Donnerstag, 16. April 2009
Oberbürgermeisterlicher Realitätsverlust. Oder: Sportstadt Leipzig im Sinkflug?
Kennt jemand den ersten deutschen Fußballmeister? Das war der VfB Leipzig. Und den Deutschen Fußballbund? Der wurde 1900 in Leipzig gegründet. Deutsche Hochschule für Körperkultur DHfK (Das darf man heute nicht mehr sagen, dann kündigen die Sportwissenschaftler der Universität Leipzig einem den z.B. für eine Veranstaltung gebuchten Saal), FKS, IAT, das Stadion der 100.000, Turnhallen, Volksschwimmhallen, jede Menge Sportvereine (auch wenn die damals noch Abteilung oder Sektionen hießen), viele Olympiasieger und Weltmeister, allen voran die legendären Ruderer – Leipzig und Sport, das hatte mal was. Soviel, dass die Bezeichnung „Sportstadt Leipzig“ in aller Munde war. Soviel, dass Erich Honecker am 21. Juni 1989, also bereits in der Phase der Götterdämmerung und wohl auch als Zeichen seiner persönlichen Umnachtung, per ADN verkünden ließ, dass Leipzig doch die Olympischen Spiele ausrichten könne. Auch wenn’s eigentlich nur ein Propaganda-Schachzug gegen die Bewerbung Berlins (West-Berlins!) war – trotz aller Skepsis flammte in Sachsen Begeisterung auf.
Als ein von allen guten Geistern verlassener Leipziger Oberbürgermeister namens Wolfgang Tiefensee (heute Bundesspatenstichminister) ein paar Jahre in Erichs Fußstapfen trat und seine Pläne für das „Projekt Olympia“ in die staunende Welt fiedelte, war Leipzig trotz des seit den 80-ern eingetretenen sportlichen Niedergangs noch so sehr Sportstadt, dass die Begeisterung erneut aufflammte und die Enttäuschung über das Olympia-Aus am 18. Juni 2004 gewaltig war.
Apropos gewaltig: Gewaltig geschrumpft ist auch die Leipziger Sportlichkeit. Gut, in der Stadt gibt es ein defizitäres WM-Stadion, in dem manchmal sogar Fußball gespielt wird. Allerdings weniger von hiesigen Vereinen, die sind nämlich, wenn sie einander nicht gerade bekriegen, abwechselnd pleite. Dann gibt es noch eine Trabrennbahn, die trotz der Stadt Leipzig irgendwie überlebt, sowie eine marode Radrennbahn, die bisher irgendwie überlebt hat (trotz der Stadt Leipzig) und nun irgendwie mit Mitteln aus dem Konjunkturpakete heile gemacht werden soll. Wenn noch was übrigbleibt von dem Geld, nachdem die Stadt der Sanierung einer zwar schönen, aber eigentlich nicht wirklich benötigten Kongresshalle höhere Finanzpriorität eingeräumt hat. Außerdem existiert dank fleißiger Ehrenamtler sportliches Leben in zahlreichen Vereinen – trotz der Stadt Leipzig.
Nun mag sich der eine oder andere regelmäßige Leser dieses kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches fragen, weshalb ich über den Niedergang einer einstigen Sportstadt so viele Worte mache.
Ganz einfach: Gestern beklagte sich der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung vor der einbestellten Presse über die notorische Mediennörgelei in punkto Sportstadt. Unter Verweis auf die 150 Jahre währende Tradition sagte er: „Ich kann nicht verstehen, warum man uns den Status Sportstadt wegreden will.“
Hmmm. Sollte mal irgendwer ein schönes Beispiel für Realitätsverlust benötigen, kann ihm Burkhard Jung sicher weiterhelfen. Beim Stichwort Realitätsverlust fällt mir außerdem ein, dass der eingangs genannte Erich Honecker knapp vier Monate nach seiner prophetischen Äußerung über die Olympischen Spiele an der Pleiße von seinen Ämtern zurücktrat, ähm: getreten wurde. Der blasse Leipziger Oberbürgermeister wird der einstigen Sportstadt aller Wahrscheinlichkeit nach länger erhalten bleiben. Schließlich isser ja erst 2006 von einem kleinen Teil der Leipziger ins Amt gewählt worden und wird sich, weil er kein Lehrer mehr ist, wohl auch nocht vorfristig pensionieren lassen. In diesem Sinne: Sport frei!

PS.: Weil ich ja gern bei Wikipedia schmökere, sei meinen geneigten Lesern hier ein Auszug aus dem dortigen Eintrag über Burkhard Jung zur Lektüre dargeboten:

„Für die Bewerbung Leipzigs für die Olympischen Spiele 2012 war er zwei Jahre städtischer Olympiabeauftragter, bis er im November 2003 von diesem Posten aufgrund einer Provisionszahlung an die Marketingagentur SCI zurücktrat und als Beigeordneter von seinen Dienstgeschäften entbunden wurde. Die Affäre skandalisierte der Redakteur Jens Weinreich der Berliner Zeitung. Nach einem Monat Beurlaubung und Einstellung der staatsanwaltlichen Vorermittlungen trat Jung im Dezember 2003 seinen Dienst als Beigeordneter wieder an.“

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