Freitag, 30. Mai 2008
Das ist die Zukunft – aber bis dahin haben wir noch anderes zu tun ... oder: Sanft entschlafende Leistungsträger
zeitungsdieb, 10:59h
Zu den freudvollen Nebenerscheinungen meiner journalistischen Arbeit gehört die Teilnahme an allerlei Veranstaltungen. Einen Teil des gestrigen Abends verbrachte ich in der Ratsversammlung einer sächsischen Kleinstadt. Oft geht es bei solcherlei Events so dröge zu, dass die Hausstaubmilben in der Auslegware schlimmen Husten bekämen, wenn sie den Lungenatmer wären. Aber die gestrige Veranstaltung hatte ihren Reiz und war bescherte mir einen beträchtlichen Erkenntnisgewinn. Das lag zum kleineren Teil daran, dass mein Berichts- und Fotoauftrag sich nur auf den ersten Tagesordnungspunkt, die feierliche Inbetriebnahme eines recht interessanten und nützlichen Internetportals, des Virtuellen Rathauses, erstreckte und ich anschließend davoneilen durfte.
Den größeren Teil des Lust- und Erkenntnisgewinns zog ich jedoch aus den Kommentaren, mit denen einige der Zuschauer das Geschehen verfolgten. Die konnten (oder – im Einzelfall: wollten) den Nutzen der vorgestellten IT-Lösung schlicht und einfach nicht begreifen und moserten kernige Sprüche wie „Jetzt wiss’mer endlich, was die im Rasthaus aus lauter Langeweile machen“ und derlei von Sachkunde geprägte Äußerungen. Dass eine Vielzahl von Dienstleistungen, für die der geneigte Bürger (oder die Bürgerin) bislang ins Rathaus traben musste, nunmehr auf elektronischem Wege zu nutzen sind, dass Vereine ihre Veranstaltungen im Redaktionssystem via Internet selbst anmelden können – das interessierte die anwesende Kleinstadtelite wie der sprichwörtliche Sack Reis, der in China umfällt. Wobei – letzterer interessiert angesichts der aktuellen Lebensmittelpreise doch mehr.
Nun gut, zum Zwecke der Veranschaulichung wurde Stadträten und Publikum per Beamer und drahtlosem Internetzugang noch ein besonderes Schmankerl vorgeführt: Ortsansässige Unternehmen erhalten die Möglichkeit, einen Basisdatensatz zur Darstellung ihres ruhmreichen Tuns gleichfalls per Redaktionssystems in das Onlineportal des Virtuellen Rathauses einzupflegen. Nach Freigabe im Content Management System sind diese Inhalte dann für jeden Nutzer abrufbar.
Wer nun glaubte, dass die anwesende Wirtschaftsprominenz der Heidestadt angesichts dieses kostenfrei nutzbaren Angebotes vor Freude den Boden das Saals küssen und anschließend in laute Lobpreisungen an die Adresse des Bürgermeisters und seiner Verwaltung ausbrechen würde, der sah sich enttäuscht. Der Chef eines ehrwürdigen Handwerksunternehmens moserte zunächst herum, dass er „kein Spezialist“ für so was sei, seine Zeit damit verbringen müsse, um zu „arbeiten, damit ich Gewerbesteuern zahlen kann“ und auch künftig alles per Brief erledigen wolle. Als ihm live vorgeführt wurde, dass sein Unternehmen dank der Vorarbeit einer eifrigen Verwaltungsmitarbeiterin „schon drin“ ist im Virtuellen Rathaus, fand das meisterliche Grummeln kein Ende. „Das mag ja die Zukunft sein, aber für uns ist das jetzt noch kein Thema“, sprach der wackere Handwerker.
Was habe ich aus diesem Abend gelernt?
Erstens, dass ein zu hohes Maß an Basisdemokratie nichts bringt. Hätte man im ausgehenden 19. Jahrhundert „das Volk“ gefragt, ob es die Elektrifizierung der Städte wünscht, wären Fackel, Kerze und Öllampe wohl bis heute die dominierenden Beleuchtungsmittel. Oder, anders gesprochen, wer ein Rezepte für die Herstellung von Knacker, Tee- und Leberwurst sucht, sollte darüber nicht mit Schweinen reden – dann wird alles Tofu. Ääähh.
Zweitens hat mit der amüsante Abend gezeigt, dass zumindest ein Teil der Unternehmer, die mit ihren Betrieben den sprichwörtlichen Bach hinuntergehen, daran selbst Schuld trägt. Wer sagt, dass die Zukunft für ihn heute noch kein Thema ist, der hat keine und kann nur auf sanftes Entschlummern statt eines schmerzhaften Ablebens hoffen.
