Donnerstag, 3. März 2011
Was hat die TAZ, was die LVZ nicht hat. Oder: ein Lehrstück zum Thema "Umgang mit Kritik"
Wie gut oder wie schlecht ein System tatsächlich ist, zeigt sich am Umgang mit Kritik. Und auch, ob ein Mensch groß oder nur ein aufgeblasenes Arschloch ist. Das musste mal gesagt werden. Und bevor sich die geneigten LeserInnen meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches nun fragen, was ich ihnen mit dieser pseudophilosophischen Einlassung eigentlich sagen möchte, löse ich das Rätsel auf; ein wenig, zumindest.
Es geht mir wieder einmal um die Holzmedien, genauer gesagt um meine Lokalpostille, die nach eigener Aussage dem Qualitätsjournalismus verpflichtete Leipziger Volkszeitung (LVZ), ein geradezu klassisches Holzmedium. Und es geht mir um die TAZ, die Tageszeitung; ein Medium, das ebenfalls in gedruckter Form daherkommt, aber alles andere als hölzern auftritt.
Über den etwas schwierigen Umgang der Leipziger Volkszeitung mit kritischen Stimmen habe ich in meinem Tagebuch bereits häufiger nachgedacht, z.B. hier http://zeitungsdieb.blogger.de/stories/1775856/ Generell gilt bei der LVZ, dass in Foren und Kommentaren so ziemlich jeder Idiot seinen Frust ablassen darf. Dass dabei regelmäßig Beiträge ins Netz geraten, die nicht nur geschmacklos, sondern auch bei wohlwollender Betrachtungsweise mehr als beleidigend sind, bleibt da nicht aus. Insbesondere bei rechts-links-Debatten und beim leidigen Thema „Rasenball Leipzig“ (der geneigte Leser möge dazu einfach mal die Suchfunktion unter www.lvz-online.de nutzen und nach solcherart Themen Ausschau halten) fliegen die Fetzen so tief, dass es auftragsgeilen Juristen in den Fingern jucken dürfte. Erstaunlich ist allerdings, dass solche Kommentare im Netz bleiben.
Schnell wieder verschwunden sind hingegen Kommentare, in denen die Leipziger Volkszeitung kritisiert wird. Schreibt ein Leser über die nachlassende Qualität, die Arbeitsbedingungen der Zusteller oder andere „heiße Eisen“, haben seine Zeilen kein langes Leben.
Gelegentlich taucht mal eine kritische (gefakte?) Leserfrage im Blatt auf, meist so in der Art „Warum ist das Fernsehprogramm plötzlich auf Seite xyz und nicht mehr auf Seite abc?“ oder „Warum macht die LVZ Werbung für unseriöse Firmen wie xyz?“. Dann darf ein wichtiger Mitarbeiter antworten und dem Leser erklären, warum das so sein muss und dass die LVZ alles richtig macht. Ein wenig erinnern mich diese Szenarien an die gute, alte DDR. Da durfte der Bürger auch immer mal erfahren, dass „die Genossen in Berlin“ schon alles in seinem Sinne regeln werden. Mit bekanntem Ergebnis.
Dass es auch anders geht, stellte die TAZ dieser Tage eindrucksvoll unter Beweis. Dort erschien ein lesenswerter Beitrag http://www.taz.de/1/leben/medien/artikel/1/da-kommt-niemand-ungeschoren-weg-1/ über Judith Holofernes („Wir sind Helden“) und ihre Weigerung, für die BILD-Zeitung Werbung zu machen. Dass letztere neben diesen Anti-BLÖD-Artikel eine Pro-BLÖD-Anzeige stellte, war ein Coup der besonderen Art – und es versetzte weite Teile der geneigten Stammleserschaft der Tageszeitung in hellen Aufruhr. Von Prostitution war die Rede, von Unterwerfung vor dem medialen Hauptfeind usw. Das Forum kochte, die Kommentarfunktion glühte, es hagelte Leserbriefe. Sehr lesenwert das alles, z.B. hier http://blogs.taz.de/hausblog/2011/03/01/taz-einnahmen_sichern_bild-anzeigen_verhindern/
Die TAZ reagierte darauf so, wie es nur die TAZ tut: Sie stellte sich der Kritik. Sie veröffentlichte Leserbriefe, in denen von Abo-Auflösung und anderen Folterinstrumentarien die Rede war. Aber die geneigte Leserschaft erfuhr auch etwas über das Warum: Die Anzeige der bösen, bösen BLÖD-Zeitung brachte der TAZ immerhin mehr als 12.000 Euro, und damit sind „mehrere Monatsgehälter“ gesichert. Darum werde die TAZ Anzeigen dieser Art auch künftig veröffentlichen, auch solche von Unternehmen, die Atomstrom anbieten usw. (Letzteres geschah z.B. schon am 3. Februar 2011, als Vattenfall ca. halbseitigvierfarbig für seine energetische Unterstützung des Wintersportes inserierte.)

Geradezu genial mutet die fast seitenhohe Anzeige an, die die TAZ am gestrigen 2. März auf Seite 13, dem Titel des Buches „Gesellschaft, Kultur, Medien“ veröffentlichte. Dort prangte die Frage: „Ihre Meinung BILD, Karl-Theodor zu Guttenberg?“
Besagter von und zu Ex-Verteidigungsminister, den die TAZ den Ehrentitel „zu Googleberg“ angeheftet hatte, erwiderte: „Eigentlich nicht mein Niveau, aber wenigstens selbst geschrieben. Haltet die Stellung, Jungs!“ Darunter war ein Foto KTzGs in der berühmten Broadway-Pose zu sehen, außerdem das BLÖD-Logo und der Hinweis „BILD bedankt sich bei Herrn zu Guttenberg für seine ehrliche und unentgeltliche Meinung“.
Das allein war schon feinstes Gras, aber das Sahnehäubchen entdeckte der geneigte Leser erst bei genauerem Hinsehen: Über besagter Anzeige findet sich in Winzigtypographie der Hinweis „Keine Anzeige“.

Lang anhaltender, stürmischer Beifall. Hochrufe. Bravo, TAZ! Viel Spaß beim Sterben, LVZ!

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