Montag, 14. September 2009
Duellgedanken. Oder: Wer's verpasst hat, hat nichts verpasst.
Das einzige TV-Duell zwischen den Kanzlerkandidaten Angela Merkel (CDU) und Frank-Nennmichnichtwalter Steinmeier (SPD) ist Geschichte. Wer’s verpasst hat, hat wohl nichts verpasst, außer vielleicht einer Amtsinhaberin mit erstaunlich tiefen Augenringen (Wie mögen die wohl vor der Maske ausgesehen haben?) und einem Herausforderer, der allein dafür das Lob der (vor allem SPD-nahen) Kommentatoren erntete, weil er nicht gar so schlecht und dröge daherschauspielerte, wie befürchtet worden war. Das Medium der Wahl war aus meiner Sicht das Internet, dort wurde der geneigten Leserschaft (z.B. auf www.welt.de) eine Beinahe-Live-Fassung des Duells, das ja so richtig keines war, geboten. Und hier http://www.welt.de/politik/bundestagswahl/article4522737/Das-Duell-Merkel-gegen-Steinmeier-im-Wortlaut.html findet der Leser das Duell im Wortlaut. Applaus!

Die heutige Berichterstattung der deutschen Medien über das gelaufene TV-Duell liest sich auffallend gleichförmig. Da ist die Rede von „fehlendem Wettstreit“, „altem Ehepaar“, „Beliebigkeit“ und „Unentschieden“. Eine löbliche Ausnahme stellt der heutige Tagesspiegel dar, der hier http://www.tagesspiegel.de/politik/wahlen2009/TV-Duell-Angela-Merkel-Frank-Walter-Steinmeier;art20195,2899371 den Luxus pflegt, einen eigenen Bericht statt der breitgetretenen dpa-Suppe zu veröffentlichen. Sehr lesenswert, vor allem die Passagen mit den Aktivitäten der Parteisoldaten und Meinungsbeeinflusser im Pressestudio H.
Einen Ausbruch aus der allgemeinen „Unentschieden mit erstaunlich unschlechtem Steinmeier“-Brühe bietet zudem die Sächsische Zeitung. Dass die SZ Steinmeier vorn und das Duell als „Schub“ für die kränkelnden Sozis sieht (http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=2260060) , muss allerdings nicht wirklich Anlass zur Verwunderung sein. Schließlich gehört das Dresdner Blatt zu 40 Prozent der einstigen Volkspartei SPD – und so was verpflichtet. Wenn schon nicht zu lautem Kampfgeschrei in Wahlkampfzeiten, so aber doch zu pfleglichem Umgang mit der alten Mutter.
Die beste Überschrift des Tage hat (mal wieder) die TAZ, die ihren Artikel zum schlappen Duell mit "Yes, wie gähn!" betitelt (http://www.taz.de/1/politik/bundestagswahl/artikel/1/yes-we-gaehn/). Sonderpunkt!

Überrascht hat mich, dass wohl irgendwie 14 Prozent der Fernsehzuschauer angegeben haben sollen (Leider muss ich hier die Quelle schuldig bleiben, es soll wohl irgendwie gegen Ende der Trauerspielübertragung bei einem der öffentlich-schlechtlichen Programme eingeblendet worden sein ..., für eine Info wäre ich dankbar), ihre Wahlentscheidung sei durch das Duell beeinflusst worden. Kaum vorstellbar. Allenfalls, dass einige Zuschauer unter ungezügeltem Harndrang litten und nun die „Grauen Panther“ wählen wollen ...

Insgesamt bescheinigen die meisten Kommentatoren dem gestrigen TV-Duell zwischen Kanzlerin und Herausforderer wenig Sinn, weil zu deutsch und folglich viel zu brav. Hier muss ich widersprechen: Mit Fug und Recht kann man das gestrige Duell als historisches TV-Ereignis bezeichnen, denn es wird – obwohl im deutschen Fernsehen noch jung – wohl der letzte Vertreter seiner Art gewesen sein.
Das nächste Fernseh-Duell vor einer Bundestagswahl wird anders sein. Zum einen, weil es mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen SPD-Herausforderer mehr geben wird – die alte Tante ist auf dem Weg zur Nummer 3 im deutschen Parteienzirkus. Zum anderen jedoch, weil künftig wohl eine größere und weniger brave Politikerrunde übertragen werden wird. Aus dem drögen „Tu-mir-nix-ich-tu-Dir-auch-nix“-Plauderstündchen wird wegen des Fünf-Parteien-Systems wohl ein kräftiges Kreuzfeuer mit weniger ausgeklüngelten Reden und Streicheleinheiten werden*. Und das ist gut so.

* Wer FJS noch kennt: Vor 25 oder mehr Jahren gab es da mal eine legendäre TV-Diskussion mit dem weißblauen Imperator, bei der die ARD noch die Kunst der bösen Bildausschnitte beherrschte und auch zum Einsatz brachte. Irgendwann sah man im Bild einen aufs geifernde Maul reduzierten FJS - das waren, angesichts der "Schokoladenseiteneinstellungen" beim TV-Duell noch Sternstunden der TV-Berichterstattung. Damals ...

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