Mittwoch, 12. September 2012
Erneuerung und Kontinuität bei der Leipziger Volkszeitung. Oder: Der Pressekodex ist weiterhin ein Jux.
Meine Lokalpostille, die nach eigenem Anspruch dem Qualitätsjournalismus verpflichtete Leipziger Volkszeitung hat einen neuen Chef. Also eigentlich hat die LVZ noch mehr, denn der geschasste Chefredakteur, Bernd Hilder aka „Onkel Bernd“, steht ja laut Arbeitsgerichtsurteil weiter in den Diensten der LVZ. Genauer gesagt liegt er wohl, und zwar in seiner vom Verlag gesponserten Dienstwohnung, wo er sich vor lauter Lachen über die gut honorierte Weiterbeschäftigung auf dem Boden wälzt. Na immerhin, dazu braucht er keine Moderationskärtchen.
Doch zurück zum neuen Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung. Der ist ein Nordlicht namens Jan Emendörfer und nun auch schon einige Zeit im Amt. Die Stimmung im Haus an der Klagemauer ist ein wenig besser als unter Onkel Bernd (schlechter wäre auch nicht wirklich gegangen), der Zeitung sieht man den Personalwechsel an. Die gute Nachricht zuerst: Den neuen Chef drängt es offensichtlich nicht so massiv ins Blatt wie seinen Vorgänger. Die Zahl der Der-Chef-war-auch-hier-Bilder ist gesunken und die Menge der sinnfreien Chef-Kommentare hat abgenommen. Das tut dem Blatt optisch und inhaltlich gut.
Die schlechte Nachricht: Mit „Big E“ hat im Verlagshaus an der Klagemauer die Freistelleritis Einzug gehalten. Um von den regelmäßigen Lesern meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches nicht missverstanden zu werden: Ich finde Freisteller gut und setze sie bei meinen Produktionen selbst ein; allerdings nicht endemisch und nur dort, wo ein freigestelltes Motiv ein Gewinn ist. In der heutigen LVZ-Ausgabe bietet der Anreißer unter dem Titel drei Freisteller: Einen Kabarettistenkopf, ein Tempo-20-Schild und einen Riesenwels. Alle drei sind unnötig, das Verkehrsschild ist handwerklicher Müll, weil es die Webadresse der LVZ verdeckt (okay, nicht wirklich ein Verlust, aber das tut man nicht), der Wels ist einfach Sch…rott, weil er oben (also mit dem Buckel) freigestellt wurde, die (freistellwürdigen) Barteln dagegen bleiben brav im Rahmen. Den diesen Murks verzapft habenden Hilfskräften sei als kollegialer Rat die intensive Betrachtung einiger WamS-Ausgaben empfohlen, da werden sie geholfen und man lernt sie, wie’s aussehen sollte. *g*
Weiter im Text: Insgesamt gibt sich meine Lokalpostille unter „Big E“ deutlich frischer, lockerer und boulvardesker, das soll wohl eine junge Zielgruppe ansprechen, die es nicht so mit dem Holz hat. Da aber die Qualität dem Preis aber nicht wirklich angemessen ist, dürfte die Wirkung dieser Anbiederungsversuche eher gering sein.
Und was noch? Es gibt mindestens eine beeindruckende Kontinuität zwischen Onkel Bernd und Big E. Der Pressekodex geht beiden offensichtlich meterweit woch auch immer vorbei. Wer’s genau wissen will, schaue sich den so genannten „Wirtschaftsteil“ meiner Lokalpostille auf Seite 6 des heutigen ersten Buches an (Gern verlinkte ich diesen, allerdings steht dem das neue Leistungsschutzrecht im Wege, weitere Infos auf Anfrage). Dort wird in epischer Breite Propaganda für die bevorstehende Eröffnung der „Höfe am Brühl“ gemacht. Wie auf einer halben nordischen Seite kritikfrei für das in Leipzig durchaus umstrittene 200-Mio-Projekt der MFI geworben wird, das ist schon Gefälligkeitsjournalismus vom Allerfeinsten. Der Pressekodex (guckst Du http://www.presserat.info/inhalt/der-pressekodex/pressekodex.html ), hier sei besonders die Ziffer 7 (*s.u.) zur Lektüre empfohlen, sieht da eine andere Verfahrensweise vor.
Ein G’schmäckle bekommt das Ganze, wenn man an das Vertragswerk denkt, das wohl über den Tisch eines gewissen Dottore (aka Gorbi) gegangen ist und das u.a. eine Anzeigenkampagne und Beilagen zum Inhalt hat. Über die begleitende Berichterstattung rede ich jetzt gar nicht.
Was lehrt uns das? Das es auch in diesen bewegten Zeiten Dinge gibt, die Bestand haben; und wenn es nur die schlechten Praktiken gewisser Verlagshäuser sind … so ist es doch gut so.


*Ziffer 7 – Trennung von Werbung und Redaktion
Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche ab und achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken. Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.

... link (0 Kommentare)   ... comment