Mittwoch, 10. Juni 2009
Holzmedien lernen's nicht. Oder: Was meine Lokalpostille LVZ ihren Lesern vorenthält
Meine Lokalpostille, die Leipziger Volkszeitung, liefert heute auf ihrer Titelseite ein tolles Beispiel dafür, wie moderner Journalismus nicht geht. Anders gesagt: Sie beweist mal wieder, dass klassische Holzmedien auch durch ein wenig Onlinegebastel und Rumgetwittere nicht wirklich zukunftsfähig werden, wenn die Visionen fehlen.
Zurück zum Beispiel: Auf Seite 1 der LVZ ist eine hübsche Agenturmeldung von AFP abgedruckt. Dort erfährt der geneigte Leser, dass Computer gefährlich sind und dass die Zahl der Unfälle beim Umgang mit selbigen von 1994 bis 2006 um das Siebenfache gestiegen ist. Sagen US-Wissenschaftler. Kinder und Senioren sind besonders gefährdet, die Zahl der Unfälle ist schneller gestiegen als die Ausstattung der Haushalte mit Computern. Immerhin erfährt die LVZ-Leserschaft sogar, dass die Forscher dem Nationalen Kinderkrankenhaus im US-Bundesstaat Ohio angehören und ihre Erkenntnisse in der Juli-Ausgabe der Fachzeitschrift American Journal of Preventive Medicine veröffentlicht haben.
Das lässt vermuten, dass es sich um US-Zahlen handelt. Sicher sein kann der Leser nicht, denn darüber schweigt sich der Leipziger Volkszeitung aus. Mag sein, dass AFP darauf verzichtet hat, den Link zum zitierten Bericht mitzuliefern, aber für einen Leipziger Qualitätsjournalisten sollte es kein Problem sein, das mal einzweifix zu googeln.
Machen die Lokalpostilleros aber nicht, weil sie Links für etwas Politisches halten, auf alle Fälle sind Links etwas, was in einer seriösen Zeitung nichts zu suchen hat. Wo kämen wir denn hin, wenn wir dem Leser helfen, sich zusätzliche Informationen zu erschließen. Womöglich informiert er sich dann gleich woanders und die Leipziger Volkszeitung büßt wieder mal einen Leser ein – das schmerzte, denn so viele sind’s nicht mehr ...
Zurück zur Computergefahr: Etwa zwei Minuten braucht ein durchschnittlicher Internetnutzer, um das AJPM im Internet zu finden. Den betreffenden Artikel zu entdecken, dauerte etwas länger, da die Juli-Ausgabe heute noch nicht online war. Also tippte ich darauf, dass die Kollegen von AFP wohl eine Pressemitteilung verwurstet hatten – und siehe, bei den Presse-Meldungen findet sich die Quelle der Informationen über die erschröcklichen Computerunfälle. Wer’s genau wissen will: http://www.ajpm-online.net/webfiles/images/journals/amepre/AJPM_PR_July_2009_Computer_Related_Injuries.pdf
Amüsant: Die Unfälle im Zusammenhang mit Computermonitoren sind seit 2003 rückläufig. Die Erklärung liefern die Autoren der Untersuchung gleich mit: Moderne LCD-Bildschirme sind leichter als die aussterbenden Röhrenungetüme. Folglich setzen sie beim Heben einem angegriffenen Rücken weniger zu. Fallen sie vom Tisch, machen sie dank ihrer geringeren Masse zudem weniger „Aua“.
Und warum finde ich so was nicht in meiner Lokalpostille?

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