Freitag, 19. Juni 2009
Willkommen im chinesischen Internet. Oder: Der Tag, an dem die Deutschen das Grundgesetz aufgaben
Es gibt Ereignisse, an die man sich noch nach vielen Jahren erinnert: Fußballendspiele, Mondlandungen, Hochzeiten und Katastrophen. Gestern war wieder so ein Ereignis – und wir können sagen, dass wir es miterlebt haben. Und wenn junge Menschen uns in fünf, zehn oder 20 Jahren einmal fragen werden, wann das mit dem Verlust der grundgesetzlich garantierten Freiheiten begonnen hat, wann die Deutschen sich für Zensur und Hausdurchsuchungen entschieden hätten, dann können wir uns entspannt zurücklehnen und sagen: „Ja, das war am 18. Juni 2009. Ich erinnere mich noch daran, als wäre es erst gestern gewesen. An diesem Tag wurden in einer Marathonsitzung des Deutschen Bundestages zahlreiche Gesetze durchgewunken, mit denen Populisten nahezu aller Lager bei der desinteressierten deutschen Bevölkerungsmehrheit vor den Bundestagswahlen noch einmal punkten wollten.“

Durchgewunken wurde gestern u.a. eine Änderung des Waffenrechts. So müssen sich die Besitzer legaler Waffen – also vor allem Sportschützen und Jäger – darauf einstellen, dass ihre Wohnungen künftig verdachtsunabhängig kontrolliert werden, um die gesetzeskonforme Lagerung der Waffen zu überprüfen. Damit stehen die legalen Waffenbesitzer rechtlich schlechter da als verurteilte Straftäter, deren Wohnungen nur bei Vorliegen eines richterlichen Durchsuchungsbefehls gefilzt werden dürfen. Wer legale Waffen besitzt, muss künftig Einschränkungen der im Artikel 13 Grundgesetz verbrieften „Unverletzlichkeit der Wohnung“ hinnehmen. Schon jetzt erlaubte Absatz 3 des besagten Artikels übrigens solcherlei Einschränkungen bei konkreten Gefahrensituationen. Dass nun allerdings irgendein Ordnungsamtswichtel „just for fun“ ins Schlafzimmer eines Sportschützen trampeln und den Ordnungsgemäßen Verschluss eines Waffenschrankes kontrollieren darf, ist schon starker Tobak. Dass die Verschärfung des Waffenrechtes nicht noch schlimmer ausgefallen ist, verdanken die Schützen in erster Linie ihrer Lobby-Arbeit und dem regelmäßigen Gewinn olympischen Edelmetalls ...

Eine solche Lobby hätte womöglich auch beim Zugangserschwerungsgesetz ZugErschwG (so heißt die maßgeblich von Familienministerin Ursula von der Leyen ins Leben geschubste geistige Missgeburt amtlich) Schlimmeres verhüten können. Doch nun hat das hanebüchene Gesetz mit 389 zu 128 Stimmen das Licht der Welt erblicken dürfen und soll Internet-User davon abhalten, Seiten mit kinderpornographischen Inhalten aufzusuchen. Wohlgemerkt: Diese Seiten existieren weiter, gegen die Server und die dort gehosteten Inhalte wird nichts getan, bei ihrem Aufruf blickt der unbedarfte User allerdings auf ein Stoppschild. Mit einem Minimum an Internetkenntnissen ist der böse Kipo-Sammler allerdings in der Lage, ums Stoppschild herumzugucken. Kipo-Bekämpfung sähe anders aus. Was die jetzige Regelung bedeutet, ist hier http://www.mediengestalter.cc/2009/06/17/allgemein/zensursula-aus-designersicht/ sehr schön dargestellt. Für alle vertumbten Deutschmichel, die das Denken verlernt haben, sei die Erklärung mitgeliefert: Hinter dem Schild liegt noch immer der Penner. Wer einen langen Hals macht, kann ihn noch sehen.

Und nun lehne ich mich noch einmal ganz entspannt zurück und erinnere mich noch einmal an den oben angesprochenen 18. Juni 2009. „Ja, damals hat alles begonnen. Und viele von denen, die heute darüber klagen, dass bei uns chinesische Verhältnisse herrschen und dass das Internet zur regierungsamtlichen Verlautbarungsmaschine a la Zweites Deutsches Staatsfernsehen verkommen ist, haben am 18. Juni 2009 ruhig in ihren Fernsehsesseln geschnarcht. Und denen, die sich gegen die Pläne von Schäuble und von der Leyen ausgesprochen haben, unterstellt, Terroristen, Islamisten, Kinderschänder oder Schlimmeres zu sein. Selbst schuld.“

Aus gegebenem Anlass ein PS.:
http://www.welt.de/politik/article3953555/CDU-will-auch-Ballerspiele-im-Netz-sperren.html
Es geht schon los. Wie bei Rumpelstilzchen: Heute Kipo, morgen CS und übermorgen ...

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