Und drittens sind auch die vermeintlichen Leistungsträger nicht immer das, was die Bezeichnung suggeriert. Manchmal sind sie – wahrscheinlich dank ihrer visionären Eltern, Großeltern, Urgroßeltern usw. – einfach nur da. Noch.
PS.: Die Kleinstadt, von der ich hier geschrieben habe, gibt es wirklich. Sie liegt eine reichliche halbe Autostunde östlich von Leipzig. Dass ich ihren Namen nicht nenne, hat einen simplen Grund: Es gibt viele solcher Städte, viele solcher Zuschauer und viele solcher zukunftslosen Leistungsträger.
Den größeren Teil des Lust- und Erkenntnisgewinns zog ich jedoch aus den Kommentaren, mit denen einige der Zuschauer das Geschehen verfolgten. Die konnten (oder – im Einzelfall: wollten) den Nutzen der vorgestellten IT-Lösung schlicht und einfach nicht begreifen und moserten kernige Sprüche wie „Jetzt wiss’mer endlich, was die im Rasthaus aus lauter Langeweile machen“ und derlei von Sachkunde geprägte Äußerungen. Dass eine Vielzahl von Dienstleistungen, für die der geneigte Bürger (oder die Bürgerin) bislang ins Rathaus traben musste, nunmehr auf elektronischem Wege zu nutzen sind, dass Vereine ihre Veranstaltungen im Redaktionssystem via Internet selbst anmelden können – das interessierte die anwesende Kleinstadtelite wie der sprichwörtliche Sack Reis, der in China umfällt. Wobei – letzterer interessiert angesichts der aktuellen Lebensmittelpreise doch mehr.
Nun gut, zum Zwecke der Veranschaulichung wurde Stadträten und Publikum per Beamer und drahtlosem Internetzugang noch ein besonderes Schmankerl vorgeführt: Ortsansässige Unternehmen erhalten die Möglichkeit, einen Basisdatensatz zur Darstellung ihres ruhmreichen Tuns gleichfalls per Redaktionssystems in das Onlineportal des Virtuellen Rathauses einzupflegen. Nach Freigabe im Content Management System sind diese Inhalte dann für jeden Nutzer abrufbar.
Wer nun glaubte, dass die anwesende Wirtschaftsprominenz der Heidestadt angesichts dieses kostenfrei nutzbaren Angebotes vor Freude den Boden das Saals küssen und anschließend in laute Lobpreisungen an die Adresse des Bürgermeisters und seiner Verwaltung ausbrechen würde, der sah sich enttäuscht. Der Chef eines ehrwürdigen Handwerksunternehmens moserte zunächst herum, dass er „kein Spezialist“ für so was sei, seine Zeit damit verbringen müsse, um zu „arbeiten, damit ich Gewerbesteuern zahlen kann“ und auch künftig alles per Brief erledigen wolle. Als ihm live vorgeführt wurde, dass sein Unternehmen dank der Vorarbeit einer eifrigen Verwaltungsmitarbeiterin „schon drin“ ist im Virtuellen Rathaus, fand das meisterliche Grummeln kein Ende. „Das mag ja die Zukunft sein, aber für uns ist das jetzt noch kein Thema“, sprach der wackere Handwerker.
Was habe ich aus diesem Abend gelernt?
Erstens, dass ein zu hohes Maß an Basisdemokratie nichts bringt. Hätte man im ausgehenden 19. Jahrhundert „das Volk“ gefragt, ob es die Elektrifizierung der Städte wünscht, wären Fackel, Kerze und Öllampe wohl bis heute die dominierenden Beleuchtungsmittel. Oder, anders gesprochen, wer ein Rezepte für die Herstellung von Knacker, Tee- und Leberwurst sucht, sollte darüber nicht mit Schweinen reden – dann wird alles Tofu. Ääähh.
Zweitens hat mit der amüsante Abend gezeigt, dass zumindest ein Teil der Unternehmer, die mit ihren Betrieben den sprichwörtlichen Bach hinuntergehen, daran selbst Schuld trägt. Wer sagt, dass die Zukunft für ihn heute noch kein Thema ist, der hat keine und kann nur auf sanftes Entschlummern statt eines schmerzhaften Ablebens hoffen.
Und drittens sind auch die vermeintlichen Leistungsträger nicht immer das, was die Bezeichnung suggeriert. Manchmal sind sie – wahrscheinlich dank ihrer visionären Eltern, Großeltern, Urgroßeltern usw. – einfach nur da. Noch.
PS.: Die Kleinstadt, von der ich hier geschrieben habe, gibt es wirklich. Sie liegt eine reichliche halbe Autostunde östlich von Leipzig. Dass ich ihren Namen nicht nenne, hat einen simplen Grund: Es gibt viele solcher Städte, viele solcher Zuschauer und viele solcher zukunftslosen Leistungsträger.
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