfassung, da wird der Magen nicht voll, ganz zu schweigen vom mitgebrachten Beutel ...

Einen sehr hohen Unterhaltungswert haben für mich allerdings die besonderen Freibiergesichter. Während die allgemeinen sich beim Date einfach den Wanst füllen wollen, sind die besonderen auch darauf bedacht, zu kommunizieren und aufs Bild zu kommen. Aber satt werden wollen sie auch ... und dieser Spagat will gemeistert werden. Kürzlich erlebte ich als Fotograf wieder einmal, mit welcher Virtuosität sich ein ansonsten recht distinguiert daherschauspielender Kommunalpolitiker dieser Herausforderung stellte: Es gab Kultur auf der Ohren, Auszeichnungen und güldenes Wortwerk aus dem Munde des Oberwichtigen. Der Kommunaldarsteller, von Mutti fein bekämmt, bezwirnt und beschuht, hielt aus, lächelte an den richtigen Stellen und stand trotz gelegentlich herabsinkender Augenlider hoch erhobenen Hauptes in der ersten Reihe das applaudierenden Publikums, auf dass die erschienenen Lichtbildkünstler der örtlichen Medien ihn gut ins Bild bekämen. Als der gülden wortwerkende Oberwichtige zu seinen Schlussbemerkungen ansetzte, war der erstreihige Platz des Kommunaldarstellers verwaist. Just in dem Augenblick, als aus dem Munde des Oberwichtigen das erlösende Wort "Büfett" erscholl und 99 Empfangsgäste in den Rührt-Euch-Modus wechselten und ihrem Nachbarn ein "Na, so schlimm war's ja gar nicht zuraunten", hatte der antizyklisch agierende Oberwichtige seinen Teller mit Filets wohlgefüllt, den ersten Fleischbrocken im Maul und drei weitere auf der Gabel. "So geht das, Ihr Verlierer", blitzten seine Augen den Spätfressern zu, die in der Schlange vor den chromglänzenden Futtertrögen ausharrten. Teller auf den Bistrotisch, schnellen Schrittes zum Tresen, Getränke gegriffen und ... das Gefühl der Überlegenheit genießen.

Um sie nicht zu vergessen: Bei so einem Empfang trifft man natürlich auch die ganz normalen Menschen, denen es um die Sache geht, die sich engagieren, für ihr Gemeinwesen einsetzen und irgendwelche Teile ihres Körpers aufreißen. Die sich benehmen, das kulturelle Programm genießen, den Reden zuhören und wie normale Menschen ein Glas trinken und ein (!) Häppchen am Büfett nehmen. Es gibt sie tatsächlich ... aber für solche Langweiler finden Empfänge ja nun wirklich nicht statt.

PS.: Ehe hier Gerüchte aufkommen ... ich habe die Phase der Büfett-Fresserei seit Jahren hinter mir. Freibiergesichtertreffen suche ich praktisch nur noch aus beruflichen Gründen auf, kann ein gewisses masochistisches Vergnügen beim Betrachten der agierenden Darsteller jedoch nicht verhehlen. Mein Essen zahle ich in aller Regel selbst, das gibt mir die Möglichkeit, die Gesellschaft in gewissen Grenzen selbst zu bestimmen. Ok, vor stinkenden, kotzenden und schreienden Blagen am Nachbartisch ist man nie gefeit, aber das ist Geschrei ist ja Zukunftsmusik, hat zumindest der Kommunaldarsteller mal gesagt.

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