Montag, 13. Oktober 2008
Reich-Ranicki und das Kulturprekariat. Oder: Ein geifernder Untoter auf verlorenem Posten
Zugegeben. Ich halte Marcel Reich-Ranicki seit vielen Jahren für eine Plage. Optisch wie akustisch, vor allem aber inhaltlich. Um Missverständnisse zu vermeiden: Das ist nicht seiner jüdischen Herkunft geschuldet, sondern der unsäglichen Arroganz, die RR kultiviert und wie ein Banner vor sich herträgt. Wer sich hin und wieder mit Literatur beschäftigt, weiß, wovon ich rede.
Dass RR nun mit dem Deutschen Fernsehpreis geehrt wurde oder werden sollte oder doch wurde (guckst Du hier: http://www.netzeitung.de/kultur/1184757.html), war bzw. ist mir ziemlich einerlei. Schließlich werden solcherart Preise seit Jahren an alle möglichen und vor allem unmöglichen Figuren verliehen – warum sollte da nicht mal ein geifernder Untoter bedacht werden?
Nett fand ich hingegen, dass RR den Preis irgendwie abgelehnt hat. Irgendwie aber auch nicht wirklich, denn er war zwar böse, aber so böse nun auch wieder nicht. Eher so wie die Nutte, die auf den Anbahnungsversuch eines Freiers pro Forma mit dem Satz „Mein Herr, ich bin nicht so eine ...“ reagiert, ehe sie wenig später doch aufs Laken sinkt.
Aber Fakt ist, RR hat den Preis erst einmal abgelehnt. Irgendwie, aber mit deutlichen Worten und ausdrücklichem Bezug auf den Blödsinn, den er während des Preisverleihungsabends erleben und erdulden musste. Wegen eines Atze Schröder, einer Richterin Salesch und anderer Unsäglichkeiten, die ich zum Glück nicht miterleben musste, die RR aber mit regelmäßigem Blick auf die Uhr erduldet hat – bis zu jenem Ausbruch, der Moderator Gottschalk zu heldenhafter Größe wachsen und die schlappe Intendantenriege alt aussehen ließ.
Entsetzt hat mich allerdings etwas anderes. Da ich dank einiger Internetveröffentlichungen vorgewarnt gewesen war, lauschte ich während RRs emotionalem Ausbruch ganz bewusst auf die Reaktionen des Publikums und schaute mir gezielt die Bilder der im Saal nach Gesichtern suchenden Kameras an.
Letzteren gelang es mit offensichtlicher Mühe, einige betroffen oder zumindest nicht amüsiert dreinschauende Zeitgenossen einzufangen. Doch der Ton bewies, dass ein großer Teil der Zuschauer im Saal bis zuletzt nicht begriffen hatte, dass RR ihnen keinen Standup-Comedy, sondern eine bitterböse Abrechnung mit der im Niedergang befindlichen Medienwelt bot. Da mochte der geifernde Greis noch so böse von „Blödsinn“ und „verlorenere Zeit“ grummeln, noch so sehr an 3Sat und Arte erinnern, die früher mal anspruchsvolles Programm geboten hatten – im Saal wurde gelacht und applaudiert, als greife ein Atze Schröder mal wieder unter die Gürtellinie. Und dass, obwohl nicht das deutsche Kulturprekariat, sondern ein handverlesenes, sich als elitär verstehendes Publikum geladen war. Peinlich.

PS.: Einige haben’s doch bemerkt. Aber nur einige.

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