Montag, 6. Dezember 2010
1984 bei meiner Lokalpostille. Oder: Wie Nachrichten plötzlich verschwinden.
Eine Black Box http://de.wikipedia.org/wiki/Black_Box_%28Systemtheorie%29 ist in der Kybernetik ein System, von dem im vorgebebenen Zusammenhang nur das äußere Verhalten betrachtet wird, um aus dem Input/Output-Verhalten Rückschlüsse auf die (möglicherweise sehr komplexe) innere Struktur zu ziehen. Den Leserinnen und Lesern meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches, die das als zu technisch empfinden, möchte ich mit dem Allheilmittel eines meiner Physiklehrer auf die Sprünge helfen. Besagter Pädagoge pflegte, wenn das Röcheln, Schwitzen und Augenverdrehen der Schüler endemische Ausmaße annahm, zu fo-fo-formulieren: „Ma-ma-mach-mermal ein B-B-Beispiel.“
Also dann, es folgt das Beispiel: Wir stellen uns eine Blackbox vor, in die wir Wasser, Gras (grünes, nicht das zum Rauchen!) und Luft hineingeben („Input“). Dafür entlässt besagte Black Box u.a. Kohlendioxid und Methan, plätscherstinkeblubbernde „Fladen“ und eine weißliche Flüssigkeit nach außen („Output“). Der geneigte Leser sollte nun ohne weitere fremde Hilfe den Schluss ziehen können, dass die Black Box eine Kuh ist.

Keine Angst, ich äußere mich nicht zu „Bauer sucht Frau“, sondern verlasse die Landwirtschaft, um mich der viel appetitlicheren Welt der Medien zu widmen, genauer gesagt der Holzmedien, die so tun, als ob sie Internet machten. Womit wir bei meiner Lokalpostille wären, der nach eigener Darstellung dem Qualitätsjournalismus verpflichteten Leipziger Volkszeitung. Besagte LVZ als Black Box zu betrachten, kann durchaus interessant sein. Input sind Informationen, Papier, Energie, Arbeitsleistungen und Geld. Output wiederum Informationen und Papier sowie Geld. Allein über das Phänomens des Verschwindens von Arbeitsleistungen und Energie in der Black Box ließen sich gleich mehrere Promotionen schreiben ...
Aber auch das Verschwinden von Informationen sollte näher betrachtet werden. Und damit ist nicht die Filterung zwischen Input und Output gemeint, sondern die nachträgliche Bearbeitung bereits outgeputeten Materials, die ein wenig an das segensreiche Tun des Ministeriums für Wahrheit in „1984“ erinnert.
Wer das nicht auf Anhieb nicht versteht, darf sich auf „Ma-ma-mach-mermal ein B-B-Beispiel“ freuen: Wer heute auf www.lvz-online.de die Suchfunktion bemüht (Ja, die LVZ hat neuerdings ein solches „Fiieetschor“, das nicht mehr nur Anzeigen sucht), findet bei Eingabe des Stichwortes „wikileaks“ sechs treffer, genauer gesagt sechs dpa-Meldungen, deren jüngste (vulgo: „die aktuellste“) vom 29.11.2010 datiert und folglich nicht wirklich aktuell ist. Das Stichwort „Julian Assange“ bringt zwei Treffer, der jüngste stammt vom 28.11. 2010, ist also auch nicht wirklich frisch.
Putzig ist in diesem Zusammenhang, dass das am gestrigen Morgen noch anders aussah. Ehe der reguläre Sonntagsdienst seinen Kampf um die Meinungsdeutungshoheit im sächsischen Medienraum aufgenommen hatte, fanden sich unter www.lvz-online.de durchaus einige interessante Informationen zu wikileaks. Man durfte über die terroristischen Angriffe der USA auf die Onlineplattform ebenso lesen wie über die tapferen Hilfstruppen Amazon und Paypal sowie die IP-Adresse http://213.251.145.96/ , unter welcher wikileaks trotz des Cyberterrors der USA ("Wir bomben sie zurück in die Steinzeit!") erreichbar bleibt. Und sogar einige Kommentare fanden sich, in denen verschiedene LeserInnen ihrem Ärger über die Angriffe Luft machten. Und nun? Alles weg, selbst per Suchfunktion nicht mehr auffindbar. Zumindest nicht auf den LVZ-Seiten, allenfalls noch im Cache ...

Doch zurück zur Systemtheorie und zur Black Box. Wie war das? „… aus dem Input/Output-Verhalten Rückschlüsse auf die (möglicherweise sehr komplexe) innere Struktur zu ziehen …“ Dieser Denkaufgabe mögen sich die geneigten LeserInnen meines Tagenbuches an den derzeit kalten und dunklen Winterabenden in aller Ruhe widmen. Eine Hilfestellung gebe ich allerdings noch: In der heutigen Holzausgabe der Leipziger Volkszeitung habe ich das Wort wikileaks gar nicht gefunden, was mögicherweise meiner Morgenmüdigkeit geschuldet ist. Möglicherweise. Dafür wird aber völlig unkritisch über Spenden für die Geldmaschine „Innocent in Danger“ und deren Präsidentin, Stephanie zu Guttenberg, geschrieben. Also dann: Denken Sie sich ihren Teil, solange Sie es noch dürfen ...

Update: Plötzlich sind wieder Infos zu wikileaks vorhanden. http://www.lvz-online.de/multimedia/content/27591580_mldg.html Und es gibt sogar einen Link auf eine externe (!) Seite - was dem Nachdenken über die Balck Box neues Futter liefern dürfte ...

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