Mittwoch, 7. Januar 2009
Alpinski, Physik und die menschliche Dummheit. Oder: Nachunfallgedanken
Der von mir hochgeschätzte Ultraläufer Werner Sonntag hat sich in seiner Laufreport-Kolumne (guckst du hier: http://www.laufreport.de/vermischtes/sonntag/sonntag.htm), ausgehend vom Ski-Unfall des thüringischen Ministerpräsidenten Althaus, mit dem Ski-Massentourismus beschäftigt. Da auch ich mich vor einigen Tagen noch der industrialisierten Alpin-Gaudi hingegeben habe, konnte ich seine äußerst lesenswerten Gedanken gut nachvollziehen – und kann auf einige eigene Ergänzungen beim besten Willen nicht verzichten.
Um es vorweg zu nehmen: Eine Wertung zum Althaus’schen Ski-Unfall werde ich nicht vornehmen. Und: Trotz des Rummels und des mitunter nervigen Wartens und Drängelns an allerlei Liften macht das Schneegerutsche einen Heidenspaß. Noch dazu, wenn man wie ich zwar ein Bewegungsidiot und daher allenfalls mittelmäßiger Fahrer ist, dank des läuferischen Ausdauertrainings aber auf längeren Abfahrten die meisten vermeintlichen Freaks und Jungdynamiker abkochen kann. Dieser Effekt wird immer deutlicher, je weiter der fortschreitet. Oder, anders formuliert: Je später der Tag, desto schlapper die Skifahrer.
Womit wir bei einem generellen Problem angekommen sind: Ein erschreckend großer Teil der Pistennutzer ist praktisch untrainiert und stellt sich pro Winter in einer oder zwei Wochen auf die Hightech-Bretter. Dabei handelt es sich zumeist um Carver, die gutmütig ausgelegt und leicht beherrschbar sind.
Diese an sich löblichen Eigenschaften verführen viele der Gelegenheitsskifahrer zu immer flotterem Fahren und immer waghalsigeren Manövern, die sie angesichts ihrer eingeschränkten technischen Fähigkeiten und Kondition nur unzureichend beherrschen und in ihren Folgen abschätzen können. Der Vergleich zum Auto drängt sich auf: ABS, ESP, Einparkhilfe und all die anderen Wunderdinge bügeln viele Fahrfehler aus, machen aus einem miesen Chauffeur aber keinen Michael Schumacher.
Und während beim Auto Airbag, Knautschzone und andere Helferlein dafür sorgen, dass im E-Fall die Folgen persönlichen Unvermögens – ggf. auch anderer – in Grenzen gehalten werden, erlebt man beim Skifahrern die Wirkung der Physik sehr direkt. Dann knacken schon mal Knochen, dann fließt auch mal Blut.
In seinem o.g. Beitrag schreibt Werner Sonntag, dass Skifahrer durchaus schon bis zu 70 km/h erreichen können. Lieber Werner, in diesem Punkt muss ich Dir widersprechen. Ich hatte in den vergangenen Tagen „mein Garmin“ mit auf der Piste und erreichte trotz betont zurückhaltender Fahrweise locker die „70 Sachen“ – und wurde dabei reichlich überholt. Wer der Beschleunigung freien Lauf lässt, kann ohne große Mühe auf öffentlichen Skipisten die 100er Marke kratzen – ob er diese Geschwindigkeit beherrscht, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Natürlich, Helme und Protektoren können so manchen Crash entschärfen, doch mehr Sicherheit auf der Piste bringen sie nicht. Wenn eine wohlverpackte menschliche Kanonenkugel mit Highspeed in den Wald rauscht, gibt es Bruch. Wenn diese Kugel einen anderen Skifahrer trifft, ist diesem ein Flug ins Spital sicher.
Mir kommt bei diesem Satz eine Parallele zum Zugspitzlauf in den Sinn. Viele Freizeitsportler haben ein hohes Anspruchsdenken und leisten sich eine gefährliche Vollkaskomentalität, beides lässt sie die Eigentverantwortlichkeit aus den Augen verlieren. Beim Unglück an der Zugspitze sind viele Läufer im Bewusstsein der gezahlten Startgebühr ohne Sinn und Verstand und angemessene Kleidung in den Berg gestiegen. Auf den alpinen Pisten ist das nicht anders: „Ich habe einen Urlaub gebucht, ich zahle 160 oder 180 Euro für den Skipass, ich habe die neusten Racecarver, Helm und Protectoren – also muss ich mich um nichts kümmern“, scheinen viele Hilfsrennpiloten zu denken.
Dass gegen diese gefährliche Mixtur aus Dummheit, Selbstüberschätzung und Rücksichtslosigkeit durchaus ein Kraut gewachsen ist, beweisen die oft als „südländisch-lässig“ geschmähten Italiener. Auf den Pisten der Sellaronda habe ich schon mehrfach Carabinieri erlebt, die nicht nur schneidig aussahen, sondern auch knallharten Dienst taten: Kaum in Kraft getreten, wurde vor Jahren die Einhaltung der Helmpflicht für Kinder durch Kontrollen und Strafen durchgesetzt. Geschwindigkeitsmessungen an gefährlichen und entsprechend markierten Pistenabschnitten sind an der Tagesordnung. Und die Skibullen haben sogar den Mut, sich zu nachmittäglicher Stunde mit all zu lustigen Hüttenkunden anzulegen …
Als ich vor einer Woche vom Unfall des Thüringer MP erfuhr, bot ich meinen Ski-Mitfahrern eine Wette darüber an, dass nun all die Verbände und Bedenkenträger in Deutschland eine Verschärfung von Vorschriften bis hin zu generellen Helm- und Wasweißich-Pflicht fordern werden. Das ist tatsächlich eingetreten, aber schlichtweg Unfug.
Wie so oft kommt es darauf an, nicht neue Vorschriften zu erlassen, sondern bestehende (Guckst Du z.B. hier: http://www.sportunterricht.de/ski/regeln.html) durchzusetzen. Nur so können unbelehrbare Idioten gebremst werden.

... comment