Montag, 16. Januar 2012
Wo steckt Bernd Hilder? Oder: Onkel Bernd und der geistige Phantomschmerz.
Es gibt so Dinge, die einen nerven. Man ärgert sich drüber, man schuppert dran rum, und dann sind sie weg. Und plötzlich fehlen sie einem. Nicht, dass man sie gern wieder hätte, aber man hatte sich doch an sie gewöhnt. Irgendwie, ungern, gezwungen, aber irgendwie schon. Solche Dinge gibt es viele. Pickel zum Beispiel. Da spannt erst die Haut, irgendein indifferenter Druck im Gewebe, ein Schmerzchen eigentlich, dann eine Rötung, später eine wirklich unerfreuliche Beule, hitzigleuchtend gar, und dann? Ein Knack, ein wenig üble Brühe, und weg ist das Dingens. Die Aufzählung anderer Beispiele aus dieser Kategorie überlasse ich den geneigten LeserInnen meine kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches; ich möchte mir den Tag nicht mit eingewachsenen Nägeln, Pilzerkrankungen etc. verderben.
Statt brennt mir ein anderes Thema unter den unbepilzten Nägeln. Onkel Bernd ist weg. Nein, so heißt kein Pickel. Onkel Bernd war meine respektlose Bezeichnung für einen der hellsten Köpfe unserer Zeit, für den früheren Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung, für Bernd Hilder, den Vordenker der modernen Medienwelt. Nur etwas mehr Charisma und ein paar Karteikarten weniger beim Vortrag und gelegentlich „some else“ – und er hätte Steve Jobs hinter sich lassen können. Hat er aber nicht, doch immerhin war er einige Jahre lang Chefredakteur meiner Lokalpostille, der Leipziger Volkszeitung. Und genau wie Steve Jobs ist er weg; also (wahrscheinlich) nicht wirklich, sondern nur von der LVZ.
Onkel Bernds Bilanz kann sich sehen lassen. Als er 2003 seinen Dienst bei der LVZ antrat, umfasste deren verteilte Gesamtauflage lt. ivw (www.ivw.de , für diese Daten s. Downloadbereich 2003) noch 286.954 Exemplare. Im dritten Quartal 2011 waren’s noch 212.935. Macht ziemlich genau 74.000 Exemplare weniger, das ist eine Menge Papier. Mein Gott, was hat der Mann für den Umweltschutz getan! Und wer dankt es ihm? Genau! Keiner! Und nun ist er weg.
Wobei – eigentlich dürfte er ja gar nicht weg sein. Hätte es mit seiner Wahl zum mdr-Intendanten geklappt, wäre Onkel Bernd nun dort big boss und könnte kreativcharismatisch rumhildern. Und sicher hätte er inzwischen seine eigene Sendung, so in der Art "Bernds Welt" oder "Hilders Trimediales Panoptikum".
Da es aber nicht geklappt hat (https://zeitungsdieb.blogger.de/stories/1836805/#1895201 ), wurde die mdr-Personalie anderes gelöst und Onkel Bernd verschwand.
Sicher, nachdem die LVZ den Bericht seines Wahldebakels veröffentlicht hatte http://www.lvz-online.de/nachrichten/mitteldeutschland/keine-mehrheit-fuer-bernd-hilder-als-mdr-intendant/r-mitteldeutschland-a-107318.html, tauchte Onkel Bernd plötzlich wieder als Leitartikler auf. Doch diese Phase währte nur kurz, schon bald folgte er dem Beispiel anderer Monarchen und zog sich zurück. Allerdings nicht zum Holzhacken aufs flache Land, sondern auf zu neuen Höhen. Gar von Wegloben war die Rede.
Sein Exil, so ward verkündet, sei Brüssel, wo er das Büro der Mediengruppe Madsack leiten werde. Sagte der Spiegel http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,796556,00.html und bestätigte auch Madsack.
Doch schon die Pressemitteilung der Verlagsgruppe http://www.madsack.de/service/newsdetailansicht/article/1/neue-chefredakteure-in-leipzig-und-rostock.html , getreulich nachgedruckt von meiner Lokalpostille, ließ mich aufhorchen. Da war nur noch die Rede von den neuen Chefredakteuren, ein Dankeswort an den teuren dahingeschiedenen, an den weitblickenden Visionär, ach, ein solches Dankeschön fehlte.
Doch ganz ist Onkel Bernd noch nicht verschwunden. Hier http://www.madsack.de/das-medienunternehmen/print/leipziger-volkszeitung.html haben ihn die Madsäcke heute noch als LVZ-Chefredakteur aufgelistet und beim Presserat http://www.presserat.info/inhalt/der-presserat/mitglieder.html ist er auch noch als Sprecher (und LVZ-ler) aufgeführt. Das erinnert mich irgendwie an MeckPomm, da passiert ja auch alles ein paar Jahre später ...
Doch ganz gleich, ob er hier und da noch ein Stühlchen, einen ollen Link oder einen gesperrten E-Mail-Account hat oder nicht, angekommen ist er in Brüssel wohl noch nicht. Zweifel schürte zuerst die W&V http://www.wuv.de/nachrichten/medien/madsack_wechselt_hilder_doch_nicht_nach_bruessel , die ihren Lesern mitteilte, dass es Onkel Bernd nun doch nicht gen Belgien zieht.
Doch wahrscheinlich steckt dahinter viel, viel mehr: Wer mal nach besagtem Brüsseler Büro der Madsack-Gruppe Ausschau hält, wird es schwer haben, ein solches zu entdecken. Weder im Impressum der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung haz.de noch in dem der LVZ findet sich der Hinweis auf eine solche Einrichtung. Berlin, Erfurt, Dresden, aber nicht Brüssel. Area 51? Bielefeld-Verschwörung reloaded?

Um von den LeserInnen meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches nicht missverstanden zu werden: Ich weine dem ehemaligen Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung keine Träne nach. Und das tun zumindest diejenigen seiner früheren Untergebenen auch nicht, die ich im Rahmen meiner heutigen, nicht repräsentativen Telefonbefragung am Ohr hatte. Aber irgendwie fehlt er mir doch. Schließlich durfte ich Onkel Bernd einige Male als Moderator erleben. Und das hatte schon was. Sicher, man durfte nicht die feine, gekonnt geführte Klinge und die Echtzeitanalyse erwarten. Aber einen noch relativ jungen Menschen dabei zu beobachten, wie er mit Karteikarten hantiert, auf denen die Moderationsstichworte stehen, der dabei aber seine irgendwie zu eitel ist, seine Fehlsichtigkeit zuzugeben und atemberaubende Brillenakrobatik und gesundheitsgefährdende Augengymnastik betreibt und bei all dem sogar noch Gelegenheit findet, in die ansonsten eher bei Kulturredakteuren und aufstrebenden Kommunalpolitikern übliche Pose des „Sinnenden Geistesriesen“ zu verfallen (für alle Unwissenden: Kopf auf Halbmast, Mund halb geöffnet, zwei Finger irgendwo ins Gesicht gestochen und dabei in die Ferne schauen, als hätte man sich soeben auf etwas Penetrierendes gesetzt) – das erlebt man nicht alle Tage.
Nicht, dass ich auf so was stehe – aber irgendwie fehlt es mir schon. Aber vielleicht isser ja nicht auf Dauer weg und nimmt nur seinen Jahresurlaub. Apropos nehmen: Zweckdienlich Hinweise, auf Wunsch auch vertraulich, nehme ich gern entgegen.

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