Donnerstag, 4. September 2008
Deutschlandfunk und Beziehungskrise. Oder: Gibt es ehemalige Holocaustopfer?
Outing: Ich bin ein großer Fan des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich rede vom Radio, allen voran DLF und D-Kultur, welche ich nur zu gern höre. Der ganze gebührenfinanzierte TV-Müll kann mir hingegen gestohlen bleiben, denn angesichts dieses Werbe- und PR-Programms mit gelegentlichen redaktionellen Einblendungen tue ich mich schwer, ein auch nur im Ansatz akzeptables Preis-Leistungs-Verhältnis zu erkennen.
Doch zurück zu meiner Sympathie für DLF und D-Radio. Diese erhielt heute einen schweren Dämpfer. Oder – positiv gesagt – sie wurde auf eine Bewährungsprobe gestellt, wie sie ja jede gute Beziehung gelegentlich erlebt.
Diese Bewährungsprobe bestand in einem Bericht über das segensreiche Tun (guckst Du hier: http://www.asf-ev.de/) der Aktion Sühnezeichen. In diesem Zusammenhang ließ DLF einen Menschen (guckst Du hier: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/marktplatz/808194/) über den Sender brabbeln, der vor allem ein imposantes Rudel „Ähhs“ und „Öhömms“ durch den Äther schwärmen ließ, dazwischen aber nichts wirklich Hörenswertes formulierte. Irgendwie wähnte ich mich im fröhlich-chaotisch stümpernden Azubi-Kanal des Leipziger Studentenradios Mephisto, doch – RDS sei Dank – ich hörte nach wie vor den Deutschlandfunk. Der Höhepunkt der mir auferlegten akustischen Bewährungsprobe war jedoch eine Wortkreation, die ich in dieser Form noch nie erleben musste. Der stammelnde Sühnezeichenmensch sprach von „ehemaligen Holocaust-Opfern“. Nun ist der Holocaust ein Thema, mit dem nicht einmal ich Witze mache(n darf).
Dennoch: Das Attribut „ehemalig“ bezieht sich auf eine Sache, die es nicht mehr gibt. Ich bin ein „ehemaliger DDR-Bürger“, weil das Verschwinden der DDR meine Beziehung zu diesem Staat ihrer Geschäftsgrundlage beraubt hat. Außerdem bin ich ein ehemaliger Student der Karl-Marx-Universität zu Leipzig, auch wenn es diese nicht mehr gibt. Denn studiert habe ich dort von 1981 bis 1986, sogar ein Diplom erworben, was mich zum (nicht ehemaligen) Absolventen der ehemaligen Karl-Marx-Universität Leipzig macht.
Nun zurück zum Holocaust-Opfer: Da gibt es nichts Ehemaliges, Opfer ist und bleibt man. Bestenfalls kann man ein Opfer gewesen sein – nämlich dann, wenn man selbst nicht mehr ist. Aber auf keinen Fall ein ehemaliges. Auch nicht Opfer eines ehemaligen Holocaust, denn dieser verschwindet mit der Zeit nicht einfach ...
Wer meinen Gedanken bis an diese Stelle gefolgt ist, wird wohl nachvollziehen können, wie hart die heutige Bewährungsprobe für mich war. Aber eine gute Beziehung kann so etwas nicht erschüttern, dazu bedarf es weiterer Schläge. Die hoffentlich ausbleiben.

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