Donnerstag, 18. September 2008
Wolfgang Schäuble und Aids. Oder: Die Krankheit der anderen
Was haben Aids und die Überwachungspläne von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble gemeinsam?
Antwort 1: Beide können einem ganz schön den Spaß am Leben verderben. Aber das meine ich nicht, deshalb folgt ...
Antwort 2: Beide Krankheiten wurden solange unterschätzt, bis sie nicht mehr aufzuhalten waren bzw. sind.

Hä? So oder ähnlich mag das Geräusch klingen, das nun der eine oder andere Leser meines kleinen, politisch nicht immer gänzlich korrekten und auch nicht dem bundesrepublikanischen Mainstream verpflichteten Tagebuches macht.
Ganz einfach: Als Aids (bzw. HIV) in der Neuzeit „erfunden“ wurde (gab’s nämlich in den 30er-Jahren auch schon mal, wurde damals nur nicht entsprechend gewürdigt und verschwand wieder, aber das ist eine andere Geschichte ...), war es über Jahre die Krankheit „der anderen“. Betroffen war ja nicht der stinkdurchschnittliche, brave Normalbürger, sondern andere: Neger, Schwule, Fixer, Nutten und Stricher, Fremdgeher ... und irgendwann die ganze Gesellschaft.

Ähnlich ist die Situation bei den Überwachungsplänen des Bundesinnungsministers und seiner ministeriellen Mittäter. Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner, Fernmeldeüberwachung, BKA-Gesetz und all der andere Schlapphutmist richten sich ja gegen den internationalen Terrorismus, gegen rechte Extremisten, gegen linke Extremisten, gegen Kinderschänder, gegen Schwerkriminelle und deren Vereinigungen, gegen Zumwinkel und andere Steuerhinterzieher, gegen Reiche, gegen Telekom-Kunden, gegen Zu-Schnell-Fahrer, gegen Rotfahrer, gegen Falschparker ... gegen ganz normale Bundesbürger wie Du und ich, die nichts anderes wollen, als grundgesetzlich verbriefte Rechte in Anspruch zu nehmen. Wie weit das Tor zum Überwachungsstaat bereits offen steht, guckst Du hier www.telepolis.de, in der Suchfunktion einfach mal die Worte „Schäuble“ und „Vorratsdatenspeicherung“ eingeben.

Das ist übertrieben? Wer das glaubt, sollte sich hier http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27734/1.html einmal einlesen. In Kürze: Eine in einem Internetforum oder Gästebuch hinterlassene E-Mail-Adresse ist in mehreren Fällen Grundlage von Durchsuchungsbefehlen gewesen – ohne vorherige Prüfung, ob der Inhaber der Adresse oder ein anderer Nutzer diese eingetippt hatte. Der aus meiner Sicht spektakulärste Fall betraf einen Berliner Geschäftsman, der vor einigen Monaten frühmorgendlichen Besuch von lautstark in seine Wohnung stürmenden SEKisten und Ermittlungsbeamten erhielt. Wegen kinderpornographischer Missetaten kam dieser Sturmtrupp durch die Tür, beschlagnahmte Papier und EDV-Anlage. Die Rückgabe nahm – gut Untersuchung will Zeit haben – Monate in Anspruch und erfolgte, als der Geschäftsmann bereits seiner wirtschaftlichen Existenz verlustig gegangen und privat erledigt war.
„Schlimmeres“ ist dem Berliner übrigens nicht widerfahren. Ein Schreiben der Ermittlungsbehörden informierte darüber, dass es bei der Zuordnung der IP-Adresse des Kinderpornographieliebhabers zur konkreten Person von Seiten des Providers einen Fehler gegeben habe ...
Wie war das? Aids ist die Krankheit der anderen. Überwachung auch ...

Wie schwer es ist, bei durchaus zum Denken neigenden Menschen eine gewisse Sensibilität für die Gefahren der neuen Schäuble-Seuche zu wecken, erlebte ich erst vor einigen Tagen beim Gespräch mit einem guten Bekannten. Dieser verschanzte sich hinter der Feststellung, dass er doch nichts zu befürchten habe: Schließlich meide er den Kontakt zu Terroristen, Rechten und Linken extremer Ausprägung, zahle seine Steuern, sei ein guter Mensch, lasse sich nichts zuschulden kommen ...

Ihm und allen anderen braven Staatsbürgern gebe ich den Rat, den kleinen Handkoffer mit den wichtigsten Sachen stets am Bett stehen zu haben. Denn: „Sie kommen immer in der Nacht.“

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