Freitag, 26. September 2008
Entschuldigung oder: Neudeutsch reflexive Selbstgeißelung mit Erfolgsgarantie
zeitungsdieb, 17:37h
Gestern hatte ich das Vergnügen, im Auftrag eines großen Verbandes eine Versammlung zu fotografieren. Dabei hatte ich zwei Erlebnisse der besonderen Art.
Zum einen trat in der Diskussion ein nicht mehr ganz frischer Mensch auf, dessen geistiges Alter mit deutlich über dem recht stattlichen biologischen zu liegen schien. Er dröhnte allerlei Worthülsen durch den Saal, machte auf Populismus und wies seine Zuhörer darauf hin, dass wir uns im demokratischen Zentralismus befänden.
Für alle, die die DDR nur vom Hörensagen kennen: Deren totalitäres Regime verstand seine Staatsform nach höchstoffizieller Lesart als demokratischen Zentralismus. Ohne Wende und friedliche Revolution wäre er das wohl noch heute, nur ein wenig bankrotter als damals; und solch Grummelgreise wie besagter Diskussionär würden kalkig über ein ganzes Land herrschen.
Zum anderen: Den Anlass zur Versammlung hatte die Missetat eines Verbandsfunktionärs auf Landesebene gegeben, dem man auf die Schliche gekommen war, dass er Privates und Berufliches zum Schaden des Verbandes vermengt hatte. Dabei war ein Euro-Betrag ungerechtfertigt in der Tasche des Funktionärs gelandet; ungeklärt blieb, ob der Ertappte solches schon zuvor getan hatte.
Als man ihn an den Ohren zog, zahlte er das Geld zurück, erklärte vielen Leuten sein Bedauern und konnte – wie auch andere Funktionäre in seinem Umfeld und solche von einem Dachverband auf Bundesebene – nicht verstehen, dass die Basis ihm noch immer grollte.
„Aber er hat sich doch entschuldigt“, buhlte seine Getreuen um Nachsicht und forderten ein „Wir-haben-ihn-wieder-lieb“-Bekenntnis ein.
Das zeigte mir (wieder einmal), wie viel Dummheit in der Welt unterwegs ist. „Sich entschuldigen“ – das ist neudeutscher Unfug. Man bittet jemanden um Entschuldigung, bittet ihn also um Vergebung für eine Verfehlung. Ob er dieser Bitte nachkommt oder nicht, liegt in seinem Ermessen. Erlässt er mir die Schuld nicht, muss ich künftig mit ihr leben.
Das neudeutsch reflexiv gebrauchte „Ich entschuldige mich“ wäre treffender ein „Ich bedaure sehr, was ich getan habe.“ Schließlich bedeutet „Ich entschuldige mich“ letzten Endes, dass ich mir die Absolution selbst erteile. Es automatisiert die Bitte um Entschuldigung und macht sie zu einer Art Selbstgeißelung. Der Funktionär muss sich nur oft genug selbst auf den Pelz klatschen, dann müssen alle ihm verzeihen, ob sie wollen oder nicht.
Zum einen trat in der Diskussion ein nicht mehr ganz frischer Mensch auf, dessen geistiges Alter mit deutlich über dem recht stattlichen biologischen zu liegen schien. Er dröhnte allerlei Worthülsen durch den Saal, machte auf Populismus und wies seine Zuhörer darauf hin, dass wir uns im demokratischen Zentralismus befänden.
Für alle, die die DDR nur vom Hörensagen kennen: Deren totalitäres Regime verstand seine Staatsform nach höchstoffizieller Lesart als demokratischen Zentralismus. Ohne Wende und friedliche Revolution wäre er das wohl noch heute, nur ein wenig bankrotter als damals; und solch Grummelgreise wie besagter Diskussionär würden kalkig über ein ganzes Land herrschen.
Zum anderen: Den Anlass zur Versammlung hatte die Missetat eines Verbandsfunktionärs auf Landesebene gegeben, dem man auf die Schliche gekommen war, dass er Privates und Berufliches zum Schaden des Verbandes vermengt hatte. Dabei war ein Euro-Betrag ungerechtfertigt in der Tasche des Funktionärs gelandet; ungeklärt blieb, ob der Ertappte solches schon zuvor getan hatte.
Als man ihn an den Ohren zog, zahlte er das Geld zurück, erklärte vielen Leuten sein Bedauern und konnte – wie auch andere Funktionäre in seinem Umfeld und solche von einem Dachverband auf Bundesebene – nicht verstehen, dass die Basis ihm noch immer grollte.
„Aber er hat sich doch entschuldigt“, buhlte seine Getreuen um Nachsicht und forderten ein „Wir-haben-ihn-wieder-lieb“-Bekenntnis ein.
Das zeigte mir (wieder einmal), wie viel Dummheit in der Welt unterwegs ist. „Sich entschuldigen“ – das ist neudeutscher Unfug. Man bittet jemanden um Entschuldigung, bittet ihn also um Vergebung für eine Verfehlung. Ob er dieser Bitte nachkommt oder nicht, liegt in seinem Ermessen. Erlässt er mir die Schuld nicht, muss ich künftig mit ihr leben.
Das neudeutsch reflexiv gebrauchte „Ich entschuldige mich“ wäre treffender ein „Ich bedaure sehr, was ich getan habe.“ Schließlich bedeutet „Ich entschuldige mich“ letzten Endes, dass ich mir die Absolution selbst erteile. Es automatisiert die Bitte um Entschuldigung und macht sie zu einer Art Selbstgeißelung. Der Funktionär muss sich nur oft genug selbst auf den Pelz klatschen, dann müssen alle ihm verzeihen, ob sie wollen oder nicht.
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