Montag, 23. Januar 2012
Nachdenken über Syrien. Oder: Wann schützt die Nato die Zivilbevölkerung?
Morgendliche Zeitungslektüre. Im Blatt wird eine Zahl genannt: 5.500. Die Zahl der Toten in Syrien laut Uno-Schätzung. Das Westerwellerchen regt sich auf und fordert irgendwas, die Arabische Liga hat auch irgendwas in Häkelschrift zu vermelden.
Meine Frau stellt beim Lesen die einzig logische Frage: "Warum greift die Nato dort eigentlich nicht ein, um die Zivilbevölkerung zu schützen?"
Die Antwort ist naheliegend: (Vorsicht, ab hier kann es zum Auftreten von Ironie kommen. Die weitere Lektüre wird nur gefestigten Charakteren empfohlen)
1. Die haben kein Öl. Die haben zwar welches, aber das syrische Öl lohnt nicht wirklich einen Krieg, die Lagerstätten sind nicht so groß, ab 2020 wird das Land netto sogar importieren müssen. Die sonstigen Bodenschätze sind auch nicht so üppig, dass die Zivilbevölkerung geschützt werden müsste.
2. Syrien liegt geographisch ziemlich beschissen. Im Norden die Türkei, im Süden der Irak und Jordanien, im Westen Israel und der Libanon - eine Gegend, wo man mal eben ungestraft "Eingriffe mit chirurgischer Präzision" vornehmen kann, sieht anders aus.
3. In Syrien leben die üblichen Verdächtigen nebeneinander her. Soll heißen: Drei Viertel der Bevölkerung sind Muslime verschiedener Richtungen, 15 Prozent der Syrer gehören zu einem recht bunten Christenmix, dazu gibt es einige tausend Juden. Und auch die ethnische Mischung ist vielversprechend: Kurden, Araber, Armenier, Turkmenen, Tscherkessen, Palästinenser, Iraker, Aramäer und Assyrer. Wenn man an diesem Kessel auch nur eine Schraube scharf anschaut, fliegt einem der ganze Laden um die Ohren.

Im Klartext: Wenn hier Nato-Truppen zum Schutz der Zivilbevölkerung neue Waffensysteme testen und die Einhaltung einer Flugverbotszone kontrollieren, kann das ganz schnell nach hinten losgehen. Da können plötzlich Gebiete wie die Golanhöhen und das Westjordanland zum Thema werden, da könnten sich die Türken auf den Weg machen, noch ein paar Rest-Armenier zu erwischen und da könnte ein kleiner, ungeliebter Staat von US-Gnaden ganz schnell von der Landkarte verschwinden oder zumindest arg ramponiert werden.
Was folgt daraus? Die Syrer sind arme Schweine, zu arm, als dass die Nato sie retten würde. Die müssen mit ihren Frühlingsgefühlen schon allein klarkommen. Es sei denn, die weltweit für ihre demokratische Ausrichtung bekannte arabische Liga kümmert sich und ersetzt in Syrien den einen Diktator durch einen anderen.

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