Dienstag, 19. Juli 2011
Heinrich L. und der Montageschaum. Oder: Leipziger Qualitätsjournalismus reloaded
Gestern ließ meine Lokalpostille, die nach eigener Auffassung dem Qualitätsjournalismus verpflichtete Leipziger Volkszeitung, wieder einmal die Katze aus dem Sack. In einem kleinen Infokästchen im Lokalteil wurde unter der Überschrift "Liebe Leserinnen und Leser" darüber informiert, dass das Käseblatt mal wieder teurer werden wird. Welch Zufall, dass gerade Urlaubszeit ist, war mein erster Gedanke. Da wird sicher so mancher Abo-Leser die Ankündigung der Preiserhöhung nach der Rückkehr im aufgestapelten Papierberg übersehen. Wenn er denn nicht ohnehin das intensiv beworbene Angebot genutzt hat, seine LVZ für die Zeit der Abwesenheit einem Bedürftigen zu spenden. Wobei: Wie bedürftig muss jemand sein, damit er sich über eine solche Spende freut? Außer höchsten über die Information, dass Leser Müller-Schnöppeldüdel drei Wochen weg sein wird und deshalb seine LVZ spendet ... und man ja mal bei Müller-Schnöppeldüdel das Türschloss testen könnte.
Doch zurück zur Preiserhöhung: Meine Lokalpostille kostet ab 1. August 2011 stolze 23,90 Euro im Monat. Okay, die TAZ schlägt deutlich heftiger zu Buche, aber die liefert mir trotz ihres geringeren Umfanges wesentlich mehr Informationen als die Leipziger Holzhändler von der Klagemauer am Petersteinweg.
Begründet wird die Preiserhöhung übrigens mit sinkenden Werbeeinnahmen und gestiegenen Kosten. Ersteres stimmt, über den zweiten Punkt musste ich angesichts des Ausstiegs der LVZ aus dem Tarif kichern. Den dritten Grund habe ich lange gesucht, aber der war gar nicht genannt: sinkende Vertriebserlöse wegen chronisch schrumpelnder Auflage. Aber das war sicher nur ein Versehen.

Doch zurück zur Preiserhöhung der LVZ: In ihrem liebevoll getexteten Infokästchen (die Burschen vom Verlag haben da Routine, die machen das ja regelmäßig) wollen mir die Lokalpostilleros einreden, dass ich für die monatlich 23,90 Euro (eh, das wäre mal fast ein Fuffi gewesen) allmorgendlich "ein qualitätiv hochwertiges Produkt erhalte" und dass die schmerzliche Mehrbelastung dazu dient, das auch künftig sicherzustellen.

Nach soviel Preiserhöhungsbegründungsgeschreibsel machte ich mich heute auf, zumindest das Qualitätsversprechen zu testen, warf einen Blick in die Muldentalausgabe der Leipziger Volkszeitung und entdeckte auf deren Titelseite einen guten, alten Bekannten, Heinrich Lillie; laut Impressum Regionalverlagsleiter und Regionalchefredakteur (Genau, das war der mit dem kastrierten Adenauer-Zitat ... http://zeitungsdieb.blogger.de/STORIES/1052270/ oder http://zeitungsdieb.blogger.de/STORIES/1059789/ ).
Wo, wenn nicht in einem Beitrag dieses Hochkaräters darf der geneigte Leser für seine bald schon 23,90 Euro monatlich Qualität erwarten, dachte ich und las die Regionalobermackerkolumne unter dem Titel "Knast für den Montageschaum".
In selbigem Textstreifen ließ sich der Autor über den verordneten Wegschluss von Montageschaum aus. Zur Erläuterung: Montageschaum (vulgo: Bauschaum) ist so ein klebriges Zeugs in Dosen, das man in allerlei Ritzen und Spalten sprühen und zum Abdichten bzw. Befestigen von irgendwelchen Türfüllungen usw. verwenden kann. Es reagiert mit der Luftfeuchtigkeit und hat nach einigen Stunden die Konsistenz von frischem Supermarktbrot, also irgendwie restelastisch und klebefrei.
Heinrich der Rechercheur wollte offensichtlich eine ebensolche Sprühdose kaufen und stellte fest, dass diese im Baumarkt unter Verschluss gehalten und dem Kunden nur nach Belehrung durch sachkundiges Personal ausgehändigt wird.
Der Regionaloberechercheur begründet das mit dem Wüten von EU-Bürokraten, die wohl befürchtet hätten, tumbe Toren könnten ihre inneren Hohlräume mit besagtem Schaum auffüllen und nach der Aushärtung desselben elendiglich dahinscheiden. Von dieser Gefahr schloss der Autor auf viel schlimmere Bedrohungen menschlicher Unversehrtheit; so zum Beispiel auf kraftstoffspeiende Zapfpistolen, die folglich auch EU-verordnet hinter Gitter müssten.

Soweit, so schlecht. Schade nur, dass der Regionalgeneralissimus mit seiner Deutung der Montageschaumsicherheitsverwahrung falsch lag. Diese temporäre Inhaftierungsanordnung gilt nämlich nicht pauschal, sondern nur für den bisher überwiegend gebräuchlichen Montageschaum, welcher Diphenylmethandiisocyanat enthält. Das Zeug gilt seit Jahren als Risikostoff, reizt Augen, Haut und Atemwege und steht im Verdacht, Krebs auszulösen. Deshalb kamen die Dosen gemäß deutscher (!, nicht EU) Chemikalienverbotsverordnung hinter Gitter.
Allerdings nicht alle: Inzwischen gibt es so genannten alpha-Schaum, der ohne die gefährliche Verbindung auskommt und deshalb auch nicht weggesperrt werden muss. Obwohl, dies sei dem staunenden Heinrich ausdrücklich gesagt, man auch dieses Stöffche dazu nutzen kann, Körperhohlräume irreversibel und mit finalem Erfolg zu befüllen.
In einigermaßen guten Baumärkten werden übrigens beide Sorten Montageschaum angeboten: Den Schwerenöter findet man hinter Gittern, seinen easy Halbbruder im Freigang. Vielleicht nicht in Hannover, aber in Leipzig schon.
Wer nun glaubt, dass solcherart Kenntnis der Besonderheit von Schäumen und Isocyanodingens ein Spezialwissen voraussetzt, das ein hart arbeitender Regionalwasauchimmer gar nicht haben kann, der irrt. Mitarbeiter eines Qualitätsmediums - sogar die leitenden - sollten in der Lage sein, über das Wort Montageschaum nicht nur angestaubte Wochentagswortspiele zu machen, sondern besagte Vokabel bei Wikipedia einzugeben. Da werden sie nämlich geholfen ...

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