Mittwoch, 6. November 2013
Bäcker ohne Backofen. Oder: Meine Lokalpostille macht den Limbo
Kürzlich kam ich mit meinem Bäcker ins Gespräch. Er werde sich angesichts der schwierigen Marktlage neu aufstellen, um für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewappnet zu sein und seine Erlössituation zu verbessern, ließ mich der wackere Meister im feinsten Marketing-Sprech wissen. Sein Konzept überraschte mich allerdings: Die Herstellung von Kuchen und Torten hat er bereits vor einem halben Jahr aufgegeben und kauft diese tiefgekühlt bei Hopfenschwad und Niese. Durch den Verzicht auf die eigene Produktion der Süßstücke konnte der clevere Mehlwurm den angestellten Konditor entlassen. "Das spart eine Menge, außerdem brauche ich nun den ganzen Zuckerkram, das Obst und all die teuren Sachen nicht mehr." Bald muss er übrigens auch nicht mehr bei Hopfenschwad und Niese einkaufen, denn die Kunden "meines" Bäckers haben inzwischen bemerkt, dass es die gleiche Industrieware auch im TK-Regal von Saufland gibt - allerdings deutlich billiger.
"Aber jetzt kommt der Clou", fuhr der Meister mit der Schilderung seines neuen Business-Planes fort. "Ich höre mit dem ganzen Gebacke auf; Brot und Brötchen beziehe ich ab Januar 2014 von Schnarry-Brot, die liefern mir das Zeugs jeden früh ins Geschäft." Endlich habe das zeitige Aufstehen und der Plack im Mehlstaub ein Ende, außerdem spare er Unmengen Strom für Knetmaschine, Gärschrank und Backofen. "Der ganze Mist fliegt raus und wird nach Polen verkauft", verkündete der Nichtmehrbäcker. "Statt dessen richte ich in der Backstube ein modernes Dienstleistungszentrum ein. Hier gibt es dann Brötchenabos, Versicherungen, Bäckerreisen und Ticket-Service. Das läuft garantiert, denn ich habe ja eine tolle Kundenfrequenz, die Leute stehen ja ab sechs Uhr nach meinen frischen Bäckerbrötchen an." Diese treue Kundschaft wolle er mit seinen Dienstleistungen überzeugen. Allerdings nur von Dienstag bis Samstag, denn am Montag sei Ruhetag. "Schließlich ist das ja eine Bäckerei."

Spätestens jetzt dürfte auch der letzte schläfrige Leser meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches den Braten oder besser: das Brot gerochen haben. So blöd wird doch kein Bäcker sein ... Ist er auch nicht. So blöd ist nur meine Lokalpostille, die nach eigenem Glauben (ich weiß nur nicht, wer von den Chefs das noch glaubt) dem Qualitätsjournalismus verpflichtete Leipziger Volkszeitung.
Okay, dass eine konzernabhängige Lokalzeitung ihre Mantelredaktion (für Nicht-Profis: dabei geht es um die Seiten mit Politik, Wirtschaft, Medienzeugs und sowas) ausdünnt und statt dessen die Dienste einer zentralen Mantelredaktion nutzt, ist nicht neu und bei der Größe des Madsack-Imperiums betriebswirtschaftlich durchaus sinnvoll. Mein (realer) Bäcker baut den Kaffee ja auch nicht selbst an, sondern kauft ihn als Handelsware ebenso zu wie Fruchtsäfte usw.
Wenn eine Lokalzeitung wie die LVZ aber ihre lokale Kompetenz seit Jahren sowohl qualitativ als auch quantitativ immer mehr herunterfährt, haben die erbsenzählenden Gewinnmaximierer wohl eindeutig die Oberhand über die Zeitungsmacher gewonnen.
Sicher, Praktikanten sind billiger als Redakteure, Jungredakteure billiger als gestandene und PR-Texte noch billiger ... aber auch der dümmstanzunehmende Leser (DAL) merkt, was da läuft. Und wenn die lokale Berichterstattung wieder einmal an Umfang und Breite verliert, muss in der Chefetage des Hauses an der Leipziger Klagemauer keine/r erstaunt sein, dass sich dieser Limbo auch in den Zahlen der ivw.de widerspiegelt. Und irgendwann wird es auch mal mit den Leserreisen und all dem flankierenden Geschäft eng ... das ist wie bei meinem (fiktiven) Bäcker, der sich über das Ausbleiben seiner Brötchenkunden wundert ...
In diesem Sinne: Mach's gut, Stadtleben Leipzig.
http://www.danielgrosse.com/blog/leipziger-volkszeitung-reduziert-offenbar-weiter-lokale-inhalte/

*obwohl es Ausnahmen gibt, das sind die Experten mit den Fertigmischungen und den Auftau-Quarkbällchen.

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