Mittwoch, 10. Juni 2009
Sommertraum in Schwarz. Oder: Leipziger Qualitätsjournalismus im Tiefflug
Welches Top-Ereignis hat gestern in der Region Leipzig stattgefunden und in meiner Lokalpostille samt Kreisausgaben den meisten Platz beansprucht? Kaufhauspleite? Meteoriteneinschlag? Wahlskandal? Alles so was von falsch. Richtig wäre gewesen: Autoverlosungsgewinnübergabe.
Was fürn Brösel, mag nun der eine oder andere Leser dieses kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches denken. Eine Autoverlosung, das ist doch etwas für wurstige Anzeigenblätter und nichts für eine nach eigenem Verständnis dem Qualitätsjournalismus verpflichtete Tageszeitung. Stimmt, aber zumindest letzterer Anspruch ist bei meiner Lokalpostille, der Leipziger Volkszeitung, ja nicht mehr wirklich ernst zu nehmen.
Wie sonst wäre es zu erklären, dass der Verlag die gemeinsam mit einem Grimmaer Autohaus durchgeführte Verlosung eines Renault Mégane Cabrios über Wochen zum Ereignis von staatstragender Bedeutung hochkritzelt, dass sich sogar namhafte Verlagsmitarbeiter, die ansonsten vor allem an exponierter Stelle kolumnieren, dazu herablassen, blasse Werbetexte für ein „tolles Auto“ und die Möglichkeiten zu dessen Gewinn zu tippen und dass dem geneigten Leser meiner Lokalpostille Tag für Tag die Nummer des LVZ-Glückstelefons eingehämmert wird? Guckst Du hier: http://zeitungsdieb.blogger.de/stories/1411389/
Nun ist es (wahrscheinlich) ausgestanden. Die glückliche Gewinnerin ist eine 44-jährige Chefsekretärin, stammt aus dem Kaff Kahnsdorf in der Nähe von Neukieritzsch und hat nur ein einziges Mal angerufen, um den Gewinn zu ergattern. Das war am 22. Mai, dem Geburtstag ihrer Mutter und es hat nur 50 Cent gekostet. Diese vielen, beglückenden Informationen habe ich heute in meiner Lokalpostille lesen dürfen, und auch, dass LVZ-Muldental-Regionalchef Heinrich Lillie im Grimmaer Autohaus Lange „Sommertraum in Schwarz“ gestern an die Gewinnerin übergab. Und noch viel mehr, denn meine Lokalpostille nimmt’s ja mit dem Pressekodex nicht so genau und verschwurbelt Redaktionelles und Geschäftliches so emsig miteinander, dass es eine (UN-)Art hat.
Nun möge der geneigte Leser meines Blogs nicht etwa glauben, dass solcherart Verstöße gegen geltende Regeln schamhaft auf einem Plätzchen im Hinterhof des Lokalteils abgefrühstückt würden. Nönö. Ist der Ruf erst ruiniert, dann lebt es sich ganz ungeniert – dieses Motto gilt auch bei der Leipziger Volkszeitung. Und folglich ist der schönmenschelnde Cabrioverlosung das lokale Aufmacherthema der LVZ im Muldental und in Borna-Geithain, großes Seite-1-Lokalthema in Delitzsch-Eilenburg und in der Stadtausgabe Leipzig immerhin noch der Aufmacher für die Seite 2 Lokal.
So etwas nennt meine Lokalpostille Qualitätsjournalismus nach Leipziger Art.

PS.: Da mein Tagebuch auch von zahlreichen auswärtigen Lesern genutzt wird, sei – um Missverständnisse zu vermeiden – vermerkt, dass die Leipziger Volkszeitung ein Aboblatt ist, für dessen Bezug man richtig Geld abdrücken darf. Und das, obwohl sie sich gekonnt als Anzeigenblatt tarnt.

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