Donnerstag, 2. Februar 2012
Splitterparteiführer in Leipzig. Oder: Peinliche Auftritte im 20,4-%-SPD-Blatt
Die Berichterstattung meiner Lokalpostille, der nach eigener Aussage dem Qualitätsjournalismus verpflichteten Leipziger Volkszeitung, ist mitunter etwas ... putzig. Die regelmäßigen LeserInnen meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches wissen das, denn ich habe über die regelmäßigen Verstöße gegen den Pressekodex (guckst Du bei www.presserat.de ) schon einige Male geschrieben. Das betrifft insbesondere die Verquickung der redaktionellen Berichterstattung mit wirtschaftlichen Interessen des Verlages. Wer’s nicht glaubt, gönne sich ein Schnupperabo der LVZ und schaue sich den Holzstapel gründlich an, dann kann er’s nachvollziehen.
Ein schönes Stück Putzigkeit lieferte meine Lokalpostille gestern und heute. Gestern lief in der Onlineausgabe www.lvz.de hier http://www.lvz-online.de/leipzig/citynews/spd-chef-sigmar-gabriel-audienz-beim-papstmaler-und-tour-durch-die-baumwollspinnerei/r-citynews-a-123677.html ein tolles Stück Kleinkunst über den tollen Besuch von spd-Chef Sigmar Gabriel (aka Sigipop aka Moppel) in Leipzig. Dazu zwei Leserkommentare (ehe sie gelöscht werden):

Nino 01.02.2012, 20:38:48
"Arbeiterführer" trifft Papstmaler - bekloppter kann sich die heutige irrationale Gesellschaft echt nicht darstellen. Danke für diesen Artikel !
#2 Kai 02.02.2012, 07:11:16
Wie schön die Welt doch ist. Da zeigt ein Genosse einem anderen Genossen, wie toll doch Leipzig ist. Macht sich auch leichter, als die Probleme anzusprechen, die aus Miss- und Vetternwirtschaft, Gier, Börsengezocke und Unfähigkeit wie eine dunkle Wolke über der Stadt hängen.

Eingeladen hatte der Sachsen-Chef der Splitterpartei, Martin Dulig, beim Rundgang durch die Künstlerkolonie in der alten Leipziger Spinnerei mit von der Partie war der Leipziger OBM Burkhard Jung, alle taten freundlich und machten einen auf künstlerisch-intellektuell.
Es muss wohl bald mal wieder eine Wahl anstehen, war mein erster Gedanke, als ich das schöne Stück Qualitätsjournalismus im Netz sah. Soviel Prominenz einer ehemaligen Volkspartei auf einem Haufen – das kommt sonst nicht vor*.
In der heutigen Holzausgabe der LVZ setzte der Verlag noch einen drauf. Während das gestrige Jubelstück von einer Redakteurin der Online-Redaktion und einer Fotografin abgedrückt worden war, präsentierte meine Lokalpostille heute ein weiteres Stück, verfasst vom Chefreporter der LVZ und einem weiteren Lichtbildkünstler, über den Besuch von Sigipop in der Provinz. Und während es gestern eher künstlerisch-elitär zuging, wurde den Holzmediumskonsumenten heute der volksnahe SPD-Chef präsentiert, der nicht nur Künstler besuchte, sondern auch die Leipziger Buchkinder. Und weil es so schön menschelte, drängten sich sogar noch zwei leibhaftige Leipziger Bundestagsabgeordnete der SPD, der frühere Terrakottaminister Wolfgang Tiefensee sowie Daniela Kolbe (richtig, die mit dem Jobhopping im Tagesrhythmus http://zeitungsdieb.blogger.de/stories/1863609/ ) ins Bild, das doch eigentlich schon mit Sigmar, dem Beleibten, ausgefüllt war. Bei näherem Hinsehen entdeckt man sogar noch den zwergenhaft wirkenden Martin Dulig, der durch eine Lücke späht, die der Gabrielsche BMI im Bild gelassen hat (Da hat der Fotograf Lob verdient, die Komposition hat schon was Klassisches; das war keine Ironie - haste jut jemacht, Wolfgang.).

