Freitag, 26. September 2008
Entschuldigung oder: Neudeutsch reflexive Selbstgeißelung mit Erfolgsgarantie
Gestern hatte ich das Vergnügen, im Auftrag eines großen Verbandes eine Versammlung zu fotografieren. Dabei hatte ich zwei Erlebnisse der besonderen Art.
Zum einen trat in der Diskussion ein nicht mehr ganz frischer Mensch auf, dessen geistiges Alter mit deutlich über dem recht stattlichen biologischen zu liegen schien. Er dröhnte allerlei Worthülsen durch den Saal, machte auf Populismus und wies seine Zuhörer darauf hin, dass wir uns im demokratischen Zentralismus befänden.
Für alle, die die DDR nur vom Hörensagen kennen: Deren totalitäres Regime verstand seine Staatsform nach höchstoffizieller Lesart als demokratischen Zentralismus. Ohne Wende und friedliche Revolution wäre er das wohl noch heute, nur ein wenig bankrotter als damals; und solch Grummelgreise wie besagter Diskussionär würden kalkig über ein ganzes Land herrschen.
Zum anderen: Den Anlass zur Versammlung hatte die Missetat eines Verbandsfunktionärs auf Landesebene gegeben, dem man auf die Schliche gekommen war, dass er Privates und Berufliches zum Schaden des Verbandes vermengt hatte. Dabei war ein Euro-Betrag ungerechtfertigt in der Tasche des Funktionärs gelandet; ungeklärt blieb, ob der Ertappte solches schon zuvor getan hatte.
Als man ihn an den Ohren zog, zahlte er das Geld zurück, erklärte vielen Leuten sein Bedauern und konnte – wie auch andere Funktionäre in seinem Umfeld und solche von einem Dachverband auf Bundesebene – nicht verstehen, dass die Basis ihm noch immer grollte.
„Aber er hat sich doch entschuldigt“, buhlte seine Getreuen um Nachsicht und forderten ein „Wir-haben-ihn-wieder-lieb“-Bekenntnis ein.
Das zeigte mir (wieder einmal), wie viel Dummheit in der Welt unterwegs ist. „Sich entschuldigen“ – das ist neudeutscher Unfug. Man bittet jemanden um Entschuldigung, bittet ihn also um Vergebung für eine Verfehlung. Ob er dieser Bitte nachkommt oder nicht, liegt in seinem Ermessen. Erlässt er mir die Schuld nicht, muss ich künftig mit ihr leben.
Das neudeutsch reflexiv gebrauchte „Ich entschuldige mich“ wäre treffender ein „Ich bedaure sehr, was ich getan habe.“ Schließlich bedeutet „Ich entschuldige mich“ letzten Endes, dass ich mir die Absolution selbst erteile. Es automatisiert die Bitte um Entschuldigung und macht sie zu einer Art Selbstgeißelung. Der Funktionär muss sich nur oft genug selbst auf den Pelz klatschen, dann müssen alle ihm verzeihen, ob sie wollen oder nicht.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Laufbandgedanken bei Galeria Kaufhof. Oder: Mal Affe sein.
Laufband? Langweilig! Hamsterrad! Stimmt – und auch wieder nicht. Meine bisher sehr bescheidenen Laufband-Erfahrungen stammen von einem Ski-Urlaub in Österreich. Nach des Tages Mühen auf den flotten Brettern wollte ich noch laufen gehen, verkniff mir das aber angesichts kräftiger Minusgrade und vereister Wege – und stellte mich im Hotel abends aufs Band. So lief ich in 1200 Metern Höhe mit Blick auf die beleuchteten Hänge, schaute den Pistenraupen zu – und wurde schon bald ausgebremst, da der Wirt seine Ruhe haben und nicht durch ein über dem Tresen rumpelndes Band genervt werden wollte.
Bis zu diesem Abbruch meines Bandlaufes hatte ich zweierlei gelernt:
1. Das Laufband ist kein Waldweg.
2. Man gerät anständig ins Schwitzen, weil der Fahrtwind fehlt.

Da ich mich als Läufer am 6-Tage-Rennen der Worldrun-Truppe beteilige (guckst Du hier: http://forum.d-u-v.org/forum/viewtopic.php?t=1342), kann ich derzeit meine Laufbanderfahrungen vertiefen. Was ich gestern (17km) festgestellt habe, war, dass Laufbandlauf alles andere als langweilig ist. Zumindest dann, wenn man ihn im gut frequentierten Erdgeschoss eines Kaufhauses in der Leipziger City praktiziert. Dort stehen besagte Bänder zwischen Postkartenregalen und Schmuckabteilung. Ich laufe mit Blick auf den Haupteingang zur Galeria-Filiale, habe die jungen Damen an den Schmuck- und Uhrenvitrinen im Blick und fühle mich – bis auf die Wärme – ziemlich wohl dabei.
Natürlich hat das Laufen in diesem Umfeld irgendetwas vom Affenkäfig im Zoo. Sagte mir heute meine Frau, und es stimmt. Aber da ich eine Jahreskarte für den Leipziger Zoo (guckst Du hier: http://www.zoo-leipzig.de) habe, weiß ich, dass die Primaten ganz gezielt mit den Besuchern kommunizieren, die vor der Scheibe stehen und Grimassen schneiden.
Und ich tue ich es ihnen gleich. Und habe den Vorteil, mich nicht nicht hinter einer Glasscheibe zu befinden und zudem über die Fähigkeit der Sprache zu verfügen. Also ein ganz kurzweiliges Spiel, man läuft, plaudert, bitte den einen oder anderen staunend dreinschauenden Kunden aufs Nachbarband ... Und erlebt allerlei.
Zum Beispiel den Fehlgriff eines Baggerfahrers, der am Donnerstagnachmittag ein Erdkabel anpickte und Teile der City stromlos machte. Dass auch Galeria betroffen war, nahm ich billigend in Kauf, denn nach der Umschaltung auf die spärliche Notbeleuchtung wurde es schnell kühler – nur schade, dass auch die Bänder zum Stehen kamen ... Mein persönliches Highlight war das entsetzte Gesicht einer früheren Mitarbeiterin eines guten Kunden meines Büros. Sie schaute mir zu, erkannte mich, schüttelte den Kopf und fragte, einen mitleidigen Ton in der Stimme: „Haben Sie das wirklich nötig.“ Meine Versicherung, hier just for fun und not for Knete zu laufen, schien sie nicht wirklich überzeugt zu haben ...

Am morgigen Samstag stehe ich übrigens wieder auf dem Band. Mal für etwas länger, es geht ja schließlich um einen guten Zweck und außerdem will ich meine masochistische Ader ausleben und das Gefühl des Käfigaffen auskosten. Wer Lust und Zeit hat, kann mich am 27. September ja mal bei Galeria besuchen. Aber bitte die Laufschuhe mitbringen ...

... link (0 Kommentare)   ... comment