Montag, 25. Februar 2008
Wolfgang Böhmer und der Präsidentenwahnsinn.
Der Historienfilm „Troja“ mit Brad Pitt bescherte mir vor einigen Jahren eine neue Definition zum Stichwort Krieg. Hielt ich es bisher mit Clausewitz zeitlos-genialen Worten („Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“), so hieß es im Kino – nicht minder trefflich: „Krieg ist, wenn alte Männer reden und junge Männer sterben.“
Die regelmäßigen Leser dieses kleinen Tagebuches wissen, dass ich dazu neige, meine Einträge „von hinten durch die Brust ins Auge“ anzulegen und dass es an dieser Stelle voraussichtlich weder um den Krieg als Verbrechen noch um den Krieg als Triebkraft der menschlichen Entwicklung gehen wird.
Richtig. Ich nehme die Troja-Definition zum Anlass, das Stichwort „Politik“ zeitgemäß zu definieren. „Politik ist, wenn alte Männer reden und nicht merken, dass sie längst weggemusst hätten.“
Der geneigte Leser findet bei kurzem Nachdenken sicher eine ganze Reihe von Belegen für die Richtigkeit dieser Aussage. Es sei aber verraten, wer mich gerade heute auf diesen Satz kommen ließ. Der Dank für die überaus wertvolle Inspiration gebührt Wolfgang Böhmer. Dieser ist Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt und beging am 26. Januar 2008 seinen 72. Geburtstag. Seit 2007 trägt er das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland mit Stern und Schulterband. Ach, hätte er dieses hohe Auszeichnung doch zum Anlass genommen, sein Tun als MP zu beenden und einer altersgerechteren Tätigkeit nachzugehen. Aber nein – er machte weiter.
Bei einigen Presserterminen durfte ich Wolfgang Böhme in jüngerer Zeit erleben. Es war nicht wirklich ein Vergnügen, denn seine Auftritte waren – so meine ganz persönliche Auffassung - wenig glanzvoll und alles andere als brillant. Es sei dahingestellt, ob es an mangelnder Kompetenz des MP oder an der Unfähigkeit seiner Redenschreiber lag, Wolfgang Böhme erwarb sich unter Journalisten zunehmend den Ruf eines Grußwortonkels, den man nur schwer zitieren kann, weil er redet, ohne etwas wirklich Substanzielles zu sagen.
Über mangelnde Zitierhäufigkeit kann der nach Sachsen-Anhalt ausgewanderte Sachse Böhmer sich zumindest seit diesem Wochenende nicht beklagen. Hätte er doch nur geschwiegen, aber nein: Der Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe lieferte einen überflüssigen Deutungsversuch für Kindstötungen im Osten Deutschlands ab. Es komme ihm vor, so Böhmer gegenüber dem Nachrichtenmagazin Focus, als sei Kindstötung für manche Frauen „ein Mittel der Familienplanung“. Er begründete das mit der DDR-Abtreibungspolitik, die einen Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche ohne Begründung erlaubte.
Böhmer weiß, wovon er da redet. Schließlich hat er seine ärztliche Laufbahn zu fast 100 Prozent in Frauenkliniken verbracht: Bescherten ihm ventrikuläre Extrasystolen 1959 noch die erste Promotion, so arbeitete Böhmer ab 1960 zunächst an der Frauenklinik Görlitz, ehe er 1966 als Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe anerkannt wurde. In Wittenberg brachte er es bis zum Chefarzt. Seine Habilitation befasste sich 1983 mit dem Thema „Die Entwicklung der individuellen und gesellschaftlichen Belastung durch die menschliche Reproduktion“.
Keine Angst, ich denke jetzt nicht darüber nach, ob ein so erfahrener Geburtsmediziner sich in all den Jahren nicht etwa der Beihilfe zum Vielfachmord an ungeborenen Erdenbürgern schuldig gemacht hat.
Statt dessen grübele ich, was dem MP wohl ins Hirn gefahren sein könnte, dass er einen solchen gequirlten Unsinn absondertBritish Beef? Kalk?
Vergleichbaren geistigen Müll las man bislang lediglich aus der Feder des Kriminologen Christian Pfeiffer. Zur Erinnerung: 1999 folgerte Pfeiffer aus dem angeblichen „Töpfchenzwang“ in DDR-Kindergärten auf rechtsradikale Neigungen der Ossies.
Zudem ist er jene Koryphäe, die im Jahr 2000 mit einem Gutachten maßgeblich dazu beitrug, die Bewohner der sächsischen Stadt Sebnitz im „Fall Joseph“ als Neonazis zu stigmatisieren – inzwischen ist gesichert, dass der vermeintliche Mord ein Unfall ohne Fremdeinwirkung war. Aber Pfeiffer muss so was ja tun, damit sein Institut in die Schlagzeilen kommt, man muss ja schließlich Miete und Strom bezahlen ...
Doch zurück zu Wolfgang Böhme. Man mag zu legalen Schwangerschaftsabbrüchen stehen, wie man will – aber Böhmes Äußerungen sind eine Entgleisung, für die sich hoffentlich eine medizinische Ursache finden lässt. Sollte der MP seine Aussagen jedoch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gemacht haben, wäre das ein Skandal. In beiden Fällen gehört er jedoch „weg“ – weg aus dem Amt, weg aus der Regierung, hinein in irgendeine Form streng betreuter Wohnverwahrung, wo er mit seinem kranken Gebrabbel allenfalls als Kauz, nicht aber als Landesvater wahrgenommen wird.
Oder habe ich als „gelernter DDR-Bürger“ nur eine gestörte Wahrnehmung und Papa Böhmer ist der einzig Erleuchtete? Wohl kaum, denn die Reaktionen auf Böhmers Unflat lassen eine seltene Übereinstimmung zwischen ansonsten verfeindeten Parteien erkennen. Die Sachsen-CDU spricht in Gestalt ihrer Sozialministerin und des Generalsekretärs von „Unfug“, die FDP nennt Böhmers Argumente „abwegig“, die anhaltinische Linkspartei wettert über eine „ungeheuerliche Entgleisung“ und die SPD klagt über „verantwortungsloses Geschwätz“. Selbst die landeseigene CDU-Fraktion verweigert dem MP die Gefolgschaft.
Und ich? Erinnere noch einmal an meine obige Definition: „Politik ist, wenn alte Männer reden und nicht merken, dass sie längst weggemusst hätten.“

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Schmökern bei Werner Sonntag
Von Zeit zu Zeit schaue ich unter www.laufreport.de
nach, um Werner Sonntags Tagebuch auf neue Einträge zu inspizieren. Beim gestrigen Sonntagsdienst (die Arbeit am Tag des Herrn gehört für Journalisten zur Normalität) wurde ich fündig, Werners Eintrag vom 19. Februar www.laufreport.de/vermischtes/sonntag/sonntag.htm bereitete mir erhebliches Lesevergnügen. Schließlich tut es gut, beim Lesen der Gedanken eines anderen festzustellen, dass die eigenen Auffassungen so verquer doch nicht sein können. Und wenn mein an dieser Stelle kürzlich veröffentlichtes Elaborat über Steuerehrlichkeit (Wer frei von Fehl ist, der werfe den ersten Stein ...) auch weit davon entfernt ist, mehrheitsfähig zu sein, so stimmt es doch im Kern mit der Meinung des von mir hochgeschätzten Sport- und Berufskollegen Werner Sonntag überein. Und das ist ja eine ganze Menge wert ...

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