Montag, 24. November 2008
Deutsche Medien schießen zurück. Oder: Wieviel Nazi-Vergleich darf's denn sein?
Wer in Deutschland für Empörung sorgen will, muss nur eines: den Vergleich mit Personen, Größen oder Ereignissen des „dritten Reiches“ bemühen. Das erfuhr sogar Bundeskanzler Helmut Kohl, als er Gorbatschow ob dessen PR-Talent mit Joseph Goebbels verglich. Guckst Du hier: http://zeitungsdieb.blogger.de/stories/1165848/
Aber es funktioniert auch umgekehrt: Wer jemanden in Misskredit bringen will, muss diesem nur unterstellen, etwa/jemandem mit einem solch bösen, bösen, bösen Vergleich geärgert zu haben. So tat es kürzlich Theo Zwanziger, der einem Journalisten grollte, weil dieser ihn als Demagogen bezeichnet hatte. Nun mag man geteilter Meinung sein, ob das stimmt, Zwanziger jedoch unterstellte meinem Berufskollegen, er habe das Wort Demagoge im Sinne eines Nazi-Vergleichs gebraucht. Worüber man nun nicht geteilter Meinung sein sollte: Eine sehr schöne Definition des Demagogen findet sich hier http://de.wikipedia.org/wiki/Demagoge, vielleicht hätte Zwanziger das mal lesen sollen, ehe er die Hunde von der Kette lässt. Dann wäre ihm eine tüchtige Blamage erspart geblieben.
Dass sprachliche Anleihen beim dritten Reich gar nicht so selten sind, weiß jeder, der „LTI“ von Victor Klemperer gelesen hat. Aber man muss unsere Sprache gar nicht durch die Brille eines Philologen betrachten, aufmerksame Zeitungslektüre genügt schon.
Die von mir wirklich sehr geschätzte Welt am Sonntag kündigte gestern auf ihrem Titel ein wenig Skandalberichterstattung über Boris Becker an, dem wohl wieder mal eine Gespielin abhanden gekommen ist. Wer, wem, warum und wie oft – das ist mir in diesem Zusammenhang sch...ätzungsweise sehr egal. Aber: Die WamS kündigt die erschröckliche Moritat über des Tennisrentners Liebesleben und die aktuellen PR-Bemühungen auf der Titelseite unter der Überschrift „Jetzt wird zurückgelitten“ an. Guckst Du hier: http://www.welt.de/vermischtes/article2766486/Boris-Beckers-perfekte-Trennungs-Seifenoper.html
Mag sein, dass ich ein krankes oder zumindest nicht ganz normales Hirn mein Eigen nenne, aber bei solcherart Formulierung (über deren Sinn ich jetzt nicht schwadronieren möchte) fällt mir ganz spontan der deutsche Überfall auf Polen am 1. September 1939 ein, mit dem (dies sei für alle Pisa-geschädigten Jungleser meines Tagebuches verraten) der II. Weltkrieg begann, den man damals aber noch nicht so nannte.
Nachdem der Fall Gleiwitz inszeniert worden war und die ersten Divisionen nach Polen einmarschierten, verkündete der Großdeutsche Rundfunk „Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen“.
Guckst Du vielleicht hier: http://www.stern.de/politik/historie/:Zweiter-Weltkrieg-Seit-5.45-Uhr/529192.html
Nur ungern weise ich darauf hin, dass bei der Inszenierung dieser Farce und bei der propagandistischen, um nicht zu sagen: demagogische Umsetzung des deutschen Angriffes Altmeister Joseph Goebbels zur Hochform auflief. Hoffentlich legt mir das nun niemand als unzulässigen Nazi-Vergleich aus ... wo doch die Welt am Sonntag mit dem Zurückschießen angefangen hat.

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