Nun mögen sich die LeserInnen meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches fragen, was solche eher peinlichen Auftritte abstürzender Politiker in meiner Lokalpostille mit dem Pressekodex zu tun haben. Nur noch mal zur Erinnerung: Über ihr Mutterschiff, den Madsack-Verlag, ist die LVZ zu 20,4 Prozent im Besitz der alten Tante SPD. Und, es fällt mir schwer das zu schreiben, neuerdings spürt man das wieder deutlich. Deutlicher als zu Zeiten eines Hartwig Hochstein oder eines Bernd Hilder (CDU-nah). Und man wird das künftig wohl noch deutlicher spüren ...

* Das mit der Wahl stimmt: 2013 Da will Mister BMI Gabriel wieder was stemmen. Außerdem dürften Wolfgang Tiefensee und Daniela Kolbe, die 2009 beide kein Direktmandat schafften, versuchen, ihren warmen Sitz im Bundestag noch einmal zu retten. Na gut, für verdiente Leute gibt es ja Listenplätze ...

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Amüsant zu lesen, aber ...
...auch interessant, wie sich da jemand in seinem hoffentlich warmen Sesselchen über Menschen lustig macht, die er scheinbar absolut nicht kennt. Bei so viel Weisheit empfehle ich mehr direkte Einmischung - die Politik kann noch ein paar gute Leute brauchen!

Die älteste demokratische Partei in diesem Land, zweitgrößte Fraktion im Bundestag, drittgrößte im sächsischen Landtag, als Splitterpartei zu bezeichnen scheint en vogue und wird vielleicht sogar hämischen Applaus hervorrufen. Aber ist es nicht ein bisschen billig?

Eines wird auf jeden Fall deutlich: Der Autor liest selten LVZ. Mir ist noch keine regelmäßige Leserin untergekommen, die der LVZ eine besondere Nähe zur SPD unterstellt hätte - und im Übrigen, dass Hartwig Hochstein SPD-Mitglied war/ist wäre mir neu.

Zu guter Letzt, man mag es glauben oder nicht: Das Investment der SPD-Medienholding in Madsack ist rein strategisch, auf Inhalte wird kein Einfluss genommen, egal wer sich das ab und an wünschen mag. Mit 20,4% Anteil an einer Holding Einfluss auf die tagespolitische Berichterstattung herbeizureden - herzlichen Glückwunsch zu der regen Fantasie!

Dirk Panter, Generalsekretär der sächsischen SPD

Herzlichen Dank für die Sorge um die Temperatur meines Sesselchens. In meinem Büro stehen derer zwei, allesamt selbst bezahlt, genauso wie die Heizkosten für besagtes Büro - das schafft schon ein wenig Unabhängigkeit. Und was das Kennen von Leuten angeht - ich würde nicht mal schwören, dass ich mich gut kenne. Das nur als Maßstab. Einige andere Leute kenne ich zumindest "ein wenig". Es ist halt vieles relativ im Leben.

Den Hinweis auf die Einmischung und die "guten Leute" verstehe ich mal als Kompliment - da ich im ehrenamtlichen Bereich aber mehr als ausgelastet bin (gern liste ich da im 1:1 mal was auf), hängt das "ob" immer von den Konditionen ab; nur soviel: So billig wie irgendwelche Niedersachsen bin ich nicht zu haben *g* (So, nun wäre die Ausgewogenheit wieder hergestellt.)

Ein Widerwort: Ich bin von Berufs wegen ständiger LVZ-Leser (und TAZ, und Welt und SZ und ...) und musste im Blatt schon ein paar Eigenarten und Entwicklungen feststellen, die meine Leidensfähigkeit arg herausgefordert haben. Spürbar war/ist insbesondere eine Entwicklung, die fast auf den Tag genau vor drei Jahren einsetzte, als der eine Verlag seine Anteile dem anderen überließ.

Eine Anmerkung noch zum bösen Wort Splitterpartei: Ich habe mal ein ernsthaftes Fach studiert, habe Physik, Mathematik und noch ein paar andere Dinge auf meinem Diplomzeugnis zu stehen und habe eine recht gute Trefferquote mit meinen statistischen Betrachtungen. Mag sein, dass die Vokabel "Splitterpartei" ein wenig zu weit vorausgedacht ist, aber von einer "Volkspartei" zu reden, wäre doch wohl ein wenig vermessen; wobei: Das ist nicht allein ein SPD-Problem ...
Herzliche Grüße
ad

PS.: Zu der Geschichte mit dem strategischen Engagement und dem Einfluss gern ein andermal mehr, denn das sprengt den Rahmen eines Kommentars, sondern wäre schon wieder einen gesonderten Eintrag wert.